Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Mirjam Steinbock · 26. Aug 2016 · Literatur

Das Wandern ist der Niere Lust – Maria Hofstätter und Martina Spitzer begeben sich auf eine literarisch musikalische Hatscherei

Um das Gehen, Laufen, Flanieren, das Katapultiert-Werden und andere Arten der Fortbewegung geht es in der aktuellen Produktion des Projekttheaters Vorarlberg. Die Premiere von „gehen gang gegungen“, einer Lesung mit Musik, fand im Rahmen des Walserherbstes im Festsaal Blons statt. Maria Hofstätter und Martina Spitzer sammelten Texte aus der Weltliteratur und geben antiken wie zeitgenössischen Dichtern, Essayisten, Philosophen, Dramatikern, Schriftstellern und Zeitzeugen ihre starken Stimmen.

Die beiden Schauspielerinnen sind ein eingespieltes Team, das bereits lange Zeit miteinander arbeitet. Musikalisch begleitet werden sie von einem zweiten Duo. Karl Stirner spielt die Zither und Walther Soyka die Wiener Knopfharmonika. Das Musikalische als Untermalung zu bezeichnen, würde zu kurz greifen. Das harmonische Zusammenspiel von Zupf- und Handzuginstrument gibt dem Abend den Rhythmus vor. Dieser korrespondiert sowohl mit der jeweiligen Länge der Texte als auch mit deren Witz, Dramatik und Kernaussage. Ein schöner Bogen, der hier gespannt wird: die Musiker lassen die Instrumente über ihre Hände erzählen während die beiden Schauspielerinnen ihre Stimmen in Sprache und Gesang einsetzen, um letztlich zu den Körperteilen zu kommen, die Fortbewegung möglich machen. Wobei die Konzentration dieses Abends nicht auf den Füßen liegt. Maria Hofstätter und Martina Spitzer führen die Zuhörenden durch den ganzen Körper und an sämtliche Orte. Dass es 54 Körperabläufe benötigt, um gehen zu können gehört genau so dazu, wie die Tatsache, dass denken und gehen nicht in gleichzeitiger Intensität ausgeführt werden können. Die zwei Akteurinnen nehmen das Publikum so philosophisch wie unterhaltsam mit auf eine Wallfahrt, in private Gärten, auf einen Berggipfel oder auf die Straße.

Denken und Gehen


Bekannte Autoren wie Ernst Jandl, Peter Handke, Honoré de Balzac oder Christian Morgenstern haben sich intensiv mit dem Gehen beschäftigt. Die feinen Beobachtungen eines Thomas Bernhard oder die Milieustudien im Dialekt von Friedrich Achleitner folgen einander wie eine Sitcom. Von "Gespräch 1" von Bernhard geht es zu "Gedichte 1" von Achleitner. Dazwischen sprechen Maria Hofstätter und Martina Spitzer eine Auswahl an Texten anderer Urheber bis es zur zweiten Gesprächs- und Gedichtfolge kommt und schließlich in einer dritten endet. Wie alte Bekannte wirken die Dialogpartner aus Thomas Bernhards „Gehen“. Um einen namenlosen Erzähler, gesprochen von Maria Hofstätter, um Oehler, vertont von Martina Spitzer, und den verrückt gewordenen Karrer dreht es sich in dieser Erzählung. Thematisiert wird der Zusammenhang von Denken und Gehen; von der Zielgerichtetheit der Fortbewegung oder gar Zuständen des Frierens handelt der Text. Abgelöst durch die Gedichte Friedrich Achleitners und Ernst Jandls in Mundart verwandeln sich die beiden Schauspielerinnen von Denkern in phlegmatische Charaktere, die sich einfach nicht zu einer Fortbewegung entscheiden können.

Charmant und berührend


Der Abend beleuchtet das Gehen, seinen Ursprung, seine Ausformung und dessen Konsequenzen und auch Chancen in sämtlichen Facetten. Zu Beginn etwas schleppend, gewinnt die Lesung zusehends an Fahrt. „Die Wanderniere“, ursprünglich von Georg Kreisler gesungen, wird von den beiden Damen mit beinahe sachlicher Intonation gesprochen, was dem ganzen einen charmanten Witz gibt. Der „Todesmarsch“, Erinnerungen des Widerstandkämpfers Willy Sägebrecht, berührt durch den zurückhaltenden Sprachstil Maria Hofstätters besonders. Die Kompositionen von Karl Stirner und Walther Soyka tun dies auch. Die beiden Musiker entlocken ihren Instrumenten Melodien, die sich im Raum ausdehen, zu einem größeren Klangbild verbinden und die Worte und Gedanken dieses literarisch prall gefüllten Abends weit in das Große Walsertal hinaustragen.