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Wolfram Schurig · 22. Jun 2017 · Musik

Beethoven und das Volkslied - Christoph Prégardien, Carolin Widmann, Marie-Elisabeth Hecker und Martin Helmchen beim Kammerkonzert der Schubertiade

Beim Kammerkonzert der Schubertiade mit Christoph Prégardien, Carolin Widmann, Marie-Elisabeth Hecker und Martin Helmchen gab es im ausverkauften Schwarzenberger Angelika-Kauffmann-Saal neben Meilensteinen der Kammermusikliteratur auch echte Raritäten zu hören.

Reizvolle Programmgestaltung

Wer weiß schon, dass Ludwig van Beethoven im Auftrag des schottischen Volksliedsammlers George Thomas zwischen 1809 und 1820 an die 180 Volksliedarrangements für Stimme und Klaviertrio anfertigte. Entsprechend selten sind sie auf Konzertprogrammen zu finden. Schade, denn Beethoven gelingt hier anscheinend mühelos das Kunststück, das stilistische Idiom der insularen Volksmusik in seine eigene Musiksprache zu transformieren, ohne ihm Gewalt anzutun. Zudem sprühen die Stücke von einem Ideenreichtum, der weit über jene der Vorlagen hinausgeht und die Lieder in den Rang eigenständiger Kompositionen hebt. Dies zeigte auch die im Konzert präsentierte Auswahl in einer abwechslungsreichen Mischung aus schwungvollen Nummern überwiegend bukolischen oder amourösen Inhalts und lyrisch- melancholischen Liedern. Für einen Sänger vom Format eines Christoph Prégardien ist diese Musik wie geschaffen, um alle Register seines Könnens zu ziehen - und dies tat er auch. Beeindruckend, wie mühelos es Prégardien gelang, den gesamten Farbenreichtum seiner Stimme auszuloten. Die daraus resultierende musikalische Ausdruckspalette war enorm und wurde durch die fast schon schauspielerische Verve seiner Bühnendarstellung noch verstärkt. Dennoch wirkte nichts an seiner Interpretation überzogen, und es blieb mehr als genug Raum für seine exzellenten kammermusikalischen Mitstreiter, über ihre heiklen Begleitaufgaben hinaus auch noch musikalische Akzente zu setzen: atemberaubend, wie beispielsweise Carolin Widmann in „Sunset“ auch im leisesten Pianissimo ihre Violine zum Singen brachte, oder wie es den drei Musikern gelang, die metrisch vertrackte Konstruktion von „Sally in our alley“ rhythmisch herauszuarbeiten.

Klaviertrio in Perfektion

Der „Rest“ des Konzertes gehörte mit dem „Notturno“ D 897 und dem monumentalen Es-Dur Klaviertrio D 929 ganz den Instrumentalisten und Franz Schubert. Was vor allem beim „Notturno“ beeindruckte, war das enorm differenzierte Spiel von Carolin Widmann an der Violine und Marie-Elisabeth Hecker am Cello, das auch vor der gläsernen Schönheit vibratoloser Liegetöne nicht zurückschreckte, sowie der farbige und - wo erforderlich – kontrolliert opulente Klavierklang von Martin Helmchen, der den mitunter sehr vollgriffigen Schubertschen Klaviersatz wirkungsvoll zur Geltung brachte, ohne jemals die Streicher in Bedrängnis zu bringen.

Das Trio D 929 ist ein echter Prüfstein für jedes Klaviertrio und in jeder Hinsicht eine technische, konditionelle und auch eine musikalisch-interpretatorische Herausforderung. Das macht es für den Zuhörer umso spannender, dieses Stück immer wieder auch im Konzert anzuhören, um erleben zu können, wie verschiedene Interpreten an die Bewältigung dieses „Brockens“ herangehen. Die Interpretation des Ehepaars Hecker/Helmchen und von Carolin Widmann ist eine derjenigen, die in Erinnerung bleiben wird. Das ausgesprochen farbenreiche und differenzierte Instrumentalspiel aller Musiker, das bereits im „Notturno aufgefallen war, setzte sich hier schlüssig fort und ein Interpretationspotential frei, das anderen Ensembles durch Dauervibrato und großzügigen Pedalgebrauch gar nicht erst zugänglich ist. Bei aller Detailgenauigkeit war aber auch die Gesamtkonzeption wohlüberlegt und angesichts der Länge des Werkes eine dramaturgische Meisterleistung. Überraschend war etwa gleich zu Beginn die sehr geradlinige Ausführung des in sich stark zergliederten Hauptthemas; eine Entscheidung, die angesichts der Fülle an weiterem Motivmaterial, sehr viel Klarheit in den formalen Ablauf des ersten Satzes bringt. Erfreulich war auch, dass dann im Andante des 2. Satzes das „con moto“ einmal ernst genommen wurde; bezaubernd war hier das modulationsreiche Cellospiel Marie-Elisabeth Heckers. Im dritten Satz gelang besonders der Kontrast zwischen ländlichem Scherzando und forschem Trio ganz ausgezeichnet. Das Highlight des dritten Satzes, vielleicht auch des ganzen Trios, war für mich die Durchführung, die an Dramatik kaum zu überbieten war, da sie bei aller Wildheit durchhörbar, klanglich balanciert und in den Artikulationen präzise blieb. Die ohnehin schon intensive Wirkung der Wiederkehr des schlichten Themas aus dem 2. Satz wirkte danach wie vom anderen Stern.

Ein Kammermusikkonzert wie man es sich wünscht: frei von Routine und Allüren, geprägt vom gemeinsamen Streben nach der bestmöglichen Darstellung der präsentierten Musik.