Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Peter Niedermair · 05. Mai 2015 · Literatur

Einer der markantesten Gefäßgestalter der Gegenwart - Thomas Bohle - Keramische Objekte. Innere Räume

Am 9. Mai wird in der Londoner Saachi Gallery ein außergewöhnliches Buch aus dem Stuttgarter Verlag ARNOLDSCHE Art Publishers präsentiert. Neben den Textbeiträgen von Frank Nievergelt und Rudolf Sagmeister gibt es ein sehr interessantes Künstler-Interview, das Hans-Joachim Gögl mit Thomas Bohle führte. Das von Clemens Theobert Schedler gestaltete Kunst-Buch enthält weiters 80 Abbildungen in Farbe von Frigesch Lampelmayer, 52 s/w Atelier Aufnahmen von Lucas Breuer; die 16 Röntgen-Aufnahmen in s/w sind von Thomas Bohle mit Unterstützung des Veterinärmediziners Markus Greißing gemacht worden. Das Hardcover Buch-Kunstwerk erscheint auf Deutsch und Englisch.

Im Inneren des Buches findet der Leser Fotos von den doppelwandigen, in künstlerisch-handwerklicher Perfektion auf der Drehscheibe des Dornbirner Ateliers kreierten Gefäßobjekten. Diese Objekte überschreiten spielend die Grenzen zwischen Keramik und freier Kunst. Deren Außen- wie Innenformen bilden einen durch die Glasuren betonten deutlichen Kontrast, der in einer dynamischen Abfolge konkaver und konvexer Partien einen spannungsvollen Dialog zwischen den Gefäßen und dem Raum eröffnet. Die Gefäße sind Ausdruck und Abbild eines über 25 Jahre hinweg entwickelten künstlerischen Form- und Gestaltungswillens, sie bestechen durch ihre magisch wirkenden sinnlichen und haptischen Qualitäten der reduziert gebrannten Ochsenblut- und Seladonglasuren. Thomas Bohle bringt die Gefäßkunst zur Perfektion und verweist auf die Grundmöglichkeiten der abstrakten plastischen Formgebung. Die Publikation eröffnet zudem einen Überblick, wie der Künstler mit der Form und effektvollen Glasuren experimentiert und dabei faszinierende und innovative keramische Skulpturen schafft. Die fachkundigen Beiträge schauen hinter die Kulissen der betörenden Ästhetik, sie diskutieren die präzise geometrische Formensprache der Objekte in Verbindung mit den malerischen Glasuren, deren letztliche Erscheinung immer ein Produkt auch des kalkulierten Zufalls ist. Bohles Keramik ist progressiv im eigentlichen Sinne, die Röntgenaufnahmen einzelner Objekte eröffnen bis dato nie gekannte Einblicke in das Innenleben der Skulpturen. Sie nehmen eine biographische Spur des Künstlers auf, der vor seiner Keramikkunst Krankenpfleger im Spital war.

„Wie das Schweigsamwerden in Kathedralen oder Schluchten“


Hans-Joachim Gögl sprach mit Thomas Bohle im Rahmen eines längeren Interviews, aus dem der oben zitierte Zwischentitel stammt, wenn man so will eine Art künstlerisches Credo. Der Künstler eröffnet in diesem Gespräch Einblicke in die Zusammenhänge von Material, Form und den Rezepturen für Glasuren, er erzählt von den Innenräumen, die er als Negativraum wahrnehme, „es ist mehr als sehen, mehr ein Gefühl, das Vermessen des Raums mit dem ganzen Körper“ und gesteht, dass der Raum der Unwissenheit immer wieder verblüffend groß sei, wenn man wie er den Gegensatz des Kontrollierten mit dem Unkontrollierbaren suche.

„… Doch mein Mond ist silbern wie deiner“

All die Sinnlichkeit und Fragilität, was Material und Form der Gefäße betrifft, über die Thomas Bohle als Keramikkünstler verfügt, die er eigentlich haben muss, findet man auch in seiner Sprache; nicht nur geschrieben, auch akustisch. Das ist mir wiederholt in Gesprächen mit ihm aufgefallen und wird auch im präsentierten Buch mit dem Untertitel „Keramische Objekte. Innere Räume“ auf mehreren Ebenen deutlich. Diese Hallräume meditativer Poesie klingen an in einem chinesischen Gedicht von Wang Chaoying, das dieser als Geschenk eigens für Thomas Bohle geschrieben hat. Dieses Poem in altchinesischen Schriftzeichen taucht am Ende des Buches auf Seite 239 nochmals auf, wo neben dem Stempel das Gedicht, das wiederum ein Kunstwerk für sich selbst ist, abgedruckt ist. Wang Chaoying, der heute wieder in Shanghai lebt, musste während der Kulturrevolution nach Japan fliehen und pendelt seither zwischen Tokyo und Shanghai. Die beiden trafen sich bei einer Teezeremonie, es entwickelte sich eine Freundschaft zwischen den beiden, die den Dornbirner Keramiker zu Ausstellungen nach China und Japan brachte.

Auf der letzten Innenseite des Buches taucht ein weiterer Stempel von Wang Chaoying auf, als Solitär, mit symbolischen Zeichen, wie z. B. dem Auge eines Pferdes, das voraus in die Zukunft blickt. Diese Verbindungen evozieren auch die künstlerische wie sprachliche Nähe zu Edmund De Waals („Der Hase mit den Bernsteinaugen“) Keramiken und den Spirit der Netruske, den Miniatur-Schnitzereien aus Holz und Elfenbein aus Japan. Die Gefäße des britischen Keramikkünstlers, der Professor für Keramik an der University of Westminster in London ist, sind ebenfalls von japanischen Töpfereien beeinflusst.

Kostbare Blüten im Dschungel der heutigen Kunstproduktion


Rudolf Sagmeister verortet in seinem Beitrag die Keramikkunst von Thomas Bohle im internationalen Kontext verschiedener Kulturräume, wo „Werke der Keramik seit Jahrhunderten mit der gleichen Aufmerksamkeit und Bewunderung gesammelt, bewertet und ausgestellt (werden) wie alle anderen Kunsterzeugnisse, unabhängig ob Farbe auf Holz, Leinwand oder Papier“. Nicht das Material bestimme den Kunstwert eines Kunstwerkes, sondern die Idee, die Ausführung, das Wissen und die Meisterschaft des Künstlers/der Künstlerin in Entwurf, Komposition, Farbe, Form und Material. Der Schweizer Frank Nievergelt betont mit Blick auf Thomas Bohles biographischen Werdegang, dass der Künstler ein Spät- und Quereinsteiger ist, „noch heute ohne Gruppenzugehörigkeit und Verbindungen“, der aber bereits als einer der markantesten Gefäßgestalter der Gegenwart bekannt sei. „Thomas Bohles formaler Einfallsreichtum und die perfekte technische Ausführung treffen mit ihrer Nähe zum hochstehenden aktuellen ‚Design‘ den Nerv der Zeit.“

 

Frank Nievergelt/Rudolf Sagmeister: THOMAS BOHLE. Mit einem Künstler-Interview mit Hans-Joachim Gögl. ARNOLDSCHE Art Publishers, Stuttgart 2015; 240 Seiten, 24 x 32 cm, 80 Abbildungen in Farbe und 52 in Schwarz-Weiß, 16 Röntgen-Aufnahmen in Schwarz-Weiß. Hardcover. Deutsch u. Englisch. ISBN: 978-3-89790-431-6; Lieferbar ab 15.05.2015 | 49,80 €

Die Buchpräsentation findet am 9. Mai 2015 im Rahmen der Ausstellung COLLECT, 9.-12.5., in der Saachi Gallery in London in Kooperation mit Thomas Bohles Galeristin Sarah Myerscough statt. 15-16 Brooks Mews, Mayfair, London W1K 4DS