Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Fritz Jurmann · 07. Jul 2016 · Musik

Bregenzer Festspiele - „Turandot“ füllt die Kassen, „Hamlet“-Entdeckung verspricht Opernspannung zwischen Sein und Schein

Groß war das Interesse regionaler und internationaler Medien am Donnerstagmittag für den Pressetag der Bregenzer Festspiele, der damit traditionsgemäß 14 Tage vor Beginn des diesjährigen Jubiläumsfestivals Einblick gab in die letzten Proben der beiden großen Produktionen dieses Jahres am See und im Festspielhaus. Pressesprecher Axel Renner führte wie gewohnt ebenso kundig wie locker durch die Gespräche. Eigentlich sind es heuer ja die 71. Festspiele, gefeiert wird aber deren Gründung vor 70 Jahren mit einer auf einem Kieskahn nachgestellten Aufführung des Mozarts-Singspiels „Bastien und Bastienne“ bereits am 19. Juli, dem Vorabend der Eröffnung, im Bregenzer Gondelhafen. Das soll, bei freiem Eintritt und ohne jede technische Verstärkung, quasi „unplugged“, eine Geste der Verbeugung vor den Gründern des Festivals sein.

Große Oper im Festspielhaus hat die neue Intendantin Elisabeth Sobotka bei ihrem Amtsantritt versprochen. Nach dem internationalen Erfolg von Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ in der Regie des genialen Stefan Herheim 2015 löst sie ihr Versprechen nun mit einer italienischen Opernentdeckung von 1865 ein, die erst vor zwei Jahren in den USA wieder aufgeführt wurde und nun als Eröffnungspremiere am 20. Juli zur österreichischen Erstaufführung kommt. Es ist William Shakespeares „Hamlet“-Stoff, nach einem Libretto des bekannten Arrigo Boito zur italienischen Oper „Amleto“ vertont von dem heute fast unbekannten Franco Faccio und genau zum heurigen 400. Todestag des Dichters auf die Bühne gebracht.

Bereicherung für das internationale Opernrepertoire?


Was wie eine Punktlandung aussieht, hat einen ganz realen Hintergrund, weil nämlich Elisabeth Sobotka einst ihre Dissertation diesem Thema gewidmet und sich nun selbst ihren seit damals dringlichen Wunsch nach einer Realisierung dieser Oper erfüllt hat. Und natürlich inständig hofft, dass das Werk nach dessen Inszenierung durch den französischen Regisseur Olivier Tambosi unter dem Dirigat von Paolo Carignani Eingang in das internationale Opernrepertoire finden wird. Nach den ersten Probeneindrücken und Statements bei dieser Pressekonferenz scheint das durchaus denkbar. Denn das seit Wochen in Bregenz probende Team ist spürbar beseelt und hoch motiviert von diesem in vieler Hinsicht bahnbrechenden Stück und dessen Umsetzung, die von allen als willkommenes Abenteuer empfunden wird. Gelobt werden unisono die idealen Produktionsbedingungen in Bregenz mit Proben von Anfang an auf der Hauptbühne und vor allem genügend Zeit, um bis zuletzt an allen musikalischen und szenischen Details zu feilen.

Den Journalisten wird als erste Kostprobe die sogenannte „Mausefalle“-Szene, das Finale des 2. Aktes, vorgespielt – ein pompöses großes Tableau mit Chor, Solisten und einer vorderhand nur am Klavier begleiteten Musik, die in bester italienischer Tradition Leidenschaft und Belcanto atmet. Für Regisseur Tambosi gilt dieser  „Hamlet“, der auch in jeder Schauspiel-Inszenierung immer wieder neue Fragen aufwirft, in seiner schweren Fasslichkeit als der „Mount Everest der Theaterstücke“, wie Hanslick einmal gemeint hat, auch als die „Mona Lisa der Literatur“. Es ist in seiner Vielschichtigkeit auch ein sehr politisches Stück, das die Fehlbarkeit, die Verantwortungslosigkeit und die Lüge von Politik aufdeckt, ebenso aber auch ein Familiendrama, wo es um Sein oder Schein geht, wenn einer dem anderen nur ein Theater im Theater vorspielt.

Ins Herz und in den Bauch getroffen


Zur Vertonung meint Tambosi: „Wagner schreibt wörtlich: ‚Der Musiker soll sich nicht um das bekümmern, was ihn nichts angeht.‘ Dennoch: Was Faccio und Boito da mit Hamlet versucht haben, das Original im Sprechtheater mit mehr als fünf Stunden Spieldauer zu verdichten auf die normale Aufführungsdauer einer Oper von drei Stunden, ist ziemlich genial. Es ist nicht die ganz große Revolution im Opernbereich, es war ein neuer Versuch, Musik etwas abseits von Verdi neu zu erfinden. Das ist vor allem dort gelungen, wo sich Faccio exzentrisch gibt und das wunderbar aufgeht wie im Trauermarsch oder im Terzett, wo es mich schon beim ersten Hören ins Herz und in den Bauch getroffen hat. Und was insgesamt dabei herausgekommen ist, ist jedenfalls eine tolle Oper!“

Freilich auch mit einer mörderisch schweren Partie für den Titelhelden. Dieser ist mit dem tschechischen Tenor Pavel Cernoch besetzt, der sich drei Jahre lang mit der Vorbereitung für diese Partie befasst hat. In der Rolle der Giovanna findet man die im heimischen Konzertleben verhaftete Vorarlberger Sopranistin Sabine Winter, der nach kleinen Einspringer-Partien nun der Sprung auf die große Opernbühne der Festspiele gelungen ist.

Dirigent Carignani fühlt sich mit dem Komponisten seelenverwandt und identifiziert sich mit ihm. Auch Faccio war neben dem Komponieren als Dirigent tätig, Carignani wiederum komponiert auch neben dem Dirigieren. Er wird erstmals in einer Doppelfunktion neben den drei Vorstellungen von „Hamlet“ im Haus auch den Großteil der 24 „Turandot“-Aufführungen am See dirigieren. Dazu meint er lachend: „Das ist durchaus zumutbar. Am Vormittag probe ich Hamlet, am Abend Turandot. Ich will lieber gute Musik machen als arbeiten!“

„Turandot“ war der erwartete Renner am See


Puccinis Oper „Turandot“ am See war im Vorjahr der erwartete große Renner, der von Kritik wie Publikum sehr gut angenommen und mit einer Auslastung von 99 Prozent zur bestverkauften Puccini-Oper der Festspiele wurde. Die Wiederaufnahme einer auch so erfolgreichen Produktion im zweiten Jahr verläuft erfahrungsgemäß etwas zäher. Doch laut des kaufmännischen Direktors Michael Diem sind diesmal bereits 75 Prozent der 162.000 aufgelegten Karten verkauft, Tickets sind dennoch in allen Kategorien für alle Vorstellungen noch erhältlich. Angepeilt wird heuer eine Auslastung von etwa 95 Prozent. Zu 75 Prozent gebucht sind auch die 4.600 Tickets für „Hamlet“, die Premiere am 20. Juli ist ausverkauft.

Die große Frage bei der Wiederaufnahme einer Seeproduktion steht auch heuer im Raum: Wird sich an der Inszenierung etwas ändern? Der Schweizer Marco Arturo Marelli, im Vorjahr erstmals in Bregenz und gleich in der Doppelfunktion als Regisseur und Bühnenbildner tätig, gibt sich im Pressegespräch kryptisch: „Man geht beim zweiten Mal mit etwas Abstand, ganz ohne Druck und viel entspannter an die Sache heran. Das gibt einem auch den Freiraum, mal Dinge anders auszuprobieren. Aber grundsätzlich wird diese Inszenierung natürlich nicht verändert.“ Bei der Besetzung sind die drei „Turandots“ des letzten Jahres heuer wieder mit dabei, ein Zeichen, dass ihnen diese Aufgabe bei allen möglichen Widrigkeiten eines Open Air auch Spaß gemacht hat, die drei Tenöre für die Partie des Kalaf sind heuer neu.

Nicht einmal der überdurchschnittlich hohe Wasserstand des Bodensees kann das Leading Team im Moment aus der Ruhe bringen. Axel Renner: „Der Pegel sinkt täglich um vier Zentimeter, so sieht man die im Wasser versunkenen Terrakotta-Krieger langsam wieder.“ Und den italienischen Fußballfans im Team zuliebe hat man wegen der laufenden Fußball-Europameisterschaft auch schon mal eine Bühnenprobe verschoben. Da ist sie wieder, die von den Künstlern so gelobte gute Arbeitsatmosphäre in Bregenz, aus der heraus immer wieder jene große Oper entstehen kann, wie sie Elisabeth Sobotka von Anfang an versprochen hat.

 

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