Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 16. Dez 2015 · Musik

Mozarts „Entführung“ am Landestheater – Statt politischer viele menschliche Bezüge um die Liebe

Weihnachten ist derzeit überall, nur nicht am Vorarlberger Landestheater. Dort geht es jetzt, eine Woche vor Heiligabend, nicht um „Last Christmas“ und angefressene Weihnachtmänner, sondern um den Zauber des Orients. Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ ist dort angesiedelt, die Opernproduktion dieser Saison, die in Zusammenarbeit mit dem Symphonieorchester Vorarlberg am 3. Februar Premiere hat (10 Folge-Vorstellungen). Die Besetzung besteht aus internationalen jungen Kräften mit einem Star als Aushängeschild: Die Sprechrolle des Bassa Selim übernimmt der aus vielen Filmen und TV-Produktionen bekannte Schauspieler Heio von Stetten. Zum Probenbeginn auf der Hinterbühne des Bregenzer Festspielhauses erhielt am Mittwochvormittag die Presse Einblick in diese neue Produktion.

Oper ist nicht mehr Chefsache


Seit 2012 waren die jährlichen Opern am Landestheater quasi Chefsache in der Regie von Intendant Alexander Kubelka, der damit in nicht immer unumstrittenen Inszenierungen seine Bindung an das Musiktheater demonstrieren wollte – zuletzt im Vorjahr mit Bizets „Carmen“. Nun hat man für diese Aufgabe die erfahrene, in München arbeitende deutsche Regisseurin Sigrid Herzog engagiert, die am Opernstudio der Münchner Staatsoper unterrichtet und in Bregenz zuletzt durch ihre Sprechtheater-Arbeiten „Emilia Galotti“ und „Bluthochzeit“ starken Eindruck hinterlassen hat.

Die musikalische Leitung liegt erstmals in den Händen des aus Hannover gebürtigen und beim Brucknerorchester Linz als Resident Conductor tätigen Kapellmeisters und Komponisten Ingo Ingensand, der mit dem SOV bisher zweimal für das Festival „Texte & Töne“ mit neuer Musik sowie in einer Festspielproduktion gearbeitet hat. Am Landestheater wird er mit der „Entführung“ eine von Mozarts gängigsten Opern dirigieren, deren Fülle bekannter Melodien und Arien längst auch abseits der Bühne Eingang in Konzerte, Radiosendungen und Plattensammlungen gefunden hat. Dieses Werk wurde übrigens 1980 auch auf der Bregenzer Seebühne aufgeführt, mit Sieghardt Rupp als Bassa Selim. Auch in der Reihe der Opernproduktionen des Landestheaters war dieses Werk 1993 bereits einmal zu erleben, in der Regie von Bruno Felix und mit Christoph Eberle am Pult.

„Gewaltig viele Noten“


Mit der 1782 im Wiener Burgtheater uraufgeführten „Entführung aus dem Serail“ erfüllte Mozart den Auftrag Kaiser Josephs II., ein deutsches Nationalsingspiel zu schaffen und entsprach damit dem Zeitgeschmack nach Opern mit orientalischem Sujet. Als geläufige Anekdote wird in diesem Zusammenhang die Bewertung der Oper durch den Kaiser gehandelt: „Zu schön für unsere Ohren und gewaltig viele Noten, lieber Mozart“, meinte dieser. Darauf der Komponist schlagfertig: „Gerade so viele Noten, Euer Majestät, als notwendig sind.“ Die Handlung lebt von den Gegensätzen zwischen den Kulturen von Orient und Okzident, beinhaltet in der musikalisch glänzend charakterisierten Figur des Haremswächters Osmin auch pralle Komik und endet überraschend mit einer großartigen menschlichen Geste des Verzichts durch den Bassa.

Sigrid Herzog will in ihrer Inszenierung auch gar nicht versuchen, eine so beliebte Oper wie die „Entführung“ quasi neu zu erfinden: „Die ist in den letzten Jahren bestimmt 500 Mal gemacht worden, und deshalb kann man diesem tollen Stoff erst mal nur dienen. Trotzdem bin ich zunächst gedankliche Umwege gegangen. Es gab eine Variante mit der IS auf der Bühne, dann hab ich über „Charlie Hebdo“ nachgedacht. Das war ein Anfang, weil wenn man das Wort Islam hört, unser ganzes Denken woanders hingeht. Aber es hat sich dann herausgestellt, dass Mozart das alles gar nicht aushält und verträgt. Und jetzt ist es bei mir eine sehr menschliche Geschichte geworden, danach ausgerichtet, welche Sorten von Liebe es gibt und ob die hält. Und es wird auch der Umgang mit Dienstboten thematisiert.“

Schönheit und Vergänglichkeit


„Es ist die ungeheure Nähe von Anmut und Wehmut, die mich bei Mozart immer bewegt und hier ganz besonders“, meint Dirigent Ingo Ingensand. „Da erlebt man die Schönheit dieser Musik in den Arien und Ensembles und gleichzeitig die Erfahrung, wie vergänglich sie ist.“ Mit dem viel gerühmten „türkischen Element“ in der Instrumentierung dieser Musik mit Großer Trommel, Triangel und Becken hat seiner Meinung nach Mozart mit dieser „Türkenoper“ nur eine Erwartungshaltung des damaligen Publikums erfüllt.

Einig ist man sich darin, dass sich das Theater am Kornmarkt ideal für dieses Singspiel eignet: „Es gibt dadurch auch andere Möglichkeiten, über Intimität, über Nähe, Trennung und Schmerz zu arbeiten“, meint Sigrid Herzog, und Ingo Ingensand pflichtet bei: „Die Sänger brauchen nicht so forcieren, um den Raum zu füllen. Diese Art Kammermusik auf der Bühne und mit einem vielleicht nicht ganz so opernerfahrenen Orchester herzustellen, wird die wichtigste Aufgabe sein, auch der Umgang mit der durchaus zweifelhaften Akustik dieses Hauses. Aber ich freue mich auf diese Aufgabe, denn ich habe mit dem Orchester immer ausgesprochen gern gearbeitet.“ Ingensand selbst hat die „Entführung“ bereits in fünf verschiedenen Inszenierungen dirigiert, trotzdem meint er lachend: „Im kleinen Finger hat man das deswegen noch lange nicht!“ und betont vor allem auch die enormen musikalischen und schauspielerischen Herausforderungen für die fünf Sängerpartien.

International besetztes Ensemble


Hier hat man in eingehenden Castings eine Truppe von Sängern ausgewählt, die zum Teil ihre Partien erstmals singt. Die deutsche Sopranistin Netta Or, die bereits bei den Salzburger Festspielen debütierte und 2016 auch bei den Bayreuther Festspielen mitwirken wird, übernimmt die Rolle der Konstanze mit ihrer mörderischen Arie „Martern aller Arten“. Die aus Australien stammende Sopranistin Alexandra Flood hat die Rolle der „Blonde“ (früher: „Blondchen“), die sie hier verkörpert, ebenfalls bereits in Salzburg gegeben (Arie „Welche Wonne, welche Lust“).

Der Londoner lyrische Tenor Thomas Elwin (Arie „O wie ängstlich“) gibt Belmonte, der um seine entführte Konstanze kämpft, sein Diener Pedrillo, ebenfalls im Tenorfach, wird durch den Isländer Sven Hjörleifsson verkörpert. Für das Buffo-Element in der an sich ernsten Handlung sorgt der ungarische Bass Levente Páll als Haremswächter Osmin (Arie „Ha, wie will ich triumphieren!“). Sein Herr Bassa Selim, dargestellt von Heio von Stetten, hat von der Regie eine tief menschliche Zusatz-Komponente erhalten. Sigrid Herzog: „Alle in diesem Stück kümmern sich um die Liebe. Da fand ich es wichtig, diesem Bassa Selim, der die Spielregeln einer neuen Welt angenommen hat, seinen ganzen Harem vergisst und nur einer Frau erliegt, auch eine Art von Arie zu geben. Da er nicht singt, spricht er eben einen Monolog von Kleist.“

 

„Die Entführung aus dem Serail“, Oper von W. A. Mozart
Kooperation des Vorarlberger Landestheaters mit dem Symphonieorchester Vorarlberg
Premiere: Mi, 3. Februar, 19.30 Uhr, Großes Haus
Weitere Vorstellungen: 5., 7., 9., 18., 20., 22., 24., 26. Februar, 1. März – jeweils 19.30 Uhr; 28. Februar – 16.00 Uhr