Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 23. Jul 2013 · Musik

Gipfelstürme, Klangkaskaden und Ruhepole – Das erste Orchesterkonzert bei den Bregenzer Festspielen beinhaltete Gegensätze

Größer hätte der Kontrast der beiden Konzerthälften beim ersten Orchesterkonzert der Bregenzer Festspiele nicht sein können. Zuerst präsentierten der Solist Maciej Grzybowski und die Wiener Symphoniker in einem gemeinsamen Kraftakt das raffiniert gebaute und zugleich vertrackte Klavierkonzert op. 4 von André Tchaikowsky. Dann schwelgte das Orchester unter der Leitung Paul Daniel in den raumgreifenden melodischen Linien und Klängen der zweiten Symphonie von Sergej Rachmaninoff.

Mit Spannung wurde das Klavierkonzert von André Tchaikowsky erwartet. Dicht gesetzt und melodisch sowie rhythmisch bis ins Detail ausgeklügelt, mit gewaltigen Klangkaskaden sowie unvermittelten Brüchen und elegischen Toninseln stellte der Klaviersolopart außerordentliche Anforderungen an den Pianisten. Und eben so hoch war die Herausforderung für die Orchestermusiker, denn André Tchaikowsky nahm mit seinen eher kleinräumig konzipierten und über weite Strecken kontrapunktisch ineinander verzahnten rhythmisch-melodischen Floskeln wenig Rücksicht auf den großen Orchesterapparat.

Ein geradliniges Thema beinhaltete die Ausgangsmaterialien, aus denen André Tchaikowsky einen Gutteil der Motive entwickelte. Schubartig und mit einer Stimmenaufteilung, die unterschiedliche Zeitachsen implizierte, führte der musikalische Strom in eher dunklen Farben zu vollgriffigen Akkordkaskaden. Enge Beziehungsmuster zwischen den Orchesterinstrumenten und dem Klavier schufen immer wieder andere Dialogstrukturen, die die Aufmerksamkeit auf sich lenkten und die Zuhörenden in ihren Bann zogen. Besondere Klangfarbenwirkungen entstanden in der intensiven Auseinandersetzung des Klaviers mit den Pauken, dem Drumset sowie der Marimba.

Die Kräfte gebündelt und Energien freigesetzt


Eine große Erwartungshaltung bewirkten die vorwärtstreibende Motorik sowie Allusionen an die Jazzmusik. Obwohl das Werk mitunter einige plakative Momente beinhaltete, hinterließen vor allem die schlüssige Ordnung der musikalischen Verarbeitung und die Fülle der Ereignisse, die auf engstem Raum zueinander in Beziehung gesetzt wurden, einen tiefen Eindruck. Überraschende Wendungen und sinnliche Klanginseln sorgten für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Spannung und Ruhe im dichten Geschehen der einzelnen Ereignisse.

Höchste Bewunderung gilt dem Solisten Maciej Grzybowski, der den höchst anspruchsvollen Klavierpart meisterhaft bewältigte, obwohl er insgesamt eher nervös und unruhig agierte. Auch die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Paul Daniel überzeugten durch ihre konzentrierte und engagierte Spielart.

Klangsinnlich, aber nicht sentimental


Die zweite Symphonie von Sergej Rachmaninoff bildete nach der aufwühlenden österreichischen Erstaufführung des Tchaikowsky-Konzertes einen Gegensatz, an den ich mich zuerst gewöhnen musste. Was sich vorher in der vertikalen Linie der Gleichzeitigkeit abgespielt hatte, wirkte bei Rachmaninoff wie auf der horizontalen Zeitachse entfaltet. Die Orchestermusiker und Paul Daniel zelebrierten die raumgreifenden dynamischen Linien und leuchteten sie mit vielerlei Klangfarbenspielen aus. Vor allem der zweiten Satz verströmte eine ausgewogene innere Spannkraft. Viel Zeit gewährte der Dirigent dem Adagio bevor im Finalsatz die Zügel wieder straffer gespannt wurden. Die Werkdeutung wirkte klangschwelgerisch und üppig, aber nicht sentimental. Das Publikum applaudierte begeistert.