Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Anita Grüneis · 02. Nov 2016 · Literatur

Das glückliche Gefühl der Allgegenwärtigkeit

Der Schriftsteller Peter Stamm stellte auf Einladung des Literaturhauses Liechtenstein im TAK sein neuestes Buch „Weit über das Land“ vor. Er beschreibt darin die Situation eines Mannes, der seine Familie verlässt, ungeplant und ohne erkennbaren Grund. Während der Mann durch das Outback der Schweiz wandert, versucht die Frau das Leben mit den beiden Kindern zu bewältigen. Der Roman wird aus seiner und ihrer Sicht erzählt.

Wir werden bis zum Schluss nicht erfahren, warum Thomas seine Familie verlassen hat. Aber wir erfahren, wie es ihm dabei ergeht, was er beim Gehen durch die Natur empfindet, wie er seine Umgebung wahrnimmt, die Dörfer, die Menschen, die Städte und die Wälder.

Manchmal hat er das „beunruhigende Gefühl, dies alles sei für ihn inszeniert worden, die Menschen des Dorfes seien Schauspieler, die nur darauf gewartet hätten, dass er auftauchte, um in ihre Rollen zu fallen, ihren Text zu sprechen“. Immer wieder ist ihm als seien „die Häuschen vom Himmel gefallen“, eine „feindliche Invasion aus urbaneren Gebieten“. Und wenn er einen Wald betritt, ist er in einer anderen Welt angekommen. Einmal geht er ein Stück des Seeufers entlang, dann setzt er sich ins Gras um etwas zu essen und sich auszuruhen. „Thomas legte sich hin und fiel bald in eine Art Halbschlaf, in dem Zeiten und Orte verschwammen zu einem glücklichen Gefühl der Allgegenwärtigkeit.“

Die zwei Leben in einer Geschichte

Seine Frau Astrid versucht derweil sein Verschwinden zu überspielen, sie erfindet immer neue Ausreden für die Kinder, die Sekretärin, sich selbst. Nur langsam wird ihr bewusst, dass Thomas tatsächlich weg ist. Sie schaltet die Polizei ein, überprüft das gemeinsame Bankkonto, bemerkt drei Abbuchungen, geht diesen nach, fährt mit den Kindern zu dem Geschäft, in dem ihr Mann Sportartikel eingekauft hat, und sucht verschiedene Restaurants nach ihm ab. Sie findet ihn nicht. Später wird sie sich vorstellen, dass ihr Mann tot ist und spürt doch zugleich, dass er lebt. Sie ist besorgt um ihn. „Thomas war weg, aber er war nicht tot. Sie sah ihn durch menschenleere Landschaften gehen, bei Regen Schutz suchen unter Vordächern, bei einer Tankstelle, in einer Kirche,“ heißt es im Roman.  

Lakonische, präzise Erzählweise

Peter Stamm beschreibt die Stimmungslagen seiner Personen präzis und ohne Schnörkel. „Die Stimmung der Figur prägt die Beschreibung,“ sagt er selbst dazu und dass die Perspektive wichtig sei, die man beim Schreiben einnimmt. Um für Thomas die richtigen Worte zu finden, ist der Autor selbst von Winterthur los gelaufen und hat auch mal über Nacht draussen geschlafen. „Das Tolle beim Wandern ist, dass man alles wahrnimmt“, sagte er an der Lesung, und dass sein Buch auch ein Buch über den Tod sein könnte, oder ein Liebesroman. Es ist auf jeden Fall ein Buch über zwei Menschen, die so sehr verbunden sind, dass für sie die Worte des Schriftstellerkollegen Markus Werner gelten: „Wenn wir uns trennen, bleiben wir uns“. Diesen Satz aus „Zündels Abgang“ hat Peter Stamm übrigens seinem Roman „Weit über das Land“ vorangestellt.

Peter Stamm, Weit über das Land, Roman, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016, ISBN 9783100022271, 224 Seiten, 19,99 EUR