Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Annette Raschner · 26. Mär 2017 · Literatur

„Brokkoli essen, Neapel sehen und dann sterben!“ - „Itinera Italica“ - Die Rom-Aufenthalten der Mönche des Klosters St. Gallen

Ein wunderbar sorgfältig gestaltetes Buch eröffnet Einblicke in den Tourismus des 18. Jahrhunderts. „Itinera Italica“ widmet sich den Rom-Aufenthalten der Mönche des Klosters St. Gallen.

Eine Welt liegt zwischen heutigem Tourismus und der „grand tour“ von Adel und Klerus im 18. Jahrhundert, und es ist ein Lesevergnügen ohnegleichen, diese Welt zu durchwandern. Zugegeben, das Wandern war nicht unbedingt der Mönche Lust. Coelestin Sfondati zum Beispiel hat es regelrecht gehasst. 1695 wird er, Fürstabt in St. Gallen, zum Kardinal erhoben und nach Rom berufen. Angestrebt hat er das nicht, sich vielmehr zurück nach seiner Studierstube gesehnt. Er stirbt wenige Monate nach seiner Ankunft in Rom. Heimwehkrank war auch Pater Dominik Ritter. Er vertrug in Italien „weder die Luft noch das Essen“. Schon nach vier Wochen reiste er zurück nach St. Gallen. Der Bericht seiner hektischen Rückkehr eröffnet „Itinera Italica“.

Immerhin machte Peter Dominik, bevor er den „Adlerberg“ (Arlberg) überquerte, den üblichen Abstecher nach Venedig. Er erzählt vom Krieg der „pugni“ auf der Rialto-Brücke. Die war schon vor 300 Jahren ein touristischer Hotspot, konnte darüber hinaus aber noch mit einer rituellen Prügelei aufwarten, bei der einander die Bewohner zweier Quartiere verdroschen. 1705 wurde das Treiben verboten. Wie und warum, das ist in einer der ebenso knappen wie informativen Randspalten von „Itinera Italica“ zu lesen, in denen bei Gelegenheit auch heute unverständliche Ausdrücke übersetzt werden. Kapitelweise illustrieren zeitgenössische Aquarelle die besuchten Orte. Die handschriftlichen Reiseberichte finden sich eingeheftet in diesem zweisprachig (deutsch und italienisch) vom Atelier Gassner aus Schlins in gewohnter Perfektion gestalteten Buch.

Tagebücher


„Außerhalb der Stadt, in einer uralten und fast völlig zerstörten Basilika … liegt jener Weinliebhaber namens Johannes Fugger begraben, der jeweils den guten Wein mit dem bloßen Wort „ist!“ vom schlechteren zu unterscheiden pflegte und dem deshalb einer seiner Bediensteten jenes lustige Epitaph oder die Inschrift verfasste, welche wir selbst auf seinem Grabstein gelesen haben und die folgendermaßen lautet: Ist, ist, ist: Wegen zu viel Ist ist mein Herr Johannes Fugger nicht mehr.“

Pater Lukas Grass und Pater Jodok Müller scheinen sich auf ihrer Italienreise nicht schlecht amüsiert zu haben. Sie waren, wie alle St. Galler Mönche angehalten, ein Reisetagebuch zu schreiben, schon um Rechenschaft darüber abzulegen, wie das angestrebte Ziel erreicht worden war. Dieses Ziel lag im Erwerb spezieller juristischer Kenntnisse, um die Interessen des Klosters bei der päpstlichen Kurie zu vertreten. Daneben war die Italienreise naturgemäß theologischer Vertiefung gewidmet. Es wimmelt also von Berichten über wundertätige Reliquien, heilige Gräber und seltsame Heilige. Dabei schleicht sich mehr als einmal ein deutlich antisemitischer Unterton ein. So berichten etwa die Patres Lukas Grass und Jodok Müller aus Roveredo: „Dann gingen wir zur Pfarrkirche Sankt Peter, wo der unversehrte Leib des heiligen Knaben Simeon, der in den Händen der Juden ein so grausames Martyrium erlitten hat, verehrt wird. Er ist schwarz verfärbt und weist noch alle Zähne auf, wie wir voller Staunen feststellten.“

Via Appia


Auf der perfekt instand gehaltenen antiken Via Appia reisten die St. Galler Mönche nach Neapel, vor allem wegen des „Sacro Speco“, der Wiege des Benediktinerordens. Die Stadt war mehr als doppelt so groß wie Rom und jagte den Mönchen Angst ein. Die Landschaft sei paradiesisch, immerhin. Aber das (auch von Goethe überlieferte) Sprichwort „Manga bruocoli, vedi Napoli, e poi muoiri ben‘ mio“( „Broccoli essen, Neapel sehen und dann sterben, mein Lieber“) nötigte Pater Lukas Grass nichts als Kopfschütteln ab. Das Gemüse mochte er nicht, die Neapolitaner auch nicht. Sie seien „hässlich anzuschauen, in allem ähneln sie den Juden.“ Er lobe Gott dafür, dass er den Neapolitanern zwei Ruten ins Fenster gestellt habe: das Erdbeben und den Vesuv. „Ich sage, diese Ruten halten die Neapolitaner ein klein wenig im Zaum.“

Wunderkammern und Naturwissenschaften


Was schaut sich ein Tourist heute an? In den Uffizien etwa Botticellis „Geburt der Venus“, Tizians „Venus von Urbino“ – jedenfalls die tausende Meisterwerke umfassende Gemäldesammlung. Pater Lukas und Pater Jodok schauten sich im Jahr 1700 allerdings nur einen einzigen Raum mit Gemälden an. Der Rest bestand aus Wunder- und Schatzkammern.

Das naturwissenschaftliche Interesse überwog auch bei Pater Iso. Er erlebte eine Sonnenfinsternis, und zwar inmitten von Prälaten und Adeligen, die sich das Ereignis vom Jesuiten Ruggero Boscovich, einem der bekanntesten Astronomen Europas, erklären ließen. Als aber der Himmel sich verdunkelte, zog sich Pater Iso sicherheitshalber in die Kirche zurück. Hätte ja sein können, dass das Verschwinden der Sonne ein Zeichen für den Zorn Gottes auf die sündige Menschheit war. Ihre Rückkehr wurde dann mit einer feierlichen Vesper begrüßt, auf der der Geiger Pasquale Bibi, genannt Pasqualino, auftrat. „Ich war starr vor Staunen“ gesteht Pater Iso, „meine Haare standen mir zu Berge, meine Stimme erstarb in der Kehle… Er spielte mit so viel Kunstfertigkeit und Lieblichkeit, dass es über menschliche Fähigkeiten hinauszugehen schien.“

Konzert, Oper und Theater, Musikunterricht und Sprachkurse füllten die Tage der Patres. Italienischkenntnisse waren erwünscht, um Beziehungen aufzubauen und Empfehlungen zu erhalten. Die Mönche nutzten aber auch die Gelegenheit, ihre Kenntnisse des Hebräischen und der orientalischen Sprachen zu vertiefen.

Privilegien


Enorme Privilegien sicherten ihnen die Beziehungen zur Schweizergarde. Sie erhielten problemlos Zugang zu den päpstlichen Residenzen, ja zum Papst selbst, der im Jubeljahr 1700 den Patres Lukas Grass und Jodok Müller ein besonderes Geschenk machte: „Der Papst gewährte uns einen Ablass für den Augenblick des Todes für uns und unsere Verwandten bis zum dritten Grad und auch noch für fünfzig andere Personen, denen wir ihn nach Gutdünken weitergeben könnten.“

Derlei Geschäfte erschienen den Mönchen durchaus normal. Irritiert waren sie allerdings von der wüsten Karsamstags-Prozession mit rund hundert halbnackten Flagellanten, die sich blutig schlugen. Und nicht eben angemessen erschien ihnen auch das soziale Gefälle innerhalb der Klöster. In unermesslichem Luxus lebten die Mönche, die dem Hochadel entstammten und dabei doch ahnten, dass dieses Leben nicht von Dauer sein konnte. „Einer von den Älteren beklagte sich bei mir über das allzu stolze Gebäude, denn die unermesslichen Ausgaben, die dafür aufgewendet wurden, hätten nützlicheren und frommeren Zwecken zugeführt werden können, während ihnen das Gebäude nichts anderes einbringe als den Unwillen der Weltlichen, den Verdacht auf Hochmut und die Feindseligkeit unserer raffgierigen Zeit.“

Architekturstudium


Pater Coelestin Gugger gegenüber war das durchaus in den Wind gesprochen, denn nichts interessierte ihn brennender als gerade die Pracht der neuesten Sakralarchitekur. 1730 kehrte der 28-Jährige nach St. Gallen zurück, wurde Fürstabt und verwandelte das Kloster in jenen barocken Gebäudekomplex, den wir noch heute kennen. Mit der Neugestaltung der Kirche betraute er die aus dem Bregenzerwald stammenden Architekten Peter Thumb und Johann Michael Beer.

Pater Iso Walser, später in St. Gallen sein Stellvertreter, schwärmte von Siena. „Besondere Bewunderung verdient die Kathedralkirche, der heiligen Königin der Himmel geweiht, die an erhöhter Stelle liegt und ganz aus weißen und schwarzen Marmorquadern erbaut ist.“

Zurück in der Schweiz, setzte Pater Iso das in Italien Gelernte in die Tat um. 40 Landkirchen in der Ostschweiz wurden unter seiner Regie neu gebaut oder erhielten ein Rokoko-Kleid. Sein Lieblingsbaumeister wurde der aus Au stammende Johann Ferdinand Beer. So mancher Mitbruder aber teilte Pater Isos Lust an Pomp und Prunk nicht, und so musste er sein Amt als Vertreter des Fürstabts aufgeben und wurde auf die recht bescheidene Stelle als Statthalter in Rorschach versetzt. Sic transit gloria mundi.

  

„Itinera Italica II. Die römischen Tagebücher aus dem Kloster Sankt Gallen“, Peter Erhardt und Luigi Collarile (Hrsg.), deutsch/italienisch, Halbleinen mit Schutzumschlag, 247 Seiten, zuzügl. 64 Faksimileseiten, € 49,-, ISBN 978 3 85256 677 1, Folio Verlag