Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 06. Jul 2014 · Musik

König Fußball gegen Könige der Blasmusik: Tolles SBV-Jahreskonzert litt unter Besuchermangel

Auch manch eingefleischter Blasmusik-Liebhaber scheint in diesen Wochen das runde Leder den Klängen des höchstrangigen Blasorchesters weitum vorzuziehen. Anders ist die schüttere Besucherkulisse in der nur zu zwei Dritteln besetzten Götzner Kulturbühne AmBach am Samstagabend nicht zu erklären. Schade für viele, denn das auf sensationellem Niveau stehende Jahreskonzert des Sinfonischen Blasorchesters Vorarlberg (SBV) unter Thomas Ludescher war mindestens so spannend wie eines der Spiele von der Fußball-WM in Brasilien.

Auf zu neuen Ufern

So wie erstmals im Vorjahr war auch dieses Konzert von einem besonderen sozialen Hintergrund geprägt. Unter dem Motto „Auf zu neuen Ufern – Musik grenzenlos“ wurde die Integration fremder Kulturen und von Menschen mit Behinderung zum geistigen Zentrum des Abends erklärt. Man wollte sich jedoch nicht als übliche Benefizveranstaltung sehen, bei der am Ende ein Scheck mit dem Reinerlös das Gewissen aller Beteiligten beruhigt, sondern als BenefiT-Gala, von der alle Beteiligten profitieren: die Trägerschaft mit der Gemeinschaftsstiftung Rheintal und dem Rotary Club Feldkirch, das Land Vorarlberg als Subventionsgeber und die Vorarlberger Lebenshilfe mit ihren Schützlingen, von denen man eine Anzahl samt Betreuern auf diesen Abend vorbereitet und zum Konzert eingeladen hat.

Diese Vorbereitung geschah diesmal in besonders sinnvoller Weise in den drei Lebenshilfe-ARTeliers Loackerhuus Götzis sowie den Brockenhäusern in Sulz und Lochau, wo diese Menschen mit Beeinträchtigung ihre oft erstaunlich ausgeprägte künstlerische Ader in eigenen Bildkompositionen ausleben können. Dort trafen im Frühjahr fünf Musiker des SBV mit Behinderten zusammen und spielten ihnen zum Abbau von Berührungsängsten und als künstlerische Anregung Themen aus dem Hauptwerk des Konzertabends vor, Modest Mussorgskis bekanntem Zyklus „Bilder einer Ausstellung“.

Eine Auswahl der dabei entstandenen Bilder wurde im Foyer der Kulturbühne ausgestellt und im Vorfeld des Konzertes mit einer eigenen Vernissage eröffnet, bei der Landtagspräsidentin Gabriele Nußbaumer, Paul Margreitter als Vizepräsident der Lebenshilfe sowie Anselm Hartmann für die Gemeinschaftsstiftung Rheintal sprachen. Dieser Aspekt setzte sich in dem von Hartmann auch kompetent moderierten Konzertabend fort, als zu Beginn die Flötistin Sabrina Ellensohn und der Klarinettist und Konzertmeister Erich Berthold über ihre positiven und menschlich berührenden Erfahrungen bei diesen Treffen berichteten.

Ein ausgewählter Elite-Klangkörper

Das 1998 ins Leben gerufene SBV versteht sich als Elite-Klangkörper, der von seiner Besetzung her, mit innovativen Programmkonzeptionen und einer ausgefeilten Klangkultur die scheinbar begrenzten Möglichkeiten einer Blaskapelle aufzubrechen versucht. Dass dies inzwischen auf imponierende Weise gelungen ist, beweisen mehrfache Auszeichnungen bei den Wettbewerben der weltbesten Blasorchester im holländischen Blasmusik-Mekka Kerkrade. In seiner Organisationsform hat sich das SBV inzwischen vom Vorarlberger Blasmusikverband gelöst und firmiert seit 2012 in der Rechtsform einer gemeinnützigen GmbH mit einem künstlerischen und einem kaufmännischen Geschäftsführer.

Geleitet wird das Sinfonische Blasorchester seit Anbeginn von seinem Gründer Thomas Ludescher, auch Landeskapellmeister des Blasmusikverbandes, der zu diesem Konzert wieder seine exzellent vorbereitete Truppe aus professionell gebildeten Blasmusikern der Region um sich geschart hat. Ein Blick auf die Besetzung genügt, um äußere Besonderheiten zu erkennen. Da findet man in der Blasmusik so exotisch anmutende Instrumente wie zwei Celli und zwei Kontrabässe sowie eine Harfe. Sie sind der klanglichen Annäherung an ein Symphonieorchester geschuldet – eine Möglichkeit, wie sie Thomas Ludescher eindrucksvoll bereits vor einigen Jahren am Beispiel von Strawinskys „Sacre du Printemps“ demonstriert hat.

Das scheinbar Unmögliche möglich gemacht

Auch diesmal macht er das scheinbar Unmögliche möglich, begegnet mit seinen Musikern einem so bekannten Orchesterwerk wie Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ mit großem Selbstbewusstsein, realisiert dieses Werk letztlich zwar klanglich anders, aber, mit kleinen Abweichungen in der Präzision, auf demselben beeindruckenden Spielniveau wie ein herkömmliches Symphonieorchester.

In einem ausgeklügelten Arrangement von José Schyns entstehen auch in dieser Version Klangbilder von großer Ausdruckskraft, Flexibilität und Vielfalt – von den schweren Akkorden im „alten Schloss“ über die flinken Küken, den Marktplatz von Limoges mit den schnatternden Weibern, die düsteren Katakomben und die Hexe Baba-Yaga bis zu dem aus mächtigen Klangmassen aufgebauten „Großen Tor von Kiew“. Da wird mit großer Wärme musiziert, weich und rund in den Flügelhörnern und Hörnern, wenn nötig dennoch strahlend mit Trompeteneinwürfen und kompetent im Rhythmus mit vier mächtigen Tuben und einem virtuos besetzten, kräftig zulangenden Schlagzeugregister.

Ausgeklügeltes Probenmanagement

Voraussetzung für solch atemberaubendes Niveau ist neben der gezielten Auswahl einer jährlichen Stammmannschaft freilich auch ein ausgeklügeltes Probenmanagement mit Einzelstudium zuhause, Registerproben und damit nur relativ wenigen Gesamtproben. Man hat angesichts des Raumes gegenüber früheren Konzerten die Anzahl der Musiker diesmal auf 64 beschränkt, mit einer geschätzten Frauenquote von einem Drittel. Bei den gewaltigen Steigerungen und effektvollen Forte-Ausbrüchen, wie sie Thomas Ludescher so sehr liebt und von den Seinen mit Vehemenz fordert, werden in der begrenzten Saalakustik AmBach doch relativ rasch die Grenzen erreicht und auch überschritten. Dafür hätte man sich manchmal auch ein wirkliches Piano gewünscht.

Solcher Klang-Spektakel geschieht im ersten Teil, der vor allem mit maßgeschneiderten Arrangements bestückt ist. Einer fanfarenartigen Orgel-„Intrada“ von Pablo Bruna zum Auftakt folgt als einziges Originalwerk für Blasorchester eine dunkel gefärbte, feierliche Abfolge von „Russian Christmas Music“ des amerikanischen Blasmusikspezialisten Alfred Reed, gekrönt durch ein traumhaftes Englischhorn-Solo. Wie überhaupt die Solisten aus den Reihen des SBV sich durchwegs nervenstark und überlegen zeigen, aber leider anonym bleiben.

Basler Fasnachtstrommeln

Im weiteren Verlauf folgen in der Uraufführung eines Arrangements von Katrin Berchtold „Tres morillas m’enamoran“ erotische Lieder eines anonymen arabisch-spanischen Autors um 1300. Aus dem Jahr 1986 stammt das modernste Werk des Abends, Cristóbal Halffters „Tiento del primer tono“, der in Verehrung für Paul Sacher auf rhythmische Element von Basler Fasnachtstrommeln zurückgreift, daneben den Musikern in kollektiven Improvisationen und Klangballungen auch eine Menge an Freiheiten zugesteht. Die Zuhörer zeigen sich überaus begeistert und erklatschen sich von den Musikern zwei Zugaben.

Die nächsten Aktivitäten des SBV sind ein Orchestercamp für junge Musiker vom 17. bis 19. Oktober im Montafon und die Gala 2015 im neuen Montforthaus Feldkirch.