Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Markus Barnay · 05. Mär 2017 · Literatur

Judenhass als Geschäftsmodell? - Franco Ruault „würdigt“ den Gründer des Hilti-Konzerns, Martin Hilti

Die Firma Hilti AG mit Hauptsitz in Schaan ist ein Weltkonzern mit einem Umsatz von über 4 Milliarden CHF und über 20.000 Beschäftigten, davon rund 1800 in Liechtenstein selbst. Über so einen Konzern spricht man nicht schlecht – jedenfalls nicht im Fürstentum, und auch nicht in Vorarlberg, von wo über 500 der Hilti-MitarbeiterInnen nach Liechtenstein pendeln. So wurde zum 75-Jahr-Jubiläum im vergangenen September die Gründungsgeschichte des Konzerns denn auch nur kurz gestreift – und sogar mit jener von berühmten Unternehmen aus dem Silicon Valley verglichen: „In einer Garage im liechtensteinischen Schaan beginnen die Gebrüder Martin und Eugen Hilti im jahr 1941 mit den ersten Werkzeugen” (vol.at am 11.9.2016 in Original-Orthographie). Und der Noch-Wirtschaftsminister des Fürstentums, Thomas Zwiefelhofer, erklärte Hilti zum Vorbild für innovative Unternehmen, „die klein anfangen und sich dann organisch entwickeln”.

Hilti: Antisemit, Spion und Kriegsgewinnler

Der in Hohenems geborene Politikwissenschafter Franco Ruault sieht das ein wenig anders: In seinem jüngst erschienenen Buch „Geschäftsmodell Judenhass” (dessen exorbitanter Preis wohl darauf zurückzuführen ist, dass der Verlag Peter Lang auf die kostenpflichtige Veröffentlichung von Dissertationen spezialisiert ist) widmet er sich ausführlich der Karriere des Firmengründers Martin Hilti, der als fanatischer Nationalsozialist nicht nur von einem Anschluss des Fürstentums an das Deutsche Reich träumte, sondern seinen geschäftlichen Erfolg auch seinen guten Verbindungen zu hochrangigen Vertretern des NS-Staates und der Herstellung von Produkten für die deutsche Rüstungsindustrie verdankte. Konkret wirft er Hilti vor, dass er

  1. als radikaler Antisemit sich nicht nur in der nationalsozialistischen „Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein“ engagierte, sondern auch als Schriftleiter der Zeitung „Umbruch“ jüdische Bürger, die sich vor der Verfolgung im NS-Staat nach Liechtenstein geflüchtet hatten, als „unnütze Fresser“ denunziert und zu ihrer Vertreibung und „Ausrottung“ aufgerufen hatte,
  2. als Spion für das Deutsche Reich Militäranlagen in der Schweiz auskundschaftete, vor allem aber junge Menschen für Spionagetätigkeiten rekrutierte oder sie dem nationalsozialistischen Regime als Nachschub für die SS in die Arme trieb, und
  3. gemeinsam mit seinem Bruder Eugen eine Firma aufbaute, die Bestandteile für die deutsche Rüstungsindustrie herstellte und so versuchte, dem Nationalsozialismus zum „Endsieg“ zu verhelfen.

Zu sieben Jahren Haft verurteilt


In den Grundzügen sind die Fakten durchaus bekannt: Martin Hilti (1915-1997) war ein radikaler Nationalsozialist und freiwilliges Mitglied der Waffen-SS, der sich nie wirklich von seinen Aktivitäten während der NS-Zeit distanzierte. Seine ebenso widerwärtigen wie niederträchtigen Diffamierungen von Juden in seinem „Kampfblatt“ versuchte er später herunterzuspielen, indem er darauf verwies, dass ja viele Artikel nicht von ihm selbst verfasst worden waren. Die Spionagetätigkeit für den Sicherheitsdienst (SD) des Reichsführers SS ist dagegen amtlich: Hilti wurde im Oktober 1945 in St. Gallen in Abwesenheit wegen „Verletzung militärischer Geheimnisse, Gehilfenschaft hierzu und Ungehorsam gegen allgemeine Anordnungen“ zu sieben Jahren Haft und 15 Jahren Landesverweis verurteilt. Um der Verhaftung zu entgehen, betrat er die Schweiz bis 1968 nicht mehr, obwohl ihm zu den von ihm angestrengten Revisionsverfahren sogar freies Geleit zugesichert worden war. Und auch die Tätigkeit der Maschinenbau Hilti für die deutsche Rüstungsindustrie (speziell für die Firmen Maybach in Friedrichshafen und Robert Bosch in Stuttgart) ist – im Auftrag der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg – umfassend untersucht worden.

Mühsam wie eine Anklageschrift


Was Franco Ruault diesen bekannten Fakten hinzufügt, sind umfangreiche Erläuterungen über wichtige Vorkämpfer der liechtensteinischen Nazis, über die Diffamierungen von Juden und die damit zusammenhängenden Prozesse, vor allem aber über Hiltis Spionagetätigkeiten und das dafür aufgebaute Netzwerk. Streckenweise liest sich das leider weniger wie ein Krimi als wie eine juristische Anklageschrift – und ist auch entsprechend ermüdend. Da helfen auch häufige Wiederholungen nicht viel – etwa, wenn der Autor gleich zweimal hintereinander darauf hinweist, dass sich die liechtensteinische Regierung nach der Firmengründung jahrelang für zwei bekennende Nationalsozialisten einsetzte.

 

Diese ambivalente Rolle der liechtensteinischen Regierung – die sich einerseits für die Neutralität und gegen den Anschluss an Nazi-Deutschland einsetzte, andererseits aber stets darauf bedacht war, die Reichsdeutschen im eigenen Land, die hauseigenen Nazis und die deutsche Regierung nicht allzu sehr zu ärgern – wird in dem vorliegenden Buch kaum gestreift, ebenso wenig wie die Hintergründe mancher Vorkommnisse, die sehr wohl ausführlich behandelt werden. Was hat es beispielsweise für die liechtensteinische Justiz bedeutet, dass ihr oberster (und lange Zeit einziger) Richter zugleich im Dienst der österreichischen – und somit nach 1938 der nationalsozialistischen deutschen – Justiz stand? Fielen die Urteile gegen nationalsozialistische Hetzer wie Martin Hilti vielleicht deshalb so milde aus?

TU Graz als Brutstätte für NS-Ideologie


Auch die Biografie Martin Hiltis bleibt unvollständig: Er wechselte vom Jesuitenkolleg Stella Matutina in Feldkirch zuerst in das – ebenfalls katholische – Kollegium Maria Hilf in Schwyz, studierte dann aber ab 1933 an der TU Graz, jener Universität, die sich 1938 selbst rühmte, „die erste nationalsozialistische Hochschule des deutschen Sprachgebietes“ gewesen zu sein (tatsächlich hatten die – deutschnationalen und antisemitischen - „völkischen“ Burschenschaften dort schon längst die absolute Mehrheit, als sie 1932 erstmals eine gemeinsame Liste mit dem nationalsozialistischen Studentenbund bildeten).

Schließlich wird auch die titelgebende These (der „Judenhass als Geschäftsmodell“) nicht wirklich belegt: Warum sollte ausgerechnet der Antisemitismus als eines von mehreren Merkmalen des Nationalsozialismus der entscheidende Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg der Firma Hilti gewesen sein? Hätten die Brüder Hilti sonst keine Geschäfte mit den deutschen Firmen gemacht? Musste man sich überhaupt mit den Kriegszielen identifizieren, um mit dem Krieg Geld zu verdienen? Da bleiben dann doch einige Fragen offen, die der Autor dafür umso öfter zu beantworten verspricht.

 

 

Franco Ruault, Geschäftsmodell Judenhass. Martin Hilti – „Volksdeutscher“ Unternehmer im Fürstentum Liechtenstein 1939-1945. 210 S., € 56, ISBN 978 3 631 699 591, Peter Lang Edition, Frankfurt2017