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Annette Raschner · 18. Jun 2015 · Literatur

Von Heldinnen mit zerkauten Fingernägeln und Firmenchefs mit Teddybären - „Im Sommer werden die Tage wieder länger sein“ - Kurzgeschichten von Ingrid Maria Kloser

Die in Hard geborene Ingrid Maria Kloser hat im Winter mit der Erzählung „Nur zu Hause“ (Bucher Verlag) aufhorchen lassen, in der sie sich auf die Spuren ihrer Großeltern begeben hat, die 1925 mit ihren beiden Kindern in eine landwirtschaftliche Siedlung, die so genannte „Colonía Austria“ im Süden von Sao Paolo ausgewandert waren, um fern der Heimat ihr Glück zu finden. Glückssuchende, das sind auch die Hauptfiguren in jenen zwanzig Kurzgeschichten der Harderin, die vor Kurzem unter dem Titel „Im Sommer werden die Tage wieder länger sein“ im Verlag Bibliothek der Provinz erschienen sind.

Marie, die immer im Leben auf etwas gewartet hat, steht am Zaun und wartet sehnsüchtig auf die Botschaften in Stanniolpapier, die ihr herausgereicht werden. Oskar öffnet einmal pro Woche mit zitternder Hand jene Schublade, in der sich die Accessoires seiner Kindheit befinden: Das Messer, der Teddybär, die Micky-Mouse -Hefte. Karin ist eine Frau, deren Kinder längst aus dem Hause sind. Sie geht durch ihre Wohnung und träumt sich die vielen Einbaumöbel, den Gummibaum und die Fotos mit den adrett gekleideten Kindern weg. „Wenn man bei diesem Haus noch einmal anfangen könnte …“ – und eigentlich meint sie wohl sich selbst damit!

Immer wieder schreibt Ingrid Maria Kloser von der Kluft im Leben. Der Kluft zwischen dem, wie man lebt und dem, wie man eigentlich gerne leben würde, wenn denn nur … Eine Kluft, die die Figuren mit Erinnerungen zu schließen versuchen; Erinnerungen an jene Zeit, als alles noch ganz anders war; als der Moment noch intensiv gekostet wurde. „Mit den Füßen stupst sie sich vom Boden ab und holt Schwung, indem sie die Beine vor und zurück bewegt. Schnell und kraftvoll macht sie das und immer höher steigt sie, fliegt durch die Luft und der Wind zerzaust ihr das Haar.“

Inspirationsquelle: Alltag

Das verlorene Kind in uns allen: Es ist ein zentrales Motiv in Ingrid Maria Klosers Erzählungen. Die gebürtige Harderin schreibt von Gefühlen und Erlebnissen, die wir alle kennen. „Jeder von uns hat Versäumtes und Nachzuholendes“, sagt sie, deren unerschöpflicher Inspirationsquell der Alltag ist. Denn: „Es wird oft übersehen, wo das Große eigentlich stattfindet. Das möchte ich zeigen.“

Für viele wäre etwa Fadime keine Heldin, für Ingrid Maria Kloser ist sie eine! Fadime ist geschieden, verdient kaum das Allernötigste, um ihre Kinder versorgen zu können und ist vom täglichen Überlebenskampf sichtlich gezeichnet. „Ihr Anblick erinnert mich an einen Raben, der müde und mit ein paar roten Federn auf der Wiese steht. Von dem Lack auf ihren Fingernägeln sind nur noch runde Flecken übrig, die Nägel sind zerkaut. Doch ihre wachen Augen suchen unnachgiebig und neugierig meinen Blick …“

Ingrid Maria Kloser bevorzugt das Leise, Unprätentiöse und auch eine gewisse Ökonomie der Sprache. Die Erzählungen sind meist nicht länger als drei bis vier Seiten. Beim Schreiben lasse sie sich gerne leiten, erzählt sie. „Und irgendwann hört es dann auf.“ Die Akribie kommt hinterher, nämlich dann, wenn das Grundgerüst steht. Dann werde getüftelt und gefeilt, bis der Text den eigenen Ansprüchen genügt. „Ich bin sehr kritisch mit mir selbst. Es dauert lange, bis ich einen Text loslassen kann.“

Die Geschichten haben sich einst so oder so ähnlich zugetragen. Die Figuren sind mit viel Sorgfalt, Feingefühl und Empathie gezeichnet, im Tonfall schwingt manchmal etwas Wehmut, niemals aber Hoffnungslosigkeit mit. Denn: „Im Sommer werden die Tage wieder länger sein.“

 

Ingrid Maria Kloser, Im Sommer werden die Tage wieder länger sein. Erzählungen, 80 Seiten, € 10, ISBN: 978-3-99028-364-6, Verlag Bibliothek der Provinz 2015