Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Annette Raschner · 08. Mär 2018 · Literatur

Gegen den Strich gebürstet - „Der Jüngste Tag des Peter Gottlieb“ von Christian Mähr

In einer Studie haben Wissenschaftler der Global Challenges Foundation und des Future of Humanity Projects unlängst zwölf durchaus mögliche Szenarien für die Apokalypse aufgelistet: Vom Klimawandel über einen Supervulkanausbruch bis zum systemischen oder ökologischen Kollaps. In Christian Mährs neuem Roman „Der Jüngste Tag des Peter Gottlieb“ ist der Weltuntergang noch um einiges näher gerückt; die Gesetze der Vernunft sind außer Kraft gesetzt, und es gelten wieder jene ganz alten. Das Buch, in dem der Vorarlberger Schriftsteller die Schrift des Apostels Johannes über das Weltende ordentlich gegen den Strich gebürstet hat, ist im braumüller Verlag erschienen.

„Es wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn er an diesem Tag nicht so nervös gewesen wäre“, - so der erste Satz. Ein Autounfall setzt eine aberwitzige Handlung in Gang. Ein älterer Herr in schwarzem Anzug läuft des Nachts auf einem Waldweg in das Auto des pensionierten Buchhändlers Peter Gottlieb. Der traut seinen Augen kaum, als sich die vermeintliche Leiche aufrappelt und ganz offenkundig keine Verletzungen aufweist. Der Mann stellt sich als Lukas Hildmeyer vor und bittet ihn, ihn in Holzgarten abzusetzen. Es ist jenes 4.000 Seelendorf, in dem Gottlieb von seinem Onkel ein aufgelassenes Wirtshaus geerbt hat. Eine Klausel im Testament sieht vor, dass er die Gaststätte bewohnen muss, um das Erbe antreten zu können. „In Holzgarten herrschte jene Ruhe, die sich die Diktatoren der Welt für ihre Länder wünschen, eine geistige Stille, die nichts mit Tagesgeschäftigkeiten zu tun hat. An solchen Orten passiert nichts. Tausend Jahre oder länger.“

Peter Gottlieb hat sich gründlich getäuscht. In Holzgarten nehmen plötzlich verrückte Dinge ihren Lauf. Sonnenstürme führen zu einem Totalstromausfall, Lukas Hildmeyer - einst wegen Urkundenfälschung für drei Jahre inhaftiert - sollte schon vierzig Jahre lang tot sein. Und was hat es mit diesem Werner Liri auf sich, einem jungen Mann mit wilder Mähne, der wegen seines Alkoholismus Suizid mit Zyankali und Zitronensaft begangen hatte und plötzlich wieder auf den Plan, sprich: in die Welt tritt? Ein Experte muss her – Doktor Kategoros-Korowjew, ein Psychiater griechisch-russischer Herkunft mit dem gewissen Etwas und außergewöhnlichen Heilerfolgen, begibt sich mit seinem BMW in die Provinz. „Es umgab ihn eine Aura vornehmer Vertrautheit mit allem Menschlichen, die sofort zu einer positiven Anmutung führte, besonders bei Frauen, die ja für Schwingungen und dieses ganze Zeug empfänglicher sind als Männer.“ An dieser Stelle dürfte es bei den KennerInnen von Michail Bulgakows Jahrhundertroman „Der Meister und Margarita“ Klick machen; Korowjew, auch Fagott, hieß der Gehilfe des Teufels Voland, und als „derjenige, welcher. Dessen Name nicht genannt wird“ stellt sich auch der charismatische Doktor heraus.

Das aus Lebenden und Auferstandenen bestehende Personal ist durchwegs skurril. Da wären da noch ein Revierinspektor namens Stieger, der Gottlieb um Mithilfe bei seiner polizeilichen Ermittlungsarbeit bittet; die auffallend vergessliche Journalistin Renate Sameder; Berufsfischer Günther Talsmann, Mitglied einer geheimen Ökoorganisation, der über die Kunst der Hellsichtigkeit verfügt oder auch Stiegers Onkel, der über 80 Jahre alte Buchhändler Matthäus Galmei, der den begriffsstutzigen Männern mittels Bibelrecherche auf die Sprünge hilft: „Die Toten rennen auf der Straße rum – wo willst du denn da nachschauen? In eurem Sicherheitspolizeigesetz? In der Strafprozessordnung? Im ABGB?“

Die Apokalypse auf heutige Verhältnisse herunterbrechen

Wie Galmei hat auch Christian Mähr ausführlich in der Bibel recherchiert. Seine Grundidee war es, die Apokalypse auf heutige Verhältnisse herunterzubrechen. Ein grandioses Vorhaben für einen Autor, der derart flüssig und unprätentiös zu schreiben versteht wie Christian Mähr und darüber hinaus über einen staubtrockenen Humor verfügt. Zu den Höhepunkten des Unterhaltungsromans zählen die witzigen Dialoge, etwa zwischen den beiden Auferstandenen Hildmeyer und Liri. „Genau hinter uns ist ein ganzer Friedhof. Da müssen Tausende begraben sein im Lauf der Jahrhunderte, oder nicht? Wo sind die alle?...Mir ist außer Ihnen noch niemand begegnet…Sehen Sie, da stimmt doch was nicht! Zwei Leute. Lächerlich. Und dann die Begleitumstände…Was meinen Sie?...Na, die Inszenierung, das ganze Drum und Dran…Inszenierung? Mir ist nichts aufgefallen…Das mein ich ja! Da sollte doch einiges los sein. Himmlische Heerscharen, Posaunen des Jüngsten Gerichts, Engel…“ Schlicht enttäuschend findet Werner Liri seine Auferstehung, und auch Lukas Hildmeyer hätte sich da schon etwas mehr erwartet. „Ich will jetzt nicht auf den Posaunen rumreiten, aber da war akustisch überhaupt nichts, keine Posaunen, keine Trompeten, nicht einmal Blockflöten!“ Immerhin tritt auf Seite 176 ER in Erscheinung, Renate Sameder sieht ihn in weißem Umhang mit purpurnen Borten und vergoldeten Pantoffeln über das Wasser gehen und ist natürlich schwer beeindruckt. „Das war schon Las-Vegas-Niveau.“ Schön ist ER zwar nicht, aber das deckt sich ja auch mit den Überlieferungen. Renate konstatiert: „Man würde ihn nicht als Dressman für einen Katalog buchen. Markante Nase, tiefliegende Augen, schwärzer noch als das Haar.“

 

LiebhaberInnen der gehobenen Unterhaltung kommen in „Der Jüngste Tag des Peter Gottlieb“ auf ihre Kosten, Christian Mähr hat darin auch unbekannte Ecken der Heiligen Schrift ausgeleuchtet. An keiner Stelle der Bibel findet sich etwa ein Hinweis auf den Wirt des letzten Abendmahls. Bei Mähr ist es sein Protagonist Peter Gottlieb, der in seinem Gasthaus „Lamm“ die Teilnehmer des Jüngsten Gerichts mit Bratfisch, Wabe, Brot und Wein versorgt, der aus dem Wasserhahn fließt. Hildmeyer gibt den Gerichtslader, Kategoros-Korowjew den Ankläger, Talsmann den Verteidiger, Renate Sameder die Protokollführerin und Stieger den Sprecher von IHM, dem Vorsitzenden. „Was spricht der, und wann? Gibt´s da eine Pressekonferenz?“ Nein, eine Pressekonferenz gibt’s nicht und überhaupt – dem Jüngsten Gericht mangelt es eindeutig an Struktur. Einmal geht’s um Verhandlungsfragen, dann fehlen wieder der Anklagevertreter und ein Zeuge, weil er erschlagen wurde. Die Apokalypse – so viel sei verraten – verzögert sich…Übrigens – wen es interessieren sollte – Christian Mähr ist Protestant!

 

Christian Mähr, Der Jüngste Tag des Peter Gottlieb, Hardcover, braumüller Verlag, ISBN 978-3-99200-203-0, 364 Seiten, € 24,-