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Markus Barnay · 02. Mai 2017 · Literatur

„Heiße Eisen“ in Buchform - Hommage an einen längst verschwundenen Metallbetrieb

Wer heute eine Ausstellung des Kunstraum Dornbirn in der sogenannten Montagehalle besucht oder mit Kindern durch die Räume der inatura streift (und das tun alljährlich ziemlich viele Menschen), nimmt durchaus wahr, dass er oder sie sich in ehemaligen Industriegebäuden bewegt, und viele wissen auch noch, dass es sich dabei um die einstigen Rüsch-Werke handelt. Wer freilich mehr über diese Rüsch-Werke erfahren wollte, tat sich bisher schwer: Es gab nur wenige Publikationen über die Geschichte der bedeutendsten Vorarlberger Metallfabrik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – und das, obwohl sie in vielerlei Hinsicht bemerkenswert war:

  • Die Rüsch-Werke leisteten als Turbinenbaufirma Pionierarbeit bei der Nutzung der Wasserkräfte. Etwa tausend Turbinen lieferte die Firma zwischen 1850 und 1930 in die gesamte Monarchie und ins Ausland, von Andelsbuch bis Trient, von Landeck bis Banja Luka, von Frankreich bis Georgien.
  • Die Firma war mit ihrer breiten Produktpalette auf zahlreichen großen Ausstellungen (u.a. den Weltausstellungen in Wien, Brüssel und Paris) vertreten und erhielt nicht nur verschiedenste Auszeichnungen, sondern hielt auch etliche Patente auf eigene Erfindungen.
  • Die Rüsch-Werke waren aber auch der Schauplatz eines der längsten und erbittertsten Arbeitskampfes in der Geschichte Vorarlbergs, des Streiks der Eisengießer zwischen Juli und Oktober 1910.
  • Und schließlich bestimmten die jeweiligen Firmenchefs mit ihren Engagements in Vereinen und Interessensvertretungen, als Gemeindepolitiker und Landtagsabgeordnete, aber auch mit ihren familiären Verbindungen mit der „besseren Gesellschaft” von Dornbirn die politische und gesellschaftliche Entwicklung des Landes maßgeblich mit.

 

Opfer einseitiger Geschichtsschreibung


Im Rückblick ist es erstaunlich, wie wenig historische Arbeiten bislang über die Familie Rüsch und damit über die Entstehung der Rüsch-Werke erschienen sind. Den einzelnen Protagonisten mangelte es weder an Charisma noch an vollbrachten Taten. Sie hinterließen deutliche Spuren in der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Geschichte Vorarlbergs” – aber eben offenbar nicht in der einschlägigen Literatur. Was Werner Matt, der Mitherausgeber der ersten großen Firmengeschichte der Dornbirner Rüsch-Werke, als Fazit schreibt, ist tatsächlich bemerkenswert, aber vielleicht auch erklärbar: Die Wirtschaftsgeschichtsschreibung von Dornbirn und teilweise von ganz Vorarlberg wurde bis in die 1970er-Jahre von den Schriften eines Mannes dominiert, um nicht zu sagen monopolisiert, der sich seine „Verdienste” als Chefredakteur des deutschnationalen, später nationalsozialistischen „Vorarlberger Tagblatts” erworben hatte und der in der Nachkriegszeit mit seinen Auftragswerken für die Textilindustrie bzw. für einzelne Textilfirmen das Bild von der Vorarlberger Industrie maßgeblich prägte: Hans Nägele. Dass er sich in seinen Schriften nicht mit den Leistungen der Metallindustrie und hier besonders mit denen der Rüsch-Werke beschäftigte, dürfte nicht nur daran gelegen sein, dass eben die Textilfabrikanten seine Auftraggeber waren.

Wehrmachtsaufträge und Zwangsarbeiter


Es gibt auch dunkle Flecken in der Geschichte der Rüsch-Werke, die wiederum mit den Dornbirner Textil-Baronen zu tun haben: Im September 1941 hatten die beiden Firmen F.M. Hämmerle und Franz M. Rhomberg unter dubiosen Umständen dem damaligen Besitzer Max Wehinger die Rüsch-Werke abgepresst, um gleich darauf mit üppigen Aufträgen für die deutsche Wehrmacht – und der Rekrutierung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern als billige Arbeitskräfte - durchzustarten. Zuvor hatte sich Wehinger vergeblich um solche Aufträge bemüht, und es gibt wenig Zweifel, dass das damit zu tun hatte, dass der „Luftwaffenbeauftragte” für den Gau Tirol-Vorarlberg und die angrenzenden Regionen Hermann Rhomberg hieß – seines Zeichens Miteigentümer der Firma Franz M. Rhomberg.

Es könnte also durchaus sein, dass der Auftragsschreiber der Textilindustrie bewusst einen Bogen um die Geschichte der Rüsch-Werke machte – und dass diese Geschichte in den 1980er-Jahren, als jüngere Historiker begannen, sich mit der Wirtschaftsgeschichte des Landes zu beschäftigen, niemanden wirklich interessierte. Denn die Rüsch-Werke hatten 1984 ihren Betrieb endgültig eingestellt. Danach dienten die Gebäude als Lagerräume für die Textilfirma F.M. Hämmerle und als Winterlager für Schiffe und Oldtimer, als Drehorte für ungewöhnliche Musikvideos und als Studienobjekt für Industriearchäologen. Die Pläne für eine Bebauung mit Wohnhäusern scheiterten ebenso wie jene für ein Industriemuseum, schließlich wurde das Areal für die „Neue Naturschau” inatura adaptiert (Eröffnung 2003) und die Montagehalle dem Kunstraum Dornbirn zur Verfügung gestellt (2004).

Prächtiges Buch mit tollen Fotos


Parallel zur Eröffnung der inatura hatte eine, hauptsächlich von Klaus Fessler mit Hilfe von ehemaligen Rüsch-Arbeitern zusammengestellte, Ausstellung an die Geschichte der Rüsch-Werke erinnert. Sie hieß „Heiße Eisen”, und es hat ein bisschen gedauert, bis daraus ein – vom Stadtarchiv Dornbirn verlegtes - Buch wurde. Doch gut Ding braucht eben Weile, und was am 11. Mai in den Räumen von inatura und Kunstraum Dornbirn präsentiert wird, verdient durchaus das Prädikat „gut Ding”: Es handelt sich um ein fast 400 Seiten starkes, reich und qualitätsvoll bebildertes Werk, das so ziemlich alle Facetten der Geschichte der Rüsch-Werke ausleuchtet – von der Rüsch’schen Familiengeschichte (vom 1827 aus dem Thurgau zugezogenen Mühlenbauer Josef Ignaz bis zum Landesrat und späteren Vizepräsidenten der Österreichischen Nationalbank, Karl Werner Rüsch) über die Geschichte der Bebauung des Werksgeländes bzw. des Gewerbegebiets Schmelzhütten bis zu den Arbeitskonflikten Anfang des 20. Jahrhunderts und der Beschäftigung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkriegs.

Besonders beeindruckend ist das umfangreiche Material, das Klaus Fessler über die Auftraggeber der Rüsch-Turbinen zusammengetragen hat, denn die waren ja über ganz Europa verteilt. Ebenso bemerkenswert die ausführliche Liste der Konstrukteure und Ingenieure, die im Auftrag der Rüsch-Werke neue Turbinen, Maschinenteile oder andere patentierte Produkte entworfen hatten – darunter der erste Schilift der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, den Alfred Rüsch 1907 allerdings gemeinsam mit Dipl. Ing. Hugo Rhomberg in seiner Freizeit entworfen hatte.

 

Klaus Fessler/Werner Matt (Hg.): Rüsch-Werke Dornbirn, 364 S., Eigenverlag Stadtarchiv Dornbirn, Dornbirn 2017, ISBN 978-3-901900-53-2

 

Buchpräsentation
Do, 11.5.2017, 20 Uhr

Inatura/Kunstraum Dornbirn