Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Silvia Thurner · 17. Aug 2013 · Musik

„Kannst du Wahrheit von Lüge unterscheiden?“ – Olga Neuwirths „American Lulu“ fand Zustimmung, wirkte jedoch mitunter auch etwas bemüht

Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth hat Alban Bergs Opernfragment „Lulu“ neu interpretiert. Viel beachtet wurde die Uraufführung im vergangenen September an der Komischen Oper Berlin. Nun präsentierten die Bregenzer Festspiele „American Lulu“ im Rahmen der Kunst aus der Zeit in einer aussagekräftigen Inszenierung mit hervorragenden DarstellerInnen. Olga Neuwirths Sicht auf Lulu und ihre Umdeutung wurden in den ersten beiden Akten anschaulich umgesetzt. Der neu dazu komponierte dritte Akt wirkte musikalisch überzeugend, allerdings relativierten die allzu moralisierenden Inhalte den positiven Gesamteindruck.

Schon die Originaloper „Lulu“ von Alban Berg ist ein vielschichtiges Werk. Olga Neuwirth setzte ihrer Neuinterpretation noch eines drauf, weil sie die ursprünglichen Charaktereigenschaften und die Sicht auf die handelnden Personen in eine andere gesellschaftliche Perspektive stellte. Olga Neuwirths Lulu ist ein Opfer sexuellen Missbrauchs, das wurde schon am Beginn klar. Dies erklärte auch die kalte und berechnende Art Lulus in zwischenmenschlichen Beziehungen. Emotional unbeteiligt und egozentrisch nahm sie sich, was sie wollte. Erst der Mord an Dr. Bloom und dessen Konsequenzen warfen sie aus der Bahn, und für Lulu begann sich eine Negativspirale zu drehen, aus der sie sich nicht mehr befreien konnte.

Musikalische Spannungsverhältnisse

 

In den ersten beiden Abschnitten hat sich Olga Neuwirth an der vielschichtigen Musik Alban Bergs orientiert. Allein durch die Uminstrumentierung für Jazzband und Streicher schuf sie eine vielfarbige Musik. Zusammen mit der Stringenz der zwölftönig angelegten musikalischen Sinneinheiten ergab dies ein dichtes und mitreißendes musikalisches Gefüge.

Hervorragend gelungen ist der Komponistin das Spannungsverhältnis zwischen der dichten zwölftönigen Anlage und den Jazzidiomen, das im Original von Berg angelegt ist. Auch die Art wie diese Stilmerkmale in den dritten Akt transferiert und kompositorisch mit eigenen Ausdrucksmitteln verwoben wurden, wirkte auf mich sehr überzeugend.

Verortung nachvollziehbar, aber teilweise bemüht

 

Olga Neuwirth hatte die Handlung der Oper in die Zeit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 50-er bis 70-er Jahre verlegt. Lulu ist eine schwarze und hat dadurch mit zweifacher Diskrimierung, als Frau und als Schwarze, zu kämpfen. Schnitte des Originals hat die Komponistin mit Zuspielungen von Reden Martin Luther Kings markiert. Anregend entfaltete das Orchester dabei die musikalischen Zeitfelder mit den liegenden Akkorden. Die Reden über Gerechtigkeit und die Botschaften Martin Luther Kings wirkten im Zusammenhang mit dem Aussagegehalt der Musik auf mich etwas weit hergeholt, obwohl ich ihnen die inhaltliche Relevanz nicht absprechen möchte.

Ambivalenter dritter Akt

 

Den dritten Akt hat Olga Neuwirth neu komponiert und darin ihre eigene Sprache entwickelt, ohne einen großen Bruch zum Vorangegangenen zu erzeugen. Der Einsatz der Jazzband und die dazu gestellten Klangflächen sowie die teilweise auch raumgreifenden Stimmführungen bis in höchste Register ergaben ein vielgestaltiges musikalisches Ganzes. Olga Neuwirth führte neben Lulu unter anderem die lesbischen Sängerin Eleanor als Protagonistin ein und gewährte beiden breiten Raum. Die Stimmen der im Opernfach ausgebildeten Angel Blue und der Jazzsängerin Jacqui Dankworth waren raffiniert gesetzte Gegenpole. Anfangs entfalteten diese ihre Wirkung voll, allerdings verblasste der Reiz schnell. Die beiden Frauen hatten eine konträre Weltsicht und sie schonten einander in ihrem Disput nicht. Doch gerade während dieser langen Passage wirkte die Handlung, verstärkt durch die allzu bemüht wirkenden Texte, unnötig moralisierend und in die Länge gezogen.

Stark beendete Olga Neuwirth die Oper mit musikalisch treibenden und stillstehenden Flächen und einem offenen Schluss. Lulu wurde ermordet, von wem, blieb offen.

Beeindruckendes Ensemble

 

Ein hervorragendes Ensemble interpretierte „American Lulu“ als österreichische Erstaufführung auf der Werkstattbühne. Allen voran zeichnete sich Angel Blue als stimmlich und darstellerisch herausragende Hauptfigur aus. Auch die anderen Rollen mit Robert Winslade Anderson (Clarence), Paul Curievici (Painter), Donald Maxwell (Dr. Bloom), Jonathan Stoughton (Jimmy), Jacqui Dankworth (Eleonor) Simon Wilding (Athlete) und Paul Reeves (Professor u.a.) entfalteten ihre Qualitäten.

Orchester bündelte die Energien

 

Gerry Cornelius leitete „The Orchestra of Scottish Opera“ mit bewundernswerter Ausdruckskraft. Zahlreiche bis ins Detail ausformulierte Feinheiten unterstrichen über die gesamte Aufführung hinweg die engen Verbindungslinien zwischen den SängerInnen und dem Orchesterpart. Sie an dieser Stelle aufzuzählen, sprengt den Rahmen, jedenfalls bündelten sich immer wieder an Schlüsselstellen die Energien. Dass die Musik im Mittelpunkt des Geschehens stand, betonte auch der Regisseur John Fulljames mit seiner außergewöhnlichen Bühnengestaltung. Das Orchester war lediglich durch einen transparenten Vorhang von der relativ kleinen Handlungsfläche im Bühnenvordergrund getrennt.

Hervorragende Regie

 

Das Regiekonzept von John Fulljames war auf das Wesentliche konzentriert. Der transparente Vorhang umschloss einerseits einen physischen Raum, auf dem die Handlung verortet wurde. Andrerseits diente der Vorhang als Projektionsfläche für Lulus psychische Befindlichkeiten. Auf diese Weise entfaltete sich die Kraft gleichzeitig dargestellter emotionaler Ebenen eindrucksvoll.