Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Karlheinz Pichler · 01. Feb 2017 · Literatur

Wenn Daten durch Gestaltung visuell lesbar werden: Ein Buchprojekt anlässlich 40 Jahre Atelier Gassner

Das x-fach national und international ausgezeichnete Schlinser Gestaltungsbüro „Atelier Gassner“ beging 2016 sein vierzigstes Bestandsjahr. Anlässlich dieses bemerkenswerten  Jubiläums erscheint nun im Frühjahr im Sonderzahl Verlag ein Buch, das 15 erlesene Projekte des Ateliers dokumentiert. Dabei handelt es sich nicht um die typischen Grafik-Design-Bereiche, sondern um besondere Arbeiten in den Themenfeldern Raum, Architektur, Grafik, visuelle und verbale Kommunikation. Beschrieben werden sie von den Atelierinhabern Andrea und Reinhard Gassner. Externe Textbeiträge stammen von Alberto Alessi, Walter Bohatsch, Köbi Gantenbein, Otto Kapfinger sowie von Roland Jörg, dem auch die Schriftleitung zukommt. Karlheinz Pichler führte für KULTUR zu diesem Buchprojekt, in dem sich auch wichtige Aspekte des Vorarlberger Informationsdesign widerspiegeln, folgendes Interview.

Karlheinz Pichler: Ihr Atelier ist 1976 eröffnet worden, feierte also im vergangenen Jahr das 40. Bestandsjahr. Was hat sich in diesen Jahrzehnten in Sachen Design in Vorarlberg verändert?
Reinhard Gassner: Das massive Auftreten und die allgegenwärtige Nutzung digitaler Medien hat unsere Art zu kommunizieren seit den 1990er-Jahren völlig verändert. Die neu entstehenden virtuellen Kommunikationsräume überrumpeln uns, sind immer in Bewegung, müssen permanent neu verhandelt werden. Logos und Marken werden mehr und mehr durch eine noch nie dagewesene Bilderflut und die globale Auffindbarkeit von jedem und allem konkurrenziert. Wenn inzwischen selbst für Kinder das Generieren und Manipulieren von Bildern selbstverständlich ist, dann wird die Bedeutung der Abbildung neu codiert. Dasselbe passiert gerade mit dem Film. Die Autorität der Bildschöpfung ist weitgehend gebrochen und die Erzeugung von Bildern ist technisch und räumlich entgrenzt. Bilder und Videos sind die neuen „Wörter“. Sie werden als Bedeutungskomponenten mittels Smartphone laufend geteilt und mitgeteilt. Kreative Schöpfung und Kommunikation finden im Hier und Jetzt statt, ohne explizite kulturelle Verweise: „Ich maile, ich fotografiere und filme und ‚share it’, also bin ich." Kaum spricht man jedoch von Dekontextualisierung der Nutzer, schon liefern algorithmengetriebene Medien über Profiling Pseudokontexte nach. Dabei handelt es sich allerdings um personalisierte Informationen, die auf das individuelle Konsuminteresse der Nutzer und den gewinnbringenden Verkauf ihrer Profile abzielen. Diesen scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten gilt es in der Kommunikation vermehrt Selektion, Orientierung und Qualität entgegenzusetzen.

Rückblick auf die letzten 15 Schaffensjahre

Pichler: Nach dem Jubiläumsjahr folgt jetzt eine Buchpublikation, in der zentrale Projekte Ihres Ateliers dokumentiert werden. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Andrea Gassner: Das Buchprojekt verfolgt die Absicht, anlässlich der 40-jährigen Ateliergeschichte ein aktuelles, visuelles und redaktionelles Zeugnis des gestalterischen Schaffens abzugeben und gleichzeitig den mittelfristigen Übergang der atelierleitenden Agenden von Reinhard Gassner zu mir zu manifestieren. Das Buch will mehr sein als ein Corporate-Publishing-Projekt. Es beschreibt die überregional beachtete Arbeit unseres Ateliers, dessen gestalterischen Ansätze und die konsequente Orientierung am Inhalt und an den Kommunikationszielen. Mit diesem Buch blicken wir zurück, vorwiegend in die letzten 15 Schaffensjahre, auf interessante Projekte und Arbeitsschwerpunkte, die sich herauskristallisiert haben.
Pichler: Das Atelier Gassner hat ein breites Produktportfolio. Es ist in der Signalethik genauso präsent wie in der Buch- und auch Ausstellungsgestaltung. In welchem Bereich sehen Sie künftig die größte Herausforderung? Wo werden Sie Prioritäten setzen?
Reinhard Gassner: Mit Skepsis gegenüber den noch unbekannten „neuen Medien“ folgte ich dem Ruf, am Aufbau des Studiengangs Intermedia der Fachhochschule Vorarlberg in Dornbirn mitzuwirken. Ich war in den Jahren 1996 – 2000, ab 1998 als gestalterischer Leiter, für das Lehrangebot mitverantwortlich und erlebte die digitale Revolution aus nächster Nähe. Schritt für Schritt entdeckten wir die Chancen und neuen Elemente für die angewandte Gestaltung wie Ton, Bewegtbild und Interaktion und setzten diese im Lehrprogramm um. Aus diesem Engagement und der Kompetenz meiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beziehen wir unser Know how in Sachen digitale Kommunikation. Die Projekte in unserem Buch zeigen aber analoge Kommunikationstechniken – Arbeiten in guter Form, die ihre Wirkungskraft aus gut formulierten Inhalten, Bildwitz und Ästhetik beziehen. An sich arbeiten wir medienübergreifend. Fokus unserer Arbeit ist es, Daten zu Information werden zu lassen. Gestalter können dazu beitragen, indem sie an den Inhalten und Kommunikationsanliegen ihrer Kunden Interesse zeigen und sich einmischen in den Austausch zwischen Absender und Empfänger.

Das Medium Buch ist weiterhin sehr relevant

Pichler: Die in Produktion befindliche Monografie erscheint in gedruckter Form. In welchem Verhältnis steht das klassische Buch heute im Vergleich zu den digitalen Medien?
Reinhard Gassner: Das Medium Buch ist für nachhaltige, vertiefende Kommunikation nach wie vor sehr relevant. Es bietet Verbindlichkeit, Konzentration und eine Seins-Qualität, die sich deutlich von den flüchtigen, immer und überall erreichbaren Internetbotschaften abhebt. Sicher – es muss mit einem gewissen Aufwand gemacht, angeboten, bestellt, gesendet, gelesen werden. Aber genau darin liegt seine Stärke. Gute Bücher haben Verbindlichkeit, können gezielt gestreut werden, bilden keine nebulöse „Cloud“, lassen sich nicht einfach löschen, abschalten oder skalieren. Sie sind manifest, haben Oberfläche und Reibung und Gewicht – kaum vergleichbar mit den glatten, gläsernen E-Books. Nach einer von der Linguistin Naomi Baron zwischen 2010 und 2013 durchgeführten statistischen Umfrage, lesen mehr als neunzig Prozent der heute Studierenden lieber einen ausgedruckten Text als einen Text am Bildschirm.
Pichler: Sie sind seit 2010 Teilhaberin am Atelier und werden das Unternehmen in Kürze zur Gänze übernehmen. Soll das Atelier Gassner unter Ihrer Ägide an neue Ufer geführt werden, oder setzen Sie auf Kontinuität?
Andrea Gassner: Wir geben uns bis 2020 Zeit für den Übergangsprozess. Der fließende Prozess ist spannend und gleichzeitig eine Herausforderung. Wahrscheinlich ist es einfacher, harte Brüche zu machen, aber momentan geht es uns - und anscheinend auch unseren Kunden - sehr gut mit der Konstellation eines Teams mit der Mischung von Erfahrung und jungem kreativen Geist. Dass eine neue Führung dann Erneuerung und Veränderung bedeutet, darauf hoffe und setze ich.


Andrea Gassner und Reinhard Gassner (Hrsg.), Atelier Gassner – Visuelle Geschichten, € 44, ISBN 978-3-85449-468-3, Sonderzahl Verlag, 2017