Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Jürgen Schremser · 24. Mär 2018 · Literatur

Land der Schweigenden - Zu Mathias Ospelts neuem Erzählband „Wege. Gänge“

Der liechtensteinische Autor, Kabarettist und Literaturveranstalter Mathias Ospelt legt mit der Neuerscheinung „Wege. Gänge“ seinen jüngsten Band mit erzählender Prosa vor. Damit sind nicht nur die älteren Geschichten der mittlerweile vergriffenen Kurzgeschichtensammlung „Als Vaduz noch seinen Hafen hatte“ (2004) wieder erhältlich. Ospelt legt noch einiges drauf, mit fünf neuen Erzählungen aus dem tragikomischen Soziotop einer meer- und stadtfernen Gegend namens Liechtenstein.

Mathias Ospelt stellt seinen Prosatexten ein titelgebendes Gedicht „Wege. Gänge“ aus dem Jahr 1995 voran, das durchaus leitmotivisch zu verstehen ist. Der Verfasser spricht offenherzig Schreibvoraussetzungen an, die für die Texte im gleichnamigen Buch von Belang sind. Eine Literatur, die an die Orte von Ospelts Herkunft und Aufwachsen führt, in einen Erzählraum, der aus einprägsam Erlebtem schöpft, weniger an datierbaren Ereignissen orientiert als wachgerufenen Empfindungen auf der Spur: „gefühl der angst, der freude, scham/ erinn’rung zählt, nicht jahreszahl“. Ganz so undatierbar ist diese Erinnerung nicht, legt doch ihr Autor schon in der Einstiegsgeschichte „Heimat“ eine (auto-)biografische Fährte, die in die Jahre der prädigitalen Freizeitvergnügungen weist: Vaduzer Jahrmarkt, Comiclesen und „Niala“ (Waldreben) rauchen.

Land der Schweigenden

Die poetische Devise von „Wege. Gänge“ gilt nicht nur dem Schreiben aus Erinnerung an gefühlsbesetzte Orte, sondern auch der Vervollständigung des Erinnerten durch Einbildungskraft: „lücken fülle ich mit kram. von dem ich glaub so war’s einmal.“ Der Mehrwert von Ospelts fabulierfreudiger „Lückenbüßerei“ sind Geschichten, die das Eigenartige und Abgründige landläufigen Lebens mit genauer Phantasie vor Augen führen. Oder wie lässt sich das unter einem fraglos eingewöhnten Zusammenleben Verstummte besser zum Sprechen bringen als über die treffende Fiktion? Für den Rezensenten gelingt dies mit aberwitzig zugespitzten Kurzgeschichten, deren Ausgangssituationen realistischer nicht sein könnten. Sei es das im Einfamilienhaus mit Garten zur (Friedhofs-)Ruhe gekommene Eheglück („Ein Phänomen“), seien es die mit Triebstau und schlecht ausgebautem ÖV zu einer Nacht- und Nacktbar pilgernden Jünglinge („Im Schnee“) oder sei es – im Klassiker „Der Neffe“ – das werktägliche Ritual des Mittagessens bei Onkel und Tante. Ospelt folgt dem Trott, der Borniertheit und der Ereignisarmut einer kulturellen Provinz und gibt den unausgesprochenen Begehrlichkeiten und Frustrationen eine Stimme. Oder anders gesagt: Ospelt macht die Spielarten der beredten Wortlosigkeit im Land seines Aufwachsens zum Mittel der Situations- und Charakterbeschreibung. In den Kurzgeschichten von „Wege. Gänge“ gelangt die ganze Spanne zur Anwendung: von der Einsilbigkeit beim Suppe löffeln über vielsagende Seufzer bis zur mehrjährigen Funkstille zwischen ehedem Verliebten. Liechtenstein, so der Eindruck bei der Lektüre dieses landeskundigen Autors, ist nicht nur in den Finanzdiensten, sondern auch im Zwischenmenschlichen ein Land der gelernten Schweiger/innen: „Es gab Dinge, die erwähnte man nicht mehr. Es gab Dinge, die waren in einem Seufzer aufgehoben und dort sollten sie auch bleiben.“ (S. 78 ). Die Schilderung einer durch Schweigen und Leerformeln rhythmisierten Verständigung gehört zu den Stärken des Autors Mathias Ospelt. Unter dem Gedruckse verzerrter Kommunikation nehmen die Dinge ihren oft fatalen Verlauf, wird das Missverhältnis von Mitteilungsbedürftigem und unzureichendem Ausdrucksmittel verhängnisvoll, wie in jener unglücklichen Männerfreundschaft in „Wiedersehen mit Frank“: „(…) nachdem er den Rauschzustand als Ausdrucksmittel für seine verborgensten Gefühle entdeckt hatte“ (S. 102) An anderer Stelle, etwa im sagenhaft gewalttätigen „Kartoffeljahre“, wachsen unter dem Schweigen jene großen Erwartungen und Enttäuschungen, die Ospelt zu einem unvermeidlich monströsen Ende führt.

Irdische Wendungen

Im Leben der still brütenden Zeitgenossen von „Wege. Gänge“ verschafft sich das Verdrängte ebenso unvermittelt wie ein Wetterumschlag Geltung. Gewohnte Abläufe geraten aus dem Ruder und werden in ihrer tragikomischen Unausweichlichkeit erst recht erkennbar. Dazu braucht es nicht unbedingt ein Wunder, wie jene Lichterscheinung („Die Vision“), die dem ungläubigen Peter Schädler widerfährt und ihm (und uns) klar macht, dass er im Zweifelsfall lieber nicht von Gott zum Heiligen erkoren wird. Meist reichen ganz irdische Wendungen, um das Heimische und Hausgemachte in seiner Befremdlichkeit ins Blickfeld zu rücken. Die Ehefrau, die plötzlich bekennt, dass sie das gewohnte Pfeifen ihres Mannes hasst. Der nächtliche Wintereinbruch, der die Jugendlichen bei ihrem Ausflug zur Oben-ohne-Bar überrascht und das Land der „kurzen Wege“ für einmal in eine unabsehbare Schneewüste verwandelt. Oder eben jener Neffe, der den immergleichen Ablauf seiner Bewirtung durch die Tante mit zunehmender Unhöflichkeit arg zum Schlingern bringt. Das weckt durchaus Mitgefühle, umso mehr als die von Ospelt geschilderten Szenen in der ländlichen Komfortzone empfindliche Punkte aufgreifen: Familiengeheimnisse, Glaubensverlust, Freundschaftsproben und Standesdünkel und dahinter immer auch – gleichsam als dörfliches Urgeschehen – „Eine Erzählung von der Gier und der Blödheit“ (S. 33).

Alemannischer Auftakt

Mathias Ospelt kennt seine Pappenheimer und ist bei allem Sarkasmus nahe bei den Handelnden. Das Grobschlächtige und Handgreifliche hat da ebenso Platz wie zartere Töne. Die Form der Kurzgeschichte nutzt der Autor für jähe und unvermittelte Eröffnungen, die den vorherrschenden Ton in ein paar Sätzen anstimmen. Im Krimi „Güediga“ ist es der schweißnasse Hexenkessel der lokalen Fasnacht mit dem Skandieren von „ Hölle, Hölle, Hölle!“ Die fein gesponnene Wiederbegegnung von „Umbäässa“ beginnt mit dem lang erwarteten Anruf der einstigen Geliebten zum ungünstigen Zeitpunkt. Und der Auftritt des unwillig Erleuchteten Herrn Schädler setzt ein mit dem dreifach aus dem Wald erschallenden Fluch „Harrgootzagg!“ Ein wahrlich alemannischer Auftakt.