Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Silvia Thurner · 18. Apr 2017 · Musik

Freundschaft beflügelt – Kirill Petrenko und das Symphonieorchester Vorarlberg sowie der Bariton Daniel Schmutzhard sorgten in Bregenz für Jubelstimmung

Längst hat sich im Land herumgesprochen, dass der Mahler Zyklus 9x9 des Symphonieorchesters Vorarlberg mit dem befreundeten Dirigenten Kirill Petrenko ganz besondere Ereignisse darstellen, die in die Orchestergeschichte eingehen werden. Aus gutem Grund waren deshalb das Montforthaus Feldkirch, das Festspielhaus Bregenz und die Kulturbühne AmBach, wo die Generalprobe stattgefunden hat, längst ausverkauft. Die Aufführung von Mahlers fünfter Symphonie sowie die Deutung der "Lieder eines fahrenden Gesellen" mit dem Bariton Daniel Schmutzhard bescherten den Zuhörenden außergewöhnliche Erlebnisse. Der mitreißende Gestaltungswille des Orchesters und die sprühende Energie von Kirill Petrenko verliehen den Werkdeutungen eine große Spannkraft.

Der Dirigent Kirill Petrenko hat innerhalb kurzer Zeit international Karriere gemacht. Neben seiner musikalischen Souveränität hat er die besondere Gabe, seine ganz genau verinnerlichten Klangvorstellungen nach außen zu tragen und sie den Musikerinnen und Musikern in einem freundschaftlichen Einvernehmen zu vermitteln.

Einleitend gestalteten der Bariton Daniel Schmutzhard und das SOV die Mahlerlieder „Wenn mein Schatz Hochzeit macht“, „Ging heut’ morgen übers Feld“, „Ich hab’ ein glühend Messer in meiner Brust“ und „Die zwei blauen Augen von meinem Schatz“ mit einem wunderbar verinnerlichten Ton. Textdeutlich und im Timbre nuanciert verlieh der Sänger den Liedern einen intensiven Ausdruck. Getragen wurde Daniel Schmutzhard von einem riesigen Orchesterapparat. Die Musikerinnen und Musiker formten den Instrumentalpart sensibel, indem sie die Poetik des Textes unterstrichen, nachzeichneten, überhöhten und mannigfaltig interpretierten. Im Zusammenwirken des Sängers und des Orchesters bildete sich ein tiefsinnig zelebriertes musikalisches Ganzes, das eine eindringliche Wirkung verströmte.

Sensible und klangsinnliche Lieddeutungen


Beispielsweise kamen die zweifelnden und verzweifelten Gefühle im Lied „Ging heut’ morgen übers Feld“ vielsagend zur Geltung. Mit bewundernswerter Zurückhaltung entfalteten die Orchestermusiker eine größtmögliche Wirkung. Schneidende Motive, grelle Bläserpassagen und Tonballungen versinnbildlichten in „Ich hab’ ein glühend Messer in meiner Brust“ den Schmerz. Viel Raum verliehen die Musiker dem Vokalpart im Lied „Die zwei blauen Augen von meinem Schatz“. Auf diese Weise entfalteten sich der schreitende Duktus des Wanderers und die Tonsymbolik mit den fallenden Gesten und erdigen Klängen am Schluss.

Konzentration und Begeisterung


Höchste Erwartungen hatte ich an die Interpretation der fünften Symphonie von Gustav Mahler mit dem Symphonieorchester Vorarlberg und Kirill Petrenko. Interessant war die Frage, wie die Musiker den gemeinsamen Atem und den Energiefluss durch das ganze Werk führen werden, ob das freundschaftliche Zusammenwirken auch für das Publikum spürbar sein wird, mit welcher Intensität Kirill Petrenko und das SOV Gustav Mahlers musikalischen Kosmos aus zwiespältigen und widerstreitenden Emotionen, differenzierten Klangfarben, thematischen und rhythmischen Transformationen, Tonballungen und klanglichen Kulminationspunkten beleben werden. Die Spielart des Symphonieorchesters ließ den Funken der Begeisterung rasch auf das Publikum überspringen und führte sogleich mitten hinein in die vielschichtige Musik.

Herausragende Solisten


Bewunderung verdient zuerst Roché Jenny, der die Symphonie mit markanten Trompetensignalen eröffnete und weitere Kommentare ausdrucksstark setzte. Ebenso spielte der Hornist Zoltan Holb die solistischen Passagen mit einer Ruhe und einem Piano, das Staunen machte. Die ambivalenten Gefühle loteten die Orchestermusiker im ersten Satz in vielgestaltigen Formen aus. Den Trauermarsch zelebrierten sie mit erhabenem Duktus. Harmonisch sich aufhellende Motive traten in einen Widerstreit mit gleißenden Klängen. Brodelnde Untergründe trübten idyllische Passagen ein. Mit Dämpfer gespielte Themen, sich aufbäumende und wieder einstürzende Klangtürme und zahlreiche Echowirkungen erklangen in einem spannungsgeladenen Neben- und Miteinander. Im Mittelteil lösten sich die motivisch-thematischen „Verstrickungen“ und ein musikalisch weitläufigerer Raum wurde geöffnet.

Im Hinblick auf nuancierte Klangfarbenspiele hat Gustav Mahler aus dem Vollen geschöpft und Kirill Petrenko kristallisierte mit dem SOV genau diese Qualitäten heraus und machte deutlich wie modern Gustav Mahler am Beginn des 20. Jahrhunderts Tonlinien und -schichten organisierte, um eine größtmögliche Wirkung zu erzeugen.

Gute Charakterisierungen


Walzer und Ländler charakterisierten das Scherzo. Hier stellten die Musiker die doppelbödige Fröhlichkeit durch einen unterschwellig wirkenden Klanggrund in Frage. In Erinnerung blieben darüber hinaus zahlreiche Soli aus den Reihen der Holz- und Blechbläser. Berühmt ist das Adagietto, das mit einem schwebenden Duktus und wunderbar sonoren Klangqualitäten angestimmt wurde. Eine gute Zugkraft bewirkten die besonders betonten Leittöne, ohne in die Sentimentalität abzugleiten.

Übermütiges Vergnügen


Die kompositorische Anlage der Symphonie zielt auf das Finale hin, das die Orchestermusiker mit überschäumendem Esprit in den Raum stellten. Dabei gab es zwar manche Ungereimtheiten zu umschiffen, aber insgesamt entwickelte sich ein energiegeladener Drive. Kirill Petrenko kurbelte diesen zum Schluss hin noch einmal an, um der leidenschaftlichen, sich aufhellenden Dramatik der Musik in einer fulminanten Steigerung Ausdruck zu verleihen.

Begeistert jubelte das Publikum. Viele Zuhörende hielt es nicht mehr auf ihren Sitzen und so endete das ausgelassene musikalische Fest mit Standing Ovations.

 

Radiotipp:

Am 30. April und 8. Mai jeweils ab 20 Uhr werden Ausschnitte im „Konzert am Sonntag“ in Radio Vorarlberg gesendet.