Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Fritz Jurmann · 05. Apr 2012 · Musik

Momente der Vollendung – Manfred Honecks Mozart-Requiem lässt alle Erdenschwere vergessen

Die Gemeinde Lustenau punktet derzeit nicht nur im Fußball, durch die Austria mit ihrem sensationellen Sprung in die Spitzengruppe der Ersten Liga. Die Stickergemeinde ist zugleich in der Karwoche auch das Zentrum hochklassiger Kirchenmusikpflege im Land. Zentralfigur dabei ist der charismatische Dirigent Manfred Honeck.

Er hatte vor vielen Jahren die Idee, das berühmte Mozart-Requiem jeweils in der Karwoche in seiner Heimatgemeinde Altach mit vorwiegend heimischen Mitwirkenden aufzuführen. Mittlerweile gehört Honeck mit diesem Werk in Vorarlberg zur Passionszeit wie der Karfreitag und besitzt längst Kultcharakter. Freilich ist der Dirigent inzwischen vor vier Jahren mit diesem Projekt nach Lustenau ausgewichen, wo dieses ihm als religiös bestimmten Menschen besonders nahestehende Werk auch heuer wieder, am Mittwochabend, in der vollbesetzten Erlöserkirche erklungen ist und mit Momenten der Vollendung zu einem tief beeindruckenden Erlebnis wurde.

Internationale Auszeichnung für Mahlers „Vierte“

Manfred Honeck ist als international gefragter Dirigent in den großen Opernhäusern und Konzertsälen zuhause, zunächst in Zürich, dann in Kopenhagen, Oslo oder Stuttgart. Eben erhielt seine Einspielung der 4. Symphonie von Gustav Mahler mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra, dem er derzeit bis 2016 als Chefdirigent vorsteht, den International Music Award. Mit dem Mozart-Requiem möchte Honeck einmal jährlich unentgeltlich seine Verbundenheit zur heimischen Szene zum Ausdruck bringen, mit Sängern und Musikern der Region, die ihrerseits die ganz persönliche Arbeitsweise des Dirigent überaus schätzen gelernt haben. So ist auch der Zulauf nicht nur seitens des Publikums zu dieser Produktion jeweils enorm.

„Der Tod ist mein bester Freund!“ Dieser Ausspruch Mozarts, den man oft gerne als Kasperl darstellt, beweist für Honeck dessen Gläubigkeit, die sich in seinen zahlreichen Sakralwerken und speziell in seinem Requiem widerspiegelt – laut Honeck ein Werk von zeitloser Gültigkeit, das damit freilich auch einen breiten Gestaltungsspielraum ermöglicht. Der Dirigent macht reichlich Gebrauch davon, stellt seine Interpretation vor allem ganz in den Dienst seines tiefen Glaubens und setzt es demnach auch besonders textbezogen um. Er nähert sich Mozart mit großer Demut, lässt dessen ruhig fließende Teile im sanften Licht der Trauer aufleuchten. Aber da ist auch sein Mut, das Aufbegehren gegen das Schicksal, wenn es um das Unabänderliche geht, die schrecklichen Verheißungen der Apokalypse, und Honeck mit höchstem Einsatz scharf akzentuiert die letzten Reserven seiner 130 Mitwirkenden mobilisiert. So etwas lässt niemanden unberührt, geht unter die Haut.

Mozarts Requiem bleibt bei Honeck unvollendet

Nach seinem persönlichen Empfinden führt Honeck dabei nur jene Teile des unvollendet gebliebenen Requiems auf, die wesentlich auf Mozart zurückgehen und nicht die sonst übliche, von Franz Xaver Süßmayr ergänzte Fassung. Mozart im Original also. Und es ist jedes Mal ein beklemmender Eindruck, wenn mit dem nach acht Takten jäh abbrechenden „Lacrimosa“ die letzten Noten des Meisters erklingen. Da bleibt, unmittelbar vor dem überdimensionalen Altarbild des Gekreuzigten in der Erlöserkirche, kaum mehr Platz für Hoffnung. Ungemein tröstlich unmittelbar darauf Mozarts „Ave verum“, für das sich Honeck alle Zeit der Welt nimmt, das anfangs nur gesummt aus dem Nichts heraus entsteht und ebenso verlöscht.

Von der grundlegenden theologischen Bildung des Dirigenten zeugt auch das jährlich wechselnde Rahmenprogramm, das er dem Requiem voranstellt. Gabriel Fauré bildet diesmal mit seiner weich fließenden romantischen Melodik und Harmonik die rechte Einstimmung, der junge Michael Schwärzler gefällt mit einer düsteren, wild sich aufbäumenden Orgelimprovisation, aus der Ferne tönen mahnend gregorianische Choräle mit der Rheindorfer Schola, Franz Josef Köb liest wohl dosiert Texte von Provikar Carl Lampert und Rilke, aus Briefen Mozarts und aus der Offenbarung des Johannes.

Bewährte Sänger und Musiker aus der Region

Daneben steht Honeck mit den Sängern des VocalCollegium Ravensburg und der Chorgemeinschaft Vorarlberg ein Instrument zur Verfügung, das perfekt studiert, intonationssauber und wortdeutlich zu feinsten Regungen ebenso wie zu enormer Klangpracht fähig ist und oft alle Erdenschwere vergessen lässt. Zu den bewährten Kräften aus der Region gehört auch das flexibel und feinfühlend agierende Mozart Requiem-Orchester vor allem mit Musikern aus dem Symphonieorchester Vorarlberg, als Konzertmeister wirkt wie gewohnt Honecks ältester Sohn Matthias. Vokale Glanzlichter kommen vom internationalen Solistenquartett mit dem helltönig klaren Sopran der Wienerin Elisabeth Wimmer, dem gepflegt innigen Alt der Wolfurterin Martina Gmeinder, dem schlank auftrumpfenden Tenor des Iren Dean Power und dem profunden Bass des Chinesen Liang Li.

Weder am Beginn noch am Schluss dieser Aufführung brandet Beifall auf, alles ist inszeniert fast wie ein Gottesdienst. Nach dem Verklingen der großen Glocke verlassen die Besucher still das Gotteshaus, auf wunderbare Weise eingestimmt auf den religiösen Gehalt des kommenden Osterfestes.