Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Karlheinz Pichler · 26. Mai 2017 · Literatur

Korruption als Geschäftsmodell - „Lügen haben lange Beine“ von Lorenz Frey

Mit „Lügen haben lange Beine“ hat der 1964 im Aargau geborene Staatswissenschaftler und Autor Lorenz Frey eine Fortsetzung der Geschichte rund um die kuriose, ständig zwischen Erfolg und Scheitern changierende Figur des Paul Bütikofer geschrieben.

Im ersten Bütikofer-Buch schilderte Frey, der in seinem bürgerlichen Leben als Partner einer Beratungsfirma für die öffentliche Hand tätig ist, wie der Protagonist seine lukrative Stelle als Client Relationship Manager bei der fiktiven Bank Zumthor verliert, gegenüber seiner Familie aber den Verlust des Arbeitsplatzes verschweigt und vortäuscht, dass alles seinen gewohnten Gang gehe. Was aufgrund seines „goldenen Fallschirms“, der ihm über zwei Jahre die Lohnfortzahlung garantiert, auch kein Problem ist. Anstatt aber weiterhin täglich ins Bank-Office zu gehen, schlägt er seine Zeit mit Kaffeehausbesuchen und Ausflügen tot. Und er beginnt neue Pläne zu schmieden. Er gründet die Vermögensverwaltungs- und Investmentfirma „DRiVE“, die innert kürzester Zeit überaus erfolgreich wird. Da sie aber nach dem Schneeballsystem aufgebaut ist, muss sie unweigerlich implodieren. Um den Ruin etwas abzufedern, inszeniert er zusammen mit seinem Freund Häberli einen Autounfall, der ihm wenigstens eine Invalidenrente sichern soll. Aber der Crash fiel etwas zu heftig aus. Bütikofer spürte, „dass sein Kopf irgendwie falsch auf seinem Hals lag“, und das Romanende lässt offen, ob die gescheiterte Hauptfigur stirbt oder nur verletzt ist.

 

Auftragsvergaben sind nicht zum Verschenken da

 

Und hier knüpft Lorenz Frey mit der Fortsetzung der Geschichte rund um das Stehaufmännchen Bütikofer an. Bütikofer, der in Anbetracht seines zwischen Genialität und schrulliger Tolpatschigkeit angesiedelten Charakters durchaus einem Film von Jacques Tati entsprungen sein könnte, wacht im Krankenhaus auf und kämpft mit Erinnerungslücken. Und anstatt von der Versicherung in großem Stil Kohle abzukassieren, erhält er, der sein Unternehmen und sein gesamtes Vermögen verloren hat, eine Sozialwohnung und einen Einsatzplatz für Arbeitslose bei der Gemeindeverwaltung der Zürichsee-Gemeinde Erlenbach zugeteilt.

 

Bütikofer wäre aber nicht Bütikofer, nutzte er diese „niederschwellige“ Stelle, die eigentlich eine Beleidigung für seinen Intellekt darstellt, nicht umgehend für eigene Zwecke und um großtrabende Vorhaben auszuhecken. Um sich die von der Gemeinde ausgeschriebene vakante Position der „Koordinatiosstelle im Bereich Tiefbau“ zu sichern, erfindet er für sein Bewerbungsschreiben unter anderem das Zertifkat „Ausschreibungen im Spannungsfeld von ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit“. Natürlich sichert sich Bütikofer den Job, und er registriert sofort, dass man von dieser Schaltstelle aus lukrative Schmiergelder einstreifen kann. „Auftragsvergaben sind nicht dazu da, dass man sie verschenkt“, lautet seine Divese. Aber er geht noch weiter, und gründet nebenher eine eigene Firma, deren Geschäftsfelder „Ausschreibungen, Beratungen und Schulungen“ zum Thema Beschaffung für Anbieter sind. In der Folge liefert Frey über seinen Protagonisten Bütikofer detaillierte Ablaufsprozesse, wie Korruption als Geschäftsmodell in der Praxis funktioniert.

 

Natürlich treten auch Neider auf den Plan, wenn jemand Erfolg hat. Durch ein intrigantes Spiel der Personalchefin und anderen Gemeindemanagern unter Einschaltung der Lokalzeitung wird Bütikofer unterschwellig sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgeworfen und er verliert sein verantwortungsvolles Amt, das ihm Tür und Tor ins Reich von Bestechung und Schmiergeld geöffnet hatte. Der Held des Buches ist also wieder am Boden, aber offenbar nur für kurze Zeit, denn bereits drei Monate später ist einer Medienmitteilung des Tiefbauamtes Basel-Stadt zu entnehmen, dass ein gewisser Dr. Bütikofer die dortige „Stelle zur Koordination der Submissionen des Tiefbauamtes“ übernommen habe. Ob es sich aber tatsächlich um „unseren Bütikofer“ handelt, ist nicht eindeutig ersichtlich.

 

Entlarvende Satire

 

Lorenz Freys Bütikofer-Romane sind Satiren, mit denen er ein Gesellschaftssystem, dessen Werte von Geldgier, Macht und Bestechlichkeit bestimmt werden, schonungslos entlarvt. Bütikofer steht quasi sinnbildlich für dieses System, deren Player nur dem eigenen Vorteil nachjagen. Frey beschreibt dies bis ins letzte Detail, kennt er doch die Parameter, die so einen Organismus nähren, aus seiner eigenen Beratungstätigkeit bestens.

 

Bütikofer ist ein typischer Vertreter einer materiell gelenkten Klientel. Er ist Rationalist, hat eine Abneigung gegen alles, was nicht seiner Kontrolle unterliegt, und er hat keine wirklichen Freunde. Luxus, Markenbewusstsein, teure Autos und schöne Frauen sowie feines Essen und erlesene Weine in Haubenlokalen zu genießen – das sind sind die Stoffe, die die Lebensessenz Bütikofers begründen. Frey gibt nur wenig Einblicke in das Innenleben der Romanfigur. Was schade ist, hätte man doch gerne gewusst, wie so ein an der Oberfläche durchs Leben Getriebener von Innen her gesteuert ist. Oder ist das Innere kongruent zu den äußeren Abläufen? Dann müsste einem Bütikofer wirklich leid tun. Wie auch immer, Frey erzählt die Hoch und Tiefs des Helden in einem fulminanten Tempo. Die Sprache ist prägnant, klar und schnörkellos. Mitunter erinnert sie an einen Börsen- oder Wirtschaftsbericht, wenngleich der satirisch-komikartige Grundton stets erhalten bleibt.

 

Auch wenn das Innenleben Bütikofers im Geheimen bleibt und er seine gesamten Energien einzig auf die Erlangung von Prestige, Besitz und Luxus auszurichten scheint, strahlt er doch auch Sympathien aus. Dass er sich vom ewigen Scheitern nicht unterkriegen lässt und immer wieder von vorne anfängt, macht ihn menschlich. Er bereitet damit den Boden für mögliche Identifikationen. Das in diesen Realsatiren auch viel Humor steckt, haben offensichtlich auch die Gemeindeväter von Erlenbach, in der der zweite Bütikofer-Roman spielt, erkannt, haben sie doch eigens für Frey eine Lesung im Gemeindezentrum organisiert. Und auch eine weitere Fortsetzung der bütikoferischen Aktiviäten ist angesagt. In einem dritten Roman soll Bütikofer geloben, ein besserer Mensch zu werden, ist seitens des herausgebenden Verlages, der Edition Leu, zu erfahren.

 

Lorenz Frey
Lügen haben lange Beine
Roman
Edition LEU
ISBN 978-3-85667-132-7