Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Silvia Thurner · 14. Sep 2018 · Musik

Mit anregenden Werkdeutungen das Publikum in Schwingung versetzt – „Abenteuer Re:sonanzen“ in Feldkirch war in mehrerlei Hinsicht eine inspirierende Erfahrung

Die 800-Jahr-Feierlichkeiten der Stadt Feldkirch erlebten mit der Zeitreise „Abenteuer Re:sonanzen“ einen musikalischen Höhepunkt. Klaus Christa hat im Rahmen von „musik in der pforte“ und mit zahlreichen Freunden und Studierenden des Landeskonservatoriums die Musikgeschichte zum Klingen gebracht. Innerhalb von sechs spannenden Kurzkonzerten wiesen die allesamt hervorragenden Musikerinnen und Musiker auf kompositionsgeschichtliche Nahtstellen und Übergänge hin. Die Philosophin Natalie Knapp stellte diese in einen kulturhistorischen Zusammenhang und assoziierte die Zeitläufte mit der Biografie eines Menschen. Der Spaziergang startete im Dom, führte über die Kapelle und den Festsaal des Landeskonservatoriums zum Pförtnerhaus. Dort setzten der Kammerchor Feldkirch, Studierende des Landeskonservatoriums, David Helbock, Johannes Bär und Andreas Broger unter der Leitung von Benjamin Lack mit der Uraufführung des Stückes „No Borders!“ einen Energie geladenen Schlussakt. Auch nach dem fünfstündigen Konzertmarathon ohne Ermüdungserscheinungen reagierte das Publikum hellauf begeistert.

Eine inspirierende Kraft ging vom vielseitig zusammengestellten und abwechslungsreichen Programm aus, das Klaus Christa in Zusammenarbeit mit Musikerinnen- und Musikerkollegen zusammengestellt hatte. Denn nicht nur die Titel der einzelnen Kurzkonzerte wiesen auf bedeutende Weiterentwicklungen und sensible Umbruchphasen innerhalb der Kompositionsgeschichte hin, sondern auch jedes einzelne dargebotene Werk vermittelte die zu jener Zeit wirkenden Novitäten facettenreich. So wurde den Zuhörenden eine spannende musikalische Zeitreise mit zahlreichen unerwarteten Einsichten geboten. Bewundernswert war das hohe musikalische Niveau aller Mitwirkenden, das keine Kompromisse notwendig machte.

Gute geführte Stimmen und starkes Fundament

Aufhorchen ließen der Kammerchor Feldkirch, Johannes Hämmerle an der Orgel und Studierende des Landeskonservatorium unter anderem mit Johannes Buchners „Veni creator piritus“, in dem die aufkommende Polyphonie in einem inspirierenden Wechselspiel der einzelnen Stimmgruppen, der Orgelzwischenspiele und in der A-capella-Zusammenführung des „Choralis in omnium vocum permutatione“ gut nachvollziehbar war.

Beeindruckend musizierte das Ensemble „ConCorda“ mit Lukas Hamberger und Anne Kaun (Violine); Charlotte Schwenke (Viola da Gamba) und Eva-Maria Hamberger (Cembalo). Mit ihren transparenten Spielarten machten sie die Emanzipation und die „Tragweite“ des Generalbassspiels deutlich. Im geistreichen und zugleich virtuosen Musizieren entwickelte sich ein Flow, in dem sich die Ensemblemitglieder so richtig anspornten.

Bisher nicht gesehene und gehörte Instrumente

Diese Darbietungen schufen die gute Voraussetzungen für ein besonderes Eregnis innerhalb des „Abenteuer Re:sonanzen“. Zu hören gab es ein glanzvolles Orchester mit sehr speziellen Streichinstrumenten. Der Musiker und Musikhistoriker Patrick Cohën-Akenine hat zum legendären fünfstimmigen Streichorchester „Vingt-quatre Violons du Roy“, das im 17. Jahrhundert am Hof zu Versailles gewirkt hat, geforscht und die Instrumente nachbauen lassen. Klaus Christa holte die unterschiedlich großen Geigen und Bratschen nach Feldkirch, so dass der obertonreiche und originäre Klang des Orchesters in Werkdeutungen von Lully, Lalande und Charpentier zu hören war. Auch im Festsaal des Landeskonservatoriums verfehlte der strahlende Orchesterklang und die höfische Musik, unterstrichen durch das gut akzentuierende Dirigat von Patrick Cohën-Akenine, ihre mitreißende Wirkung nicht.

Pure Emotion

Einen schönen Kontrast dazu bildete Martin Gallez am Hammerklavier. Er musizierte Carl Philipp Emanuel Bachs „Fantasie“ in fis-Moll mit einem wunderbar sprechenden Duktus und großer emotionaler Spannung. Mit dieser Werkdeutung wurde klar, in welcher Art genau dieser Bachsohn als Vorbild unter anderem für Joseph Haydn, Beethoven und Schubert wirkte. Nach Haydns Streichquartett, op. 9, Nr. 4, interpretiert vom Epos:Quartett mit Christine Busch und Verena Sommer (Violine), Klaus Christa (Viola) und Francois Poly (Violoncello), erreichte der abwechslungsreiche Abend die Zielgerade und steuerte auf ein fulminantes Finale hin.

Den Umbruch in eine neue Zeit markierte das fünfte Konzert mit Arnold Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“, op.4, das das Epos:Quartett mit Guy Speyers (Viola) und Mathias Johansen (Violoncello) feinsinnig und höchst emotional ausdeutete. So waren die klanglich und harmonisch ausgereizte Musik fast körperlich spürbar und der radikale Schnitt mit Anton Weberns „6 Bagatellen für Streichquartett, op. 9“ in seiner totalen Reduktion eindrücklich nachvollziehbar. Auch dieses Werk gelang dem „Epos:Quartett“ hervorragend.

Resonanzen zwischen Stilen und Generationen

Viele Töne waren bereits über die Bühne gegangen, als die Kräfte im Pförtnerhaus noch einmal gebündelt wurden. Im Auftrag von Klaus Christa hat David Helbock das Chor- und Orchesterstück mit dem sprechenden Titel „No borders! Parallelen in der Ewigkeit“ komponiert. Das bunte Chor- und Orchesterwerk mit plastisch ausgeformten musikalischen Feldern, gut proportionierten Steigerungen sowie wirkungsvoll zusammenstürzenden Klangtürmen und improvisierten Passagen wurde im Wechsel zwischen dem Jazztrio „Random|Controll“, dem Kammerchor Feldkirch und dem Streichorchester mitreißend und aussagekräftig gedeutet. Von den Mitwirkenden forderte Benjamin Lack am Pult höchste Intensität. Einen wesentlichen Anteil am dichten Energiefluss hatten Johannes Bär, Andreas Broger und David Helbock am Klavier. Im Trio und im Austausch mit dem Chor und dem Orchester kamen die Intentionen „Re:sonanzen“ ganz unmittelbar zur Wirkung. Das spürten die Zuhörenden und reagierten begeistert.

Eine Nummer für sich an diesem Abend war der Kammerchor Feldkirch unter der Leitung von Benjamin Lack. Die Sängerinnen und Sänger stellten aufs Neue ihre Vielseitigkeit und ihr hohes musikalisches Niveau unter Beweis. Eine intonationssichere Stimmführung zeigte der Chor im Dom mit Renaissancegesängen. Die Vokalparts im Rahmen der höfischen Musiken von Lully und Carpentier bewältigte der Chor schwungvoll und in französischer Sprache. Zum Schluss hin gaben die Sängerinnen und Sänger noch einmal alles, denn die Vokalpassagen von David Helbock stellten eine Herausforderung dar. Einesteils bildete der Chor atmosphärische Stimmungen ab und sang andernteils auch rhythmische Vocals.

Viele Worte

Vor jedem Konzert setzte die deutsche Philosophin und Autorin Natalie Knapp Gedankenimpulse in die an diesem Abend geöffneten kulturellen und musikalischen Zeitfenster. Vor allem zu Beginn schoss sie jedoch mit ihrem raschen Redefluss und den allzu weit hergeholten Analogien zwischen der Musikgeschichte und der Pubertät über das Ziel hinaus. So gab es sehr viele Worte, wo die Musik eigentlich für sich selbst besser wirken hätte können. Trotzdem regten einige Ausführungen über die Entdeckung der Individualisierung und die Öffnung des Raumes mittels der Perspektive sowie der Hinweis, dass in unserer Zeit große Errungenschaften mittels Banalisierung ad absurdum geführt werden, zum Weiterdenken an.