Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Fritz Jurmann · 08. Okt 2013 · Musik

Marathon der Orgelkunst mit sozialem Hintergrund – Bruno Oberhammer beendete seinen Bachzyklus in Höchst mit einer Orgelmesse und vokalem Beistand

Souverän wie immer gestaltete Bruno Oberhammer (66) am Montagabend an der Rieger-Orgel in der Pfarrkirche seiner Heimatgemeinde Höchst auch das 19. und letzte Konzert seines gewaltigen Bach-Orgelzyklus, der ihn die letzten vier Jahre in Atem gehalten hatte. Diese von Pfarre und Kulturreferat der Gemeinde unterstützte Reihe als Teil eines Projektes zum 100-jährigen Jubiläum der dortigen Pfarrkirche war mit einem starken sozialen Aspekt verbunden. Weil Bruno Oberhammer auf jegliches Honorar verzichtete, kamen im Laufe dieser Zeit rund 12.000 Euro an Spenden für ein Lepra- und Tuberkulosezentrum in Südostnigeria zusammen. Projektleiter Herbert Huber und Peter Weber verdreifachten diese Summe mit Hilfe weiterer Sponsoren.

Keiner Schule verpflichtet


19 Konzerte innerhalb von vier Jahren – das sind insgesamt etwa 30 Stunden Spielzeit. Hinter diesen nackten Zahlen steht die enorm fordernde geistige und körperliche Auseinandersetzung mit Johann Sebastian Bachs komplettem Orgelwerk, dessen Gesamtaufführungen in Mitteleuropa in den vergangenen Jahrzehnten sich an einer Hand abzählen lassen. Ein Respekt heischender Marathon der Orgelkunst, der auf verschiedenen Ebenen einiges erbracht hat. Im Künstlerischen kann Oberhammer am Ende für sich verbuchen, dass er sich keiner der heute gängigen stilistischen Schulen, Ideologien und Vorbildern verpflichtet fühlte und mit seinem Zyklus einen sehr persönlichen, eigenständigen, nur dem Komponisten und vielleicht dem lieben Gott verpflichteten Bach in den Raum gestellt hat.

Ebenso wichtig war es ihm aber auch, Bachs Werken für den Zuhörer ihren Schrecken zu nehmen, die angeblich so sperrigen und „schweren“ Werke mit sprühendem Leben zu erfüllen, Bach damit ein Stück weit populärer zu machen. Auch das ist gelungen, die Zahl der Zuhörer wurde von Mal zu Mal größer und erreichte beim Finale beachtliche Dimensionen.

Finger eingeklemmt


Allerdings ist dieses Mammutunternehmen auch nicht ganz ohne Blessuren abgelaufen. Vor zwei Jahren hat sich Oberhammer kurz vor Konzertbeginn den Mittelfinger der linken Hand eingeklemmt und dabei verletzt – das Schlimmste, was einem Organisten passieren kann. Kein Problem für ihn, das Konzert lief wie am Schnürchen, das Publikum hat das Malheur erst bemerkt, als Oberhammer den Leuten im Schlussapplaus seinen lädierten Finger zeigte. Und ein Konzerttermin musste wegen einer schlimmen Grippe des Interpreten verschoben und quasi am Ende der Reihe „angehängt“ werden.

Diese Verschiebung bringt es mit sich, dass am Montag nun der „Dritte Teil der Clavierübung“ am Schluss des Zyklus als Spätwerk Bachs von 1739 passenderweise auch so etwas wie die Summe seines Schaffens in sich vereint. Es ist so etwas wie eine „Orgelmesse“, freilich nach Bachs damaligem Verständnis nicht im katholischen, sondern im reformierten Sinn, aber immerhin mit den wichtigsten synchronen Teilen wie einem dreigeteilten Kyrie, Gloria, Glaubensbekenntnis, Vaterunser, Busse und Abendmahl (Kommunion).

Natürlich fließende Choralsätze


Choralbearbeitungen bilden dabei den Schwerpunkt, die Choralsätze dazu werden wie bei dem in dieser Besetzung als Doppel-CD erschienenen „Orgelbüchlein“ und einem weiteren Konzert wieder von der achtköpfigen „Capella St. Nicolaus“ mit Sängern aus dem Feldkircher Dom unter Domkapellmeister Benjamin Lack in ein- oder vierstimmigen Sätzen vorgestellt. Gesungen wird schlank, kultiviert und natürlich fließend, aber nicht immer ganz ausgewogen.

Absolut bewundernswert ist, mit welch spielerischer Überlegenheit Oberhammer auch hier den meist in dichter Polyphonie gestrickten Orgelsätzen beikommt, den Fluss der Stimmen in deutlicher Artikulation klarlegt und den vielfältigen Charakter der Stücke durch subtile Registrierungen unterstreicht. Dabei kommt auch der Unterschied in der genialen Verarbeitung dieser Kirchenlieder zwischen einer „großen“ Ausgabe mit Pedal sowie einer „kleinen“ Ausgabe nur auf meist zwei verschiedenen Manualen deutlich zum Ausdruck.

Unglaubliche harmonische Kühnheit


Schon das dritte „Kyrie“ lässt durch seine unglaubliche harmonische Kühnheit aufhorchen, mit der Bach seiner Zeit weit vorauseilte. Im Gloria umspielen einander eine Flöten- und eine Aliquotenstimme in heller Durchsichtigkeit, der Glaube wird  volltönend mit „Wir glauben all an einen Gott“ manifestiert, im „Vater unser im Himmelreich“ bewältigt Oberhammer auch das wohl komplizierteste Stück des gesamten Zyklus mit links, ebenso wie bei der Busse „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“, wo der Satz mit Hilfe eines Doppelpedals auf Sechsstimmigkeit (!) erweitert wird. Gut, dass Bruno Oberhammer neben seiner enormen geistigen Beweglichkeit auch über eine solche im körperlichen Bereich verfügt.

Wenn sich angesichts der extremen technischen Ansprüche und des Umfanges von 90 Minuten auch hin und wieder kleine Unsauberkeiten bei ihm einschleichen – der große inhaltliche Bogen stimmt, Bachs Orgelkosmos in dieser Messe wirkt abgerundet und überzeugt in voller Schönheit und Geschlossenheit. Eingerahmt wird diese Sammlung durch das prächtig gravitätische Es-Dur-Präludium und die dazugehörige fünfstimmige fröhlich-freche Fuge zur Ehre der Dreieinigkeit, bei der sich Oberhammer geradezu in einen Rausch des vollen Orgelpleno spielt und damit minutenlangen Beifall auslöst. Und auf die Frage, ob er nach diesen vier Jahren Bachs nicht überdrüssig sei, spontan antwortet: „Bach – jetzt erst recht!“

Den Wahrheitsbeweis wird er gleich nächstes Jahr mit einer neuen Orgelreihe in Höchst unter dem Titel „Wege zu Bach“ antreten, wie das Kulturreferentin Heidi Schuster-Burda in ihren Dankesworten ankündigte.