Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Fritz Jurmann · 06. Jul 2017 · Musik

Buchungen und Proben laufen wie am Schnürchen – Bregenzer Festspiele vor einer Rekordsaison

Beim traditionellen Pressetag der Bregenzer Festspiele am Donnerstagvormittag, knapp zwei Wochen vor dem Start des Festivals am 19. Juli, wurde internationalen Medienvertretern Einblick in die letzten Proben der beiden großen Opernproduktionen am See und im Haus gewährt, Georges Bizets „Carmen“ und Gioacchino Rossinis „Moses in Ägypten“. Dabei wurde unter Leitung von Pressesprecher Axel Renner in Gesprächen mit den Leading Teams auch der Hintergrund der jeweiligen Inszenierungen ausgeleuchtet. Die künstlerischen Vorbereitungen liegen derzeit, auch dank des guten Wetters der letzten Zeit, voll im Plan, der Vorverkauf für das „Spiel auf dem See“ hat mit über 90 Prozent ein Allzeithoch im Vergleich mit den letzten Jahren erreicht (Karten gibt es nur noch für August-Vorstellungen). Bereits komplett ausgebucht sind die drei Aufführungen der Hausoper.

Dementsprechend schlägt sich auch nichts von der düsteren Stimmung der „Carmen“, der die in einem eigenwilligen Bühnenbild festgehaltenen Karten den Tod prophezeien, auf die Gemüter der Festspiel-Verantwortlichen. Allein der kaufmännische Direktor Michael Diem gibt sich bloß zurückhaltend „vorsichtig optimistisch“. Er ist erst dann zufrieden, wenn auch die letzte Karte verkauft ist. Elisabeth Sobotka dagegen genießt in ihrer dritten Saison als Intendantin geradezu die zunehmende Aufregung in den letzten Tagen vor dem Start, die sich für sie freilich zunehmend auch in Begeisterung aller Beteiligten für die große Sache wandelt.

Erstmals wieder Schauspiel – als Gegenpol

Stolz ist Sobotka darauf, dass heuer nach vielen Jahren das Schauspiel ins Programm der Festspiele zurückkehrt, was bis zuletzt aus finanziellen Gründen nicht möglich war. Gespielt wird aber nicht irgendein beliebiges Werk, sondern als ganz bewusster Gegenpol zur Hausoper „Moses in Ägypten“ das Stück „The Situation“ in einer Aufführung durch das Maxim Gorki Theater. Damit soll ein heutiger Kommentar abgegeben, eine künstlerische Auseinandersetzung ausgelöst werden zum nach wie vor schwelenden Konflikt im Nahen Osten.

Die Idee, 25 Jahre nach der letzten „Carmen“-Produktion am See in den Jahren 1991/92 dieses international gefragte Erfolgsstück erneut hier anzusetzen, geht auf das Jahr 2012 zurück, als sich Elisabeth Sobotka mit dem dänischen Regisseur Kasper Holten und der britischen Bühnenbildnerin Es Devlin zum Brainstorming traf. Es war der dringende Wunsch der beiden Gesprächspartner, „Carmen“ in Bregenz verwirklichen zu dürfen, weil es eben ein ideales Stück für den See sei.

Eine Bühnenbildidee durch Zufall

Dabei entstanden auf der Suche nach einem zugkräftigen Sujet für das Bühnenbild auch die von zwei Frauenhänden symbolhaft in die Luft geworfenen Spielkarten mit ihrer unheilvollen Verheißung, die in den kommenden zwei Jahren als Skulptur das Geschehen rund um die Festspiele prägen werden. Natürlich werden die Karten im Lauf des Spiels durch die Drehbühne verändert und durch Projektionen und Video-Zuspielungen auf ihre Rückseite quasi kommentierend zum Leben erweckt.

Kasper Holten findet die Arbeit auf der Seebühne zwar anstrengend – „Ich habe schon ein paar Kilo abgenommen!“ –, aber eine überaus tolle Herausforderung, bei der es ihm darum geht, die Geschichte der weisen, geheimnisvollen Zigeunerin Carmen zu erzählen. Die Frau hat gelernt, stark zu sein, stets die Kontrolle über sich zu behalten, auch bei Schicksalsschlägen. Aber auch frei zu sein, auch frei von Liebe. Deswegen funktioniert auch ihre Beziehung mit Don José nicht, dem anderen Außenseiter. So verharren beide in ihrer Einsamkeit, das ist für Holten der Schlüssel. Damit werden auch die beiden Elemente Luft und Wasser in die Begriffe Freiheit und Schicksal umgesetzt. Dieses Regiekonzept muss er mit gleich drei verschiedenen Besetzungen einstudieren, die alternierend die fast täglichen Vorstellungen singen. Holten ist, gerade wegen der Dimensionen der Bühne, dabei das intensive Kammerspiel wichtig, die Psychologie, die in den Köpfen der Akteure Platz greifen sollte.

Ping-Pong-Spiel mit dem Regisseur

Dies bestätigt auch die anwesende attraktive Premiere-„Carmen“, die französische Mezzosopranistin Gaelle Arquez. Für sie ist die Figur der Carmen unabhängig, temperamentvoll, auch aggressiv und vor allem mit einer Message, die nicht nur über gute Stimme und schöne Arien, sondern über den Text transportiert wird. Die Proben sind für sie wie ein Ping-Pong-Spiel mit dem Regisseur, der immer wieder auch ihre Impulse aufnimmt und umsetzt.

Es Devlin ist erst die zweite Frau in der Geschichte der Festspiele nach der kürzlich verstorbenen Wanda Milliore von 1946, die künstlerisch in einer führenden Funktion als Bühnenbildnerin tätig ist. Elisabeth Sobotka macht sich dazu aus weiblicher Sicht ihre Gedanken, dass nicht nur in den Orchestern, sondern auch allgemein in der Kunst bis noch vor nicht allzu langer Zeit das Motto gegolten habe „Frauen sind keine Künstler, die können das nicht!“ Auch nach dem längst eingetretenen Sinneswandel zu diesem Thema ist Es Devlin für sie nun ein weiterer Beweis dafür, dass es geniale Kreativität selbstverständlich auch bei Frauen gibt.

Nach Jahrzehnten wieder Belcanto in Bregenz

Im Festspielhaus geht „Moses in Ägypten“ („Mosè in Egitto“) in Szene, eine absolute Opernrarität und ein typisches Werk des Belcanto. Eine Musikrichtung, die zuletzt in Bregenz in den siebziger Jahren in der Ära des ersten Festspieldirektors Ernst Bär mit jährlichen Produktionen italienischer Ensembles am Kornmarkt intensiv gepflegt wurde. Diese große Oper zeigt den üblicherweise heiteren Rossini mit seinen populären Buffos wie dem „Barbier von Sevilla“ einmal von seiner ernsten Seite, mit großen Chören wie dem Gebet der gefangenen Israeliten, bis heute das bekannteste Stück dieser Oper.

In dem biblischen Stoff aus dem Alten Testament geht es um die Befreiung der Israeliten aus der Knechtschaft der Ägypter, die Plagen und die Spaltung des Roten Meeres – auf einer Bühne ein waghalsiges Unterfangen, das sich die erstmals hier tätige niederländische Regisseurin Lotte de Beer gemeinsam mit dem niederländischen Theaterkollektiv „Hotel Modern“ vorgenommen hat. Diese Gruppe entwirft winzige Puppen und Objekte, die sich in einer eigens gebauten Umgebung live auf der Bühne bewegen und durch Kameras gefilmt auf eine Leinwand übertragen werden. Durch historische Forschung über die Zeit um 1000 vor Christus will man diese Darstellungen möglichst authentisch gestalten.

Ein „Gotteslabor“ auf der Bühne

„Menschen auf der Bühne mit einer Miniaturwelt spielen zu sehen, die das Leben winziger Kreaturen beeinflussen, gibt mir automatisch die Assoziation eines Gottes, der mit der Welt spielt. Es erinnert fast an ein Labor“, erläutert de Beer. Das größte Problem dabei wird sein, die Livemusik der Sänger und des Orchesters im Ablauf mit diesen Zuspielungen zu koordinieren. Am Pult steht erstmals hier bei einer Oper Enrique Mazzola, der mit den Wiener Symphonikern bereits drei Tage in Wien ausgiebig geprobt hat. Die Ausstattung der Oper mit einem riesigen Globus im Zentrum und Einsatz der Drehbühne stammt von Christof Hetzer, dem Bühnenbildner von „Hoffmanns Erzählungen“ in der Saison 2015. Gespielt wird die Originalversion des Werkes von 1818, nach Meinung von Elisabeth Sobotka die stärkere gegenüber einer später entstandenen französischen Fassung.

 

Informationen und Tickets unter www.bregenzerfestspiele.com sowie unter Telefon 0043 5574 4076.