Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 23. Jun 2015 · Musik

Auf dem Weg zum „Petrenko-Klang“ – Kirill Petrenko wird als Nachfolger von Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker

Mit einer Überraschung warteten die Berliner Philharmoniker am vergangenen Sonntag auf. Die Musikerinnen und Musiker wählten in einer demokratischen Abstimmung Kirill Petrenko als neuen Chefdirigenten des weltberühmten und traditionsreichen Orchesters. Die Wahl kam überraschend, weil der aus Russland stammende, eng mit Vorarlberg verbundene Kirill Petrenko in der Öffentlichkeit bislang nicht in der engeren Auswahl für diese Berufung gestanden hatte. Die Fußstapfen sind groß, denn er folgt in drei Jahren Simon Rattle nach. Wer den bescheidenen Dirigenten kennt und vor allem alle Musikerinnen und Musiker, die mit ihm zusammen gearbeitet haben, sind sich einig, dass er das Format hat, die Berliner Philharmoniker und ihren berühmten Orchesterklang weiterzuentwickeln und individuell zu prägen. Bis zur Übernahme im Jahr 2018 bereichert Kirill Petrenko als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper das Haus und das Orchester in München.

Die Wahl Kirill Petrenkos zum Chef der Berliner Philharmoniker bewegt und freut viele Musikbegeisterte und Musikinteressierte in Vorarlberg. Als Jugendlicher kam er mit seiner Familie aus Russland nach Vorarlberg. Hier war sein Vater, Gary Petrenko, als Musikschullehrer tätig und gründete zusammen mit Irakli Gogibedaschwili das „Kammerorchester Arpeggione Hohenems“. Kirill studierte am Landeskonservatorium in Feldkirch bei Ferenc Bognar Klavier. Freundschaftliche Beziehungen gibt es viele nach Vorarlberg, denn die ersten Erfahrungen als Orchesterleiter machte er hier als Dirigent des Orchesters der „tonart“ Musikschule Mittleres Rheintal, beim „Arpeggione Kammerorchester“ und beim Symphonieorchester Vorarlberg.

Freundschaftliche Verbundenheit


Die Idee, alle Mahler-Symphonien gemeinsam mit Kirill Petrenko und dem Symphonieorchester Vorarlberg aufzuführen, entwickelte der damalige Geschäftsführer Michael Löbl gemeinsam mit dem nunmehrigen designierten Chefdirigenten. In zwei Jahren soll diese Zusammenarbeit fortgesetzt werden, die als Meilenstein in die Geschichte des Symphonieorchesters Vorarlberg eingehen wird.

Kirill Petrenko hat sich in den vergangenen Jahren – an der Volksoper Wien, in Meiningen, an der Komischen Oper in Berlin, in Bayreuth und derzeit in München – hauptsächlich als Operndirigent profiliert. Doch zahlreiche renommierte Orchester auf der ganzen Welt hat er bereits dirigiert, darunter drei Mal die Berliner Philharmoniker. Im Zusammenhang mit der aktuellen Wahl wird die künstlerische Qualifikation einhellig hoch gelobt. Doch wird vor allem von Journalisten bemängelt, dass Kirill Petrenko wenig kommunikativ sei. Vor wenigen Monaten sagte dazu eine Mitarbeiterin von Kirill Petrenko bei einer Interviewanfrage treffend, dass der derzeitige Generalmusikdirektor sich durch die Musik und seine Werkdeutungen ausdrücken wolle und nicht mit Worten.

Wenig Kommunikation nach außen, viel nach innen


Kirill Petrenko kommuniziert ungern nach außen, Interviews und oberflächliche Gespräche über musikalische Inhalte lenken ihn vom Wesentlichen ab. Wichtig ist ihm der direkte Dialog mit den Musikerinnen und Musikern. Dazu besitzt er die besondere Gabe, seine Klangvorstellungen unmittelbar vermitteln zu können. In einem Gespräch vor einigen Jahren beschrieb Kirill Petrenko seinen individuellen Zugang. „Ich versuche, das professionelle Ich eines jeden Musikers anzusprechen, indem ich an der Sache arbeite“, antwortete er auf die Frage, wie er Musiker motiviert. „Eigentlich funktioniert das sehr simpel, ohne viel Drumherum, sondern anhand der Partitur selbst. Ein Musiker muss verstehen, dass es mir um die Musik geht. Wenn er das versteht, tut er sein Bestes dazu.“

In intensiven Arbeits- und Aneignungsprozessen analysiert und (er)hört Kirill Petrenko „den Klang“ der Musik und vermittelt diesen an „seine“ Musiker weiter. Dies ist ein vielschichtiger Prozess, wie er selbst beschreibt. „Erstens muss ich diese Klangvorstellung selbst haben. Wenn ich das Stück studiere, wiederhole ich das sozusagen so oft in mir selbst, beim Studium. Ich singe das für mich, ich höre das so oft in mir drinnen, bis ich genau höre, welcher Klang in mir selbst klingt. Wenn ich das verstanden habe, versuche ich das festzuhalten und zu analysieren, warum dieser Klang so ist, wie ich ihn möchte. Ist das so, weil hier die Bläser besonders gut spielen oder ist das so, weil die Streicher besonders lange spielen oder von allem ein bisschen? Wenn ich das für mich analysiere, kann ich das in die einzelnen Teilchen zerlegen und dann mit den Musikern gemeinsam wieder zusammensetzen. Das ist eigentlich relativ einfach. Schwer ist, in sich diesen Klang festzuhalten.“

Eine zukunftsweisende Entscheidung


Kirill Petrenko versteht es „diesen Klang festzuhalten“, darin sind sich alle einig. Andreas Göbel vom „Kulturradio Berlin, rbb“ freute sich über die „musikalisch gute Wahl“ der Berliner Philharmoniker. Herbert von Karajan hat mit den Berliner Philharmonikern den berühmten „Karajan-Klang“ entwickelt. Genau dieses traut er auch dem Klangtüftler Kirill Petrenko zu. Recht hat er. Herzliche Gratulation und alles Gute!

 

Tipps zum Weiterlesen

http://www.zeit.de/kultur/musik/2015-06/berliner-philharmoniker-kirill-petrenko-nachfolge-rattle

http://www.rbb-online.de/kultur/thema/2015/berliner-philharmoniker/beitraege/Philharmoniker-neuer-Chefdirigent.html