Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Silvia Thurner · 30. Apr 2017 · Musik

Klangsinnliche und bewegende Leidenschaft – das „Quinteto del arco nuevo“ und der Bandoneonist Luciano Jungman ließen Tangos in vielen Farben schillern

Die Geigerin Monica Tarcsay ist fasziniert vom argentinischen Tango. Um sich dieser Musik mehr zu widmen, gründete sie vor sechs Jahren das „Quinteto del arco nuevo“. Gemeinsam mit dem Bandoneonisten Luciano Jungman präsentierten Monica Tarcsay und ihr Ensemble nun im Pfarrsaal in Höchst ihr neuestes Projekt „Colores del Tango 21“ mit zahlreichen neuen Kompositionen von Marcus Nigsch, Tscho Theissing, Enrico Lawarini und Luciano Jungman. Alle Komponisten haben auf ihre eigene Art den Tango Nuevo - wie man ihn von Astor Piazzolla kennt und liebt - weiter gedacht. Mit viel Esprit und emotionsgeladen boten die Musikerinnen und Musiker das anspruchsvolle Programm dar. Der Funke der Begeisterung sprang unmittelbar auf das Publikum im voll besetzten Saal über.

Der argentinische Tango verlangt nach einer ganz besonderen Bogentechnik, mittels der die rhythmische Kraft und die leidenschaftliche musikalische Rhetorik dieser Musik zur Geltung kommen. Genau diese Spielarten beherrschen Monica Tarcsay an der Primgeige und Gyöngyi Ellensohn (Violine), Karoline Kurzemann-Pilz (Viola), Stefan Susanna (Violoncello) und Bernd Konzett (Kontrabass) hervorragend und stellten sie mit großer musikalischer Aussagekraft dar. Und dies, obwohl eine Erkrankung der Geigerin Clarigna Küng eine Besetzungsänderung notwendig gemacht hat. So musizierte Gyöngyi Ellensohn den Part der zweiten Violine und die Bratscherin Karoline Kurzemann-Pilz sprang als Ersatz ein. Übermütig, teilweise aber etwas launisch führte Bernd Konzett durch das Programm.

Gemeinsam hat sich das Ensemble viel vorgenommen, denn bereits im Vorfeld wurde etwas vollmundig verlautbart, mit diesem Konzert eine „Tango-Evolution“ starten zu wollen. Ob dem so ist, lässt sich erst später beurteilen. Auf jeden Fall wurde ein Anfang gesetzt und mit den dargebotenen neuen Kompositionen kamen vielgestaltige Emotionen und musikalische Farben zum Ausdruck, die die Zuhörenden berührten.

Im Kreis der engagierten Ensemblemusiker bildete Luciano Jungman mit seinem sinnlichen Spiel des Bandoneons ein impulsives musikalisches Zentrum. Der Atem, der von diesem äußerlich kleinen Instrument ausging, dessen vielfältige Balgführung ganz erstaunliche klangliche Nuancierungen zuließ, sowie der direkte Sound der Zungenstimmen verströmten Elan. Luciano Jungman musizierte einige Werke stehend, das Bandoneon auf dem Knie postiert. Der mitteilsame Sprachduktus der Tangomusik kam unter anderem in seinem Werk „Bandoneon fuga y final“ sehr gut zur Geltung, unterstrichen durch wirkungsvolle Glissandi, Verzögerungen und kraftvolle Klangvariationen der Streicher. Das einfache, aber raffinierte Hauptthema stellte sich als sehr wandlungsfähig heraus, so dass ein großes Spektrum an emotionalen Feldern eröffnet wurde.

Musikalischer Spielplatz

„Phantango“ nannte Tscho Theissing sein Werk. Die ironisch spielerische Herangehensweise stellte vor allem das fantasievolle Spiel zwischen den einzelnen Stimmen in den Vordergrund. So entfalteten die Musiker einen unterhaltsamen Spielplatz von Assoziationen. Motive und Themen wurden herumgereicht, variiert und gut nachvollziehbar zueinander in Beziehung gestellt.

Fast programmatisch wirkte Tscho Theissigs Stück „Epitafio-Präludio & Astor-Sator“. Am Beginn ließen die Streicher die Flageoletts tanzen, bis sich aus diesem feinen Klanggewebe allmählich die Motive herauskristallisierten. Pizzicati im Kontrabass bildeten dazu eine pochende Zeitachse. Spannend entwickelten sich bis zum Schluss hin Erwartungshaltungen mit manchen überraschenden Wendungen und fugierten Abschnitten. Die Art und Weise wie das „Quinteto del arco nuevo“ die unterschiedlichen Spielanweisungen auslotete, lenkte die Aufmerksamkeit auf sich.

Erzählende Musik

Enrico Lavarinis „Rettangoloso“ verströmte eine ganz andere Wirkung. Dieses Werk entfaltete durch ein harmonisch vielfältiges Umfeld mit zahlreichen homophon geführten Passagen, wirkungsvollen Echowirkungen und Geschwindigkeitsschwankungen einen erzählenden Duktus. Die melodischen Gesten nahmen viel Raum ein, und die chromatischen Durchgänge verliehen der Musik großen Nachdruck.

In Musik gesetzte Lebensbilder

Musik zu einem imaginären Film hat der Vorarlberger Komponist Marcus Nigsch für das „Quinteto del arco nuevo“ und Luciano Jungmann geschaffen. In seinem zehnteiligen Werk „Imágenes Vivas“ goss er unterschiedliche Gefühlslagen vielfältig in Musik und stellte das Innenleben eines imaginierten Protagonisten in unterschiedlichen „Szenen“ dar. Beziehungsreich waren die Untertitel der einzelnen Abschnitte, denn sie regten die Fantasie beim Hören an. Acht der zehn Bilder brachten das „Quinteto del arco nuevo“ und Luciano Jungman im Höchster Pfarrsaal zur Uraufführung. Zwei eher komplex angelegte Stücke blieben ausgespart, und außerdem änderten die Musiker die Reihenfolge der acht Einzelwerke. Darunter litt die Gesamtdramaturgie, weil sich der auskomponierte Spannungsbogen nicht entwickeln konnte.

Kommunikative Musik

Die einzelnen Stücke waren mit kommunikativen Themen gut austariert und führten die Zuhörenden unmittelbar hinein ins Geschehen. Mitreißend wirkte beispielsweise „Die Bestie Schuld“, die den Musikern viel abverlangte. Die Rhythmen erklangen ineinander verzahnt, dauernd wechselte der Bewegungsfluss zwischen Energie geladenen Passagen und suchenden Gesten. Wirbelnde Motive und klangsinnliche solistische Gedanken in der ersten Violine wechselten einander im Teil „Der Dämon des Schönen“ ab, wo die Zeit in atmosphärisch fein gewobenen Klangfeldern gedehnt erklang. Gut nachvollziehbar wirkte jener Abschnitt, in der sich aus einem diffusen Klanggrund allmählich die motivischen Gedanken herauskristallisierten. Der Titel „Ungenaues Fühlen“ benannte das musikalische Erlebnis treffend. Weitere, eher lyrisch angelegte Teile versinnbildlichten unter anderem mit Tremoli und teilweise sonoren Streicherlagen, leidenschaftlich bewegten melodischen Gedanken und Wechseltonmotiven, schwingenden und schreitenden Rhythmen und nuancierten Klangfarbenspielen gut dargestellte Gefühlswelten wie Lust, Erholung, Leiden und Fröhlichkeit.