Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Silvia Thurner · 18. Nov 2016 · Musik

Mehr Retro-Style als Innovation - Der Eröffnungsabend der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik war wenig inspirierend

Das Wiener Ensemble Phace eröffnete die diesjährigen Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik. Vielversprechend war die Ankündigung von drei Uraufführungen mit Auftragswerken von Mauricio Pauly, Sivan Cohen Elias und Hannes Kerschbaumer sowie einer Werkdeutung von Gerhard E. Winkler. Mit großem Engagement widmeten sich die Musiker den neuen Werken, die alle von mehr oder weniger gut geglückten Verbindungen von realen Sounds, Electronics, notierter Musik und improvisierten Passagen lebten. Insgesamt hinterließ das Konzert in der Remise Bludenz einen eher ernüchternden Eindruck, und dies gleich aus mehreren Gründen.

Die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik finden in diesem Jahr zum 29. Mal statt. Etabliert hat sich das von Hansjörg Frick initiierte Festival unter den künstlerischen Leitern Georg Friedrich Haas, Wolfram Schurig und Alexander Moosbrugger. Prämisse der Programmgestaltung war es stets, neue Werke von Persönlichkeiten zu präsentieren, die im Stande sind, aktuelle kompositorische Positionen aufzuzeigen und zu formulieren. Das bedeutete, dass die allermeisten Auftragskompositionen eine inhaltliche Relevanz hatten. Überdies war der Großteil der Konzertprogramme durchdacht konzipiert.

Zielsetzungen

Clara Iannotta verfolgt ein anderes Ziel. Ihr Hauptinteresse liegt darin, Interaktionen auch zwischen den Genres herzustellen. Ein theatralisch-spielerischer Zugang zur Musik, der nicht nur für die Ohren, sondern auch für die Augen etwas bietet, ist ihr wichtig. Das Bludenzer Festival bietet allen anwesenden Komponisten - und es waren zahlreiche Kollegen aus aller Herren Länder in der Bludenzer Remise anwesend - eine gute und inspirierende Laborsituation für den gegenseitigen Austausch. Komponisten aus Vorarlberg fanden sich zwar im Auditorium, jedoch ist keiner in das Festivalprogramm eingebunden.

Technik täuscht über Substanzlosigkeit hinweg

Die neuen Kompositionen wiesen einen spielerischen Zugang zur musikalischen Performance auf. Doch dieser genügte nicht durchwegs, um über ein bloßes Amüsement hinaus zu kommen. Vor allem das Werk von Sivan Cohen Elias namens „Holes and Tunnels“ für Saxophon, Percussion, Klavier und Elektronik offenbarte wenig Form bildende Substanz und blieb an der oberflächlichen Fabrikation von unterschiedlichsten Klängen stecken. Freilich wurde dem Auge mit Schläuchen, gurgelnden Musikern, Aufziehmännchen und Schiebefigürchen sowie anderem Spielzeug Einiges geboten. Ab und an ließen auch Wechselwirkungen unterschiedlichster Tonqualitäten aufhorchen. Doch insgesamt wirkte dieses Werk wenig überzeugend und allzu beliebig.

Etwas prägnanter als Elias’ Werk klang die Komposition „The Difference in the Building between us“ für verstärktes Quintett mit performativer Elektronik von Mauricio Pauly. Der musikalische Fluss lebte von Pulsationen, großen Klangräumen, die von grellen Sinustönen und dominanten Tieftönern umrissen wurden. Darin eingebettet entwickelten sich abwechslungsreiche Verdichtungsprozesse. Das reale Instrumentarium und die Elektronik gingen abschnittweise reizvolle Annäherungen und Korrespondenzen miteinander ein. Insgesamt hatte ich jedoch den Eindruck, dass die Technik dem musikalischen Fluss allzu mächtig gegenüber stand.

Aufmerksamkeit lenken

Hannes Kerschbaumer machte sich in seinem kurzweiligen Werk „patina“ für fünf Instrumente und räsonierende Oberflächen die Technik mittels Körperschallwandler zunutze und verwendete dieses Tonmaterial als zusätzlichen musikalischen Parameter. Die Wechselspiele zwischen Ereigniseinheiten und deren Reaktionen darauf sowie die gleichzeitig stattfindenden Spreizungen des Klanges erzeugten Erwartungshaltungen und lenkten die Aufmerksamkeit immer wieder auf andere akustische Felder.

Gerhard E. Winklers Komposition „Bikini.Atoll“ für Saxophon, Klavier, Percussion und interaktive Live-Elektronik ist bereits im Jahr 2009 entstanden. Über Lautsprecher wurde ein Raumklang erzeugt, der die Zuhörenden in die Mitte nahm. Echowirkungen, driftende Klänge und Korrespondenzen zwischen Nähe und Distanz boten zahlreiche Anreize beim Hören. Auch formal wirkte dieses Werk in sich stringent.

Inakzeptable Programmaufbereitung

Über neue Kompositionen, Stilrichtungen und musikalische Vorlieben lässt sich hervorragend diskutieren. Diese Auseinandersetzung macht eine Werkschau, bei der viel Neues geboten wird, reizvoll und interessant. Darin liegt unter anderem die Qualität der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik. Dass in diesem Jahr jedoch kein Programmheft vorgelegt wird und in den kopierten Handzetteln nicht einmal die Musikernamen angeführt sind, ist inakzeptabel. Das entspricht nicht dem bisherigen Selbstverständnis der „Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik“. Dazu zählen auch die inhaltlich dürftigen Gespräche, die Clara Iannotta mit den anwesenden Komponisten führte.

 

Weitere Konzerte - btzm, Remise Bludenz
Sa 19.11.: Curious Chamber Orchestra, 20 Uhr
So 20.11.: Präsentation der Werke aus der Meisterklasse des „Curious Chamber Orchester“, 11 Uhr
Nicolas Bernier, Sound and light performance, 17 Uhr