Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Fritz Jurmann · 25. Jul 2014 · Musik

„Zauberflöte“ die Zweite – Pountneys Spektakel am See ist turbulent in die neue Saison gestartet

Donnerstagabend, 21.15 Uhr, Bregenzer Seebühne. Der Himmel ist klar, die Temperatur um die 20 Grad, nicht zu heiß und nicht zu kühl – insgesamt also ideale Bedingungen für die Premiere der Wiederaufnahme von Mozarts „Zauberflöte“ bei den Bregenzer Festspielen. Es ist, wie zu erwarten war, mit kleinen Adaptierungen das opulente und turbulente vorjährige Fantasy-Gewand, mit dem David Pountney die traditionelle Mozartoper clever ein Stück in unsere Gegenwart geholt hat und das auch heuer gleich beim ersten Mal die Massen auf der ausverkauften Tribüne samt politischer und gesellschaftlicher Prominenz begeistert. Mit ihren neuen Stars im Ensemble wie der Sopranistin Daniela Fally als „Königin der Nacht“ halten die Festspiele entgegen sonstiger Gepflogenheiten bei dieser Premiere freilich noch hinterm Berg. Es spricht aber für das Casting des Festivals, dass sich dadurch nichts an der musikalischen Qualität des Abends ändert. An dieser haben auch die sehr konzentriert, klangschön und in mozartgerechter Schlankheit aufspielenden Wiener Symphoniker unter Patrick Summers wesentlichen Anteil.

Rekord in der Festspielgeschichte


Das Publikum hat nach der 99-prozentigen Auslastung vom Vorjahr auch heuer bereits mit solcher Vehemenz sein positives Votum zu David Pountneys Erfolgs-Inszenierung abgegeben, dass im Moment von den 29 Vorstellungen über 90 Prozent der Karten verkauft sind. Das ist mehr als je zuvor in der Geschichte der Festspiele – und das in einem zweiten Jahr! So werden letztlich, wenn der Wettergott mitspielt, insgesamt über 400.000 Menschen diese Aufführung gesehen haben. Und Pountney kann seiner Nachfolgerin Elisabeth Sobotka ein auch finanziell gut aufgestelltes Unternehmen hinterlassen.

Abgesehen von nackten Zahlen ist über diese aufsehenerregende Produktion bereits im Vorjahr sehr viel geschrieben, gesagt und analysiert worden. Was also gibt es da noch groß zu berichten über eine Wiederaufnahme, die längst zum Selbstläufer mutiert ist? Interessant bleibt allemal die Tatsache, ob und wie der Regisseur seine Arbeit im zweiten Jahr doch noch verfeinert und differenziert hat. Das ist es, was alte „Seehasen“ daran interessiert – und zu dieser Spezies darf sich auch Ihr KULTUR-Rezensent zählen, der bereits 1952 im zarten Alter von zehn Jahren mit der Operette „Der Vogelhändler“ von Carl Zeller seine erste Seeproduktion erlebt hat.

Pountney selbst hat heuer im Vorfeld bei Pressegesprächen verlauten lassen, gerade die „Zauberflöte“ sei inhaltlich eigentlich eine Art Stückwerk, mit dessen Bewältigung ein Regisseur niemals wirklich fertig werden könne. Da gebe es immer noch etwas zu feilen am Bestehenden, und das wolle er in diesem zweiten Jahr konzentriert und gezielt machen. Welche Details das sein würden, hat Herr Pountney den Journalisten freilich nicht verraten. In der Tat geht es, wie sich am Donnerstag herausstellte, dabei um Marginalien, getreu dem Motto „Never Change A Winning Production“.

Papageno – eine Figur aus dem Wiener Volkstheater


Auch diesmal wird beim Erscheinen des Papageno mit seinem Lied „Der Vogelfänger bin ich ja“ in den Publikumsreihen rundum mitgesummt – dieser naive Naturbursche aus dem Wiener Volkstheater wird wieder schnurstracks zur volkstümlichen Identifikationsfigur für viele Zuseher. Der deutsche Bariton Markus Brück legt diese Partie naturgemäß weniger österreichisch an, als es im Vorjahr seine Kollegen Paul Armin Edelmann oder Daniel Schmutzhard getan haben. Doch er ist gesanglich auf der Höhe und besticht vor allem durch seine prononcierte Sprechkultur. Sein Papageno erhält mit der reizend quirligen heimischen Sopranistin Susanne Großsteiner eine auch stimmlich angenehme Partnerin und hat heuer zudem einen Wiedehopf zur Seite bekommen, den Lieblingsvogel Pountneys, in Form eines Puppenspielers, was für manchen Lacher sorgt.

Wie überhaupt das Puppenspiel von „Blind Summit Theatre“ heuer noch verfeinert wurde: das Spiel der großen schillernden Vogelpuppen, hinter denen sich die drei Damen verbergen, und der optisch noch immer gewöhnungsbedürftigen drei Knaben mit ihren überdimensionalen Kahlköpfen und winzigen Ärmchen. Warum diese Knaben entgegen von Mozarts dezidierter Anweisung auch heuer von Frauenstimmen gesungen werden, bleibt eines der Rätsel dieser Produktion. Knabenstimmen klingen nun einmal nicht nur für Fachleute deutlich anders.

Der Raub der Pamina


In ihrem Eindruck verstärkt wurde die Feuerprobe mit brennenden Stuntmen auf den Brücken, die mit der Zeit selber Feuer fangen. Apropos: Die Spiderman-artigen Geschöpfe, die sich während der fast zweieinhalbstündigen Aufführung immer wieder waghalsig von diesen Brücken abseilen, agieren heuer doch etwas schaumgebremst mit weniger Geschrei und Getümmel. Das kommt dem Musikfreund zugute, der die mit dem Raub der Pamina durch Sarastros Schergen bebilderte Ouvertüre mit ihren hehren Freimaurer-Akkorden möglichst ungestört genießen möchte.

David Pountneys mutige Umkehr von Mozarts und Schikaneders tradierter Schwarz-Weiß-Malerei in die „böse“ Königin der Nacht und den „guten“ Sarastro funktioniert auch beim zweiten Mal als ungewohnte, aber letztlich durchaus einleuchtende Interpretationsmöglichkeit. Hier hat neben der Königin auch Sarastro seine dunklen Seiten, lässt foltern und verfolgen und beginnt seine erste Arie wieder konsequent erst mit der zweiten Strophe. Denn der Anfang, „In diesen heil’gen Hallen kennt man die Rache nicht“ wäre wohl unlogisch zum Handlungsablauf gewesen, und kürzen musste man das üblicherweise dreistündige Werk ja ohnehin. Übrigens hätte man liebend gern auch auf den Dialog der Königin mit ihrem verstorbenen Mann aus dem Off verzichtet – eine Szene mit Projektion wie in der Geisterbahn.

Exzellent besetzte „Königin der Nacht“


Die „Königin der Nacht“ ist bei der Premiere mit der Amerikanerin Kathryn Lewek besetzt, die diese Partie bereits an der Met gesungen hat und demnächst an der Wiener Staatsoper singen wird. Mit flammender Attacke schleudert sie ihre beiden gefürchteten Koloraturarien mit den extrem hohen F’s in den nachtschwarzen Himmel. Schade, dass sie bei den gesprochenen Texten einen Slang hat. Auch der wunderbar tragende Bass von Alfred Reiter als tyrannischer Sarastro ist wie im Vorjahr durchaus bewunderungswürdig, Mozarts wenige Chöre finden im Prager Philharmonischen Chor eine ausgewogene Deutung. Bernarda Bobro gibt eine edle, ihren wunderbar lyrischen Sopran auskostende Pamina, auch Norman Reinhardt als Tamino erfüllt seinen Part durchaus glaubhaft, mit fast heldischen Tönen und aristokratischer Würde.

Alexander Kaimbacher als triebhafter Monostatos überzeugt zwar darstellerisch, gerät aber bei seiner Arie in arge Koordinationsnöte mit dem an dieser Stelle vom amerikanischen Dirigenten Summers ordentlich angetriebenen Orchester. Ansonsten funktioniert dieses Zusammenspiel über Monitore mit der Bühne draußen und dem Orchester im Saal den ganzen Abend über reibungslos, Mozart kommt in klugen Tempi und dynamisch differenziert zu seinem Recht, und die diesmal perfekt eingestellte Soundanlage des Bregenzer Akustik-Systems sorgt zudem für einen angenehmen, nicht zu lauten und klanglich sehr gut ausbalancierten Sound, der in seiner Monumentalität einfach den Dimensionen der Riesenbühne entspricht.

Zum Bregenzer Wahrzeichen geworden


Diese, von Johan Engels ersonnen, ist mit ihrem drehbaren Schildkrötenpanzer, den etwas zu oft auf- und abgeblasenen Grashalmen und den drei feuerspeienden Drachenhunden längst zu einem besonderen Wahrzeichen von Bregenz geworden. Die Pyrotechnik, das Licht spielen zudem in einem perfekt gestylten Ablauf wieder alle erwarteten Stückchen, zum Erstaunen und zur Freude der Besucher. Und wenn zum Finale aus der mit Gemetzelten übersäten Bühne das Paar Pamina und Tamino nassen Fußes an Land und damit in eine bessere Zukunft schreitet, dann ist das ein bleibendes Zeichen der Hoffnung und Zuversicht, in die das Auditorium mit der Verantwortung für Menschlichkeit miteinbezogen wird. Diese geistige Botschaft ist angekommen, ebenso wie der Spaß, den die meisten wohl mit diesem spannenden und kurzweiligen Abend hatten. Der finale Beifall der Premierenbesucher für Darsteller und Leading Team ist lange und herzlich.

 

Insgesamt 29 Aufführungen von Mozarts „Zauberflöte“ auf der Bregenzer Seebühne bis inklusive 24. August – Beginn im Juli 21.15 Uhr, im August 21.00 Uhr – Dauer zwei Stunden 20 Minuten ohne Pause