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Willibald Feinig · 11. Feb 2015 · Literatur

Nadelstiche, Brölate, Lockspitzel und mehr - Die Chronik der politischen Bedrängnisse der Vorarlberger Kirche 1938 – 1945 von Johannes Schöch

Bei jedem Text sollte man auf Genre, Entstehungsgeschichte und Intention achten. Ein Satiremagazin unterscheidet sich von einer Chronik. Satire muss lächerlich machen – nicht das Vaterland, nicht Jesus oder den Propheten, wohl aber den Missbrauch dessen, was Achtung verdient, die Bemäntelung von Dummheit und Bestialität durch Pathos und Tabu. Chroniken streben Gerechtigkeit auf andere Art an, nennen Geschehenes beim Namen, um es dem Vergessen zu entreißen, sind für später gedacht, für Leser, die aus der Geschichte lernen.

Weg in die Öffentlichkeit gefunden

Ende 1946 wurde die „Chronik des Generalvikariats Feldkirch und der politischen Bedrängnisse in Vorarlberg 1938 bis 1945“ abgeschlossen. Erst jetzt hat sie aus dem Diözesanarchiv den Weg in die Öffentlichkeit gefunden.
Ihr Verfasser ist Johannes Schöch, seit 1936 rechte Hand (Generalvikariatsrat) von (Weih)Bischof Franziskus Tschann, Priester, Freund und entfernter Verwandter des am 13. November 1944 enthaupteten Carl Lampert. Schöch betreute auch das Diözesanarchiv und war Seelsorger im Reservelazarett Antoniushaus (am 1. Oktober 1943 mit dem Lehrerseminar in der Liechtensteinerstraße von Bomben getroffen), als er an dem Werk schrieb. Es ist reich an Daten, Namen, Fakten, Details, enthält 29 Dokumente als Anhang, und ist zugleich im Wir-Stil abgefasst, keine Auftragsarbeit, gut lesbar, von einem Mann der Kirche verfasst – nicht zuletzt für Leser mit kirchlichem Hintergrund.

Seelsorger voller Humor


Schöch, gebürtiger Dornbirner, Sohn eines Rechtsanwalts, hatte am Bregenzer Staatsgymnasium maturiert, in München und Innsbruck Theologie studiert und war 1910 zum Priester geweiht worden. Nach Kaplansjahren dissertierte er über „religiöse Neuerungen“ im Vorarlberg der Lutherzeit. 1914 bis 1918 war er Feldkurat. Die Erfahrung des Krieges hat ihn wohl befähigt, als Pfarrvikar der Vorstadt Rieden-Vorkloster die Planungen für eine Landes-Heldendankstätte umzulenken und statt dessen in schwierigster Zeit mit einem hervorragenden Architekten (Clemens Holzmeister) und einem bedeutenden Künstler (Anton Faistauer) die Mariahilfkirche zu bauen, die 1931 eingeweiht wurde. In den Nachkriegsjahrzehnten blieb der Monsignore und Kirchenhistoriker weiter in der kirchlichen Verwaltung tätig; als 76-Jähriger übernahm er die Verantwortung für die Minipfarre St. Peter in Rankweil. 1973 starb er. Er muss ein sehr beliebter Seelsorger voller Humor gewesen sein.

Mehr als eine Quellen-Edition


Das im Manuskript 117 Seiten umfassende, von Martin Caldonazzi gestaltete und von Diözesanarchivar Michael Fliri bearbeitete Werk ist mehr als eine Quellen-Edition für Historiker. Es enthält auch 56 Fotodokumente unterschiedlicher Herkunft und Fußnoten mit biographischen Angaben - besonders zu den „Schwarzen“, dem Klerus, dessen Beseitigung nach dem ‚Endsieg’ erklärtes Ziel der Nationalsozialisten war. Eine kritische Untersuchung zum Text fehlt; sie sei hier kurz versucht.

Schöchs Chronik ist in mehreren Schüben geschrieben, Ende 1938, Ende Jänner und der Muttertag 1940, Februar, Ende Juni und 21. 8. 1941, Mai 1944 und Ende 1946 lassen sich als Zeitpunkte der Niederschrift (wohl anhand von Einlauf- und anderen Protokollen) erschließen. Der anschauliche Text - gelegentlich noch im Kulturkampfstil, gelegentlich gallig - schildert, wie die Nationalsozialisten die katholische Kirche, damals organisiert als Apostolische Administratur Innsbruck-Feldkirch, ins Abseits drängen und trotz oder gerade wegen Kriegsnot ihr Deutungs- und Machtmonopol durchsetzen – und wie sich Klerus und Laien dazu stellen. Immer aus Feldkircher Sicht: Der eigentlich zuständige junge Bischof Paulus Rusch, vorher charismatischer Jugendseelsorger, wurde von Gauleiter Franz Hofer als solcher nicht anerkannt und war daher „nicht verhandlungsfähig“ (Schöch).
Damit ist eine erste Strategie der totalitären Diktatur angedeutet. Selbst Parallelstrukturen (neben dem Heer die SS, neben der Polizei die Gestapo, neben dem Staat die Partei) hegend und pflegend, die einander bei Bedarf als Ausrede dienen (Schöch: „Nebeneinanderregieren“, S. 55), unterläuft sie bewusst die Hierarchien des Gegners: Vom Entzug der ab 1938 jährlich neu zu erteilenden Erlaubnis, Religionsunterricht an Schulen zu geben (wegen ‚staatsfeindlicher Haltung’, gemeldet von Lockspitzeln und Denunzianten), wird das Generalvikariat bald nicht einmal mehr verständigt – man teilt den Entscheid direkt den Schulen mit und beantwortet keine Nachfragen (S. 21). Weitere „Nadelstiche“: Abschaffung von Feiertagen und Glockengeläut, Sonntagsgottesdienste nur am Morgen, Verbot von Veranstaltungen jenseits des „eigentlich sakramentalen Bereichs“(nach der letzten öffentlichen Priesterweihe am 2. Juli 1939 sagt eine Kirchgängerin zu Schöch (S. 24): „Das is nommas anders als die Brölate, wo mer sus denn do hond“), Einführung des Kirchenbeitrags (die erwartete Austrittswelle flaute schnell ab, 1938 – 41 traten 1,1 % der Vorarlberger aus der katholischen Kirche aus, wie das Generalvikariat mittels Fragebogen bei Visitationen erhob). Regelmäßig wurden Pfarrhäuser durchsucht, der Bestand der Schriftenstände beschlagnahmt (weil nicht von Mitgliedern der Reichsschrifttumskammer verfasst, bei der Priester wie Edwin Fasching, Feldkirch, nicht Mitglied werden konnten, weil sie bereits einen Beruf hätten). Zu Verhören, Bußgeldern, Schutzhaft und Gauverweis kam die KZ-Einweisung von Vorarlberger Priestern – neben den bekannteren Fällen (Georg Schelling, Alois Grimm SJ, Carl Lampert) auch der Pfarrer Alois Knecht (Meiningen) und Dr. Josef Plangger (Innerberg). Schöch dokumentiert die Auflösung aller kirchlichen Vereinigungen inklusive Kirchenchöre (S. 63), nennt die Lehrer, Anwälte und Ärzte, die Zivilcourage gegen Schikanen und Willkür bewiesen, auch den Altvorsteher von Krumbach, der sich auf dem Friedhof laut gegen das Verbot kirchlicher „Kreuzsteckungen“ für Gefallene aussprach (S. 74).

Eine Lücke


Die sonst (z.B. auch über das Schicksal der Valduna-Insassen) wohlinformierte „zeitnahe“ Chronik (Fliri) weist eine Lücke auf, die die Wirksamkeit der NS-Taktik beweist, mitten in der Zeit der Aufhebung der großen Klöster Mehrerau, St. Peter und Kapuzinerkloster Bludenz: Von der geheim vorbereiteten Priesterweihe und Primiz der jungen Theologen und Soldaten Ernst Hotz (drei Monate später in Athen gestorben) und Otto Feurstein (Wenn Jesus 70 geworden wäre, 1989) während eines Heimaturlaubs ist keine Spur zu finden. Sie erfolgte am Sonntag, 30.3.1941, unter großer Beteiligung Gläubiger in Lustenau, am 5. Fastensonntag, auch Iudica genannt wegen des Psalmverses (143,1) am Anfang des Gottesdienstes: „Verschaff mir Recht, o Gott, und führe meine Sache gegen ein treuloses Volk“. Im Generalvikariat wusste man offenbar nicht, dass Rusch und die Neupriester im Land waren. Oder hat Johannes Schöch die nächste Amtsdurchsuchung vorhergesehen und später den Nachtrag vergessen?

 

Johannes Schöch, Chronik der NS-Zeit 1938 - 1945 vom Gesichtspunkt des Generalvikariats Feldkirch (Quellen und Untersuchungen – Schriftenreihe des Archivs der Diözese Feldkirch 4), Feldkirch 2014. 200 S., ill.