Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Anita Grüneis · 22. Jän 2017 · Literatur

"Die letzten Dinge" im TAK, Schaan: Ich atme die Welt ein und sie ist dann in mir drin

Ein Thema, mit dem sich jeder irgendwann im Leben auseinandersetzen muss, sind „die letzten Dinge“, die Frage, was ist vom Leben übrig geblieben, was war das für ein Leben, was war gut, was schlecht, hat es sich gelohnt und was kommt danach. Die Journalistin Iris Radisch hat darüber ein Buch geschrieben und stellte dies im TAK Theater Liechtenstein auf Einladung des Literaturhauses vor.

Iris Radisch war von 1992 bis 2013 Literaturchefin bei der angesehenen deutschen Wochenzeitung ZEIT. Seit März 2013 leitet sie gemeinsam mit Adam Soboczynski das Feuilleton der ZEIT. Einen Namen gemacht hat sie sich aber auch im Literarischen Quartett des ZDF, in dem sie unter anderem gemeinsam mit Marcel Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek neue Bücher vorstellte. Im gleichen Jahr erschien ihre Biografie über Albert Camus, Zwei Jahre später publizierte sie das Buch „Die letzten Dinge“, in dem sie ihre Gespräche mit achtzehn Schriftstellern und Philosophen veröffentlichte. Ihre Interviewpartner waren oft in hohem Alter und so wurden es manchmal auch Abschiedsgespräche. Aus diesem Buch las sie im TAK vor und stellte sich den Fragen von Roman Banzer, Leiter des Literaturhauses Liechtenstein.

Die Zukunft ist der Tod

Sie habe schon früh mehr über die existentiellen Fragen nach dem Lebensresumé wissen wollen, erzählte sie und dass sie bereits als Dreissigjährige den damals 90jährigen Julian Green interviewte. Er sagte unter anderem zu ihr: „Alter ist Sünde“ und dass dieses Wort „Sünde“ für ihn eine furchtbare Bedeutung habe, dass er nie ein Homosexueller gewesen sei, obwohl er das Leben eines Homosexuellen führte. Auch an ihr Gespräch mit dem 90jährigen Marcel Reich-Ranicki erinnert sich Iris Radisch noch gut. Der große Literaturpapst lebte schon alleine, hatte bereits die meisten seiner Bücher weggegeben und wollte keine Romane mehr lesen. „Es ist schon noch eine Zukunft da“, sagte er zu ihr, “die ist der Tod“ und dass er nie in seinem Leben glücklich gewesen sei. Reich-Ranicki beherrschte so etwas wie eine „heitere Verzweiflung“, meinte Iris Radisch.

Nicht trotz, wegen der Kultur

Eine Eigenschaft, die sie bei mehreren Holocaust-Überlebenden feststellte. Viele von ihnen kehrten nach dem Krieg nach Deutschland zurück, weil sie, laut Radisch „an ihrer kulturellen Imprägnierung der deutschen Kultur hingen. Obwohl gerade mit der deutschen Sprache alles stattgefunden hatte“. So auch der Ungar Imre Kertész, der zwar am Ende seines Lebens in Budapest lebte, dem es dort aber nicht gut ging, dies nicht nur wegen seiner Parkinson-Erkrankung. „Nicht trotz der Kultur hat es Auschwitz gegeben, sondern wegen der Kultur“, sagte Kertész zu ihr. Er habe im Holocaust nie einen deutsch-jüdischen Krieg gesehen, sondern die Technik eines totalitären Systems. Die Schriftstellerin Ruth Klüger, die als 15-Jährige in Auschwitz war, lebte nach dem Krieg in den USA, lehrte dort aber deutsche Kultur. „Der Sinn des Lebens ist das Leben“, so lautete ihr Resumé und Ilse Aichinger meinte: „Erfüllte Wünsche sind ein Unglück“ und weiter: „Ich wusste schon immer, dass ich jemand bin.“ Für die Zukunft wünschte sie sich, dass die ihre nicht mehr lange dauert.   

Im Zettelgehäuse mit Mayröcker

Bei all ihren Interviews habe sie nicht erlebt, dass sich jemand dauernd Mut zugesprochen hätte, sagte Radisch. „Es gab keine Krankenhausgespräche, bei denen dauernd gesagt: Das wird schon wieder besser.“ Sehr aufschlussreich war für sie die Begegnung mit Friedericke Mayröcker, die sie in ihrem „Zettelgehäuse“ in Wien besuchen durfte. Die Autorin klagte über den Verlust ihres Partners Ernst Jandl und meinte, die Jahre seien einfach vergangen und dass es eine Restkommunikation über den Tod hinaus gebe. So würde sie den Ernst hin und wieder bitten, ihr in ihrer Zettelwirtschaft beim Suchen zu helfen, was manchmal sogar von Erfolg gekrönt wird. Laut Iris Radisch äußerte Friedericke Mayröcker im Interview einen der schönsten Sätze: „Ich habe das Gefühl, ich atme die ganze Welt ein und sie ist dann in mir drin“.   

Zum Abschluss ein Lesetipp von Iris Radisch: Sie empfiehlt das neue Buch von Emmanuel Carrères mit dem Titel „Das Reich Gottes“. Der Franzose verknüpft darin Literatur, Reportage, Essay und Autobiografie auf neuartige Weise.