Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Peter Niedermair · 11. Aug 2018 · Literatur

Bianca Tschaikners „Minisutra“

Im Foyer der Galerie und Kunstraum Hollenstein Lustenau begrüßte kürzlich Daniela Fetz, die Galerieleiterin in Vertretung von Claudia Voit, eine illustre Schar interessierter BesucherInnen zur Präsentation von Bianca Tschaikners „Minisutra“, eine Sammlung kleinformatiger Aquarelle mit heiter-fröhlichen Liebesstellungen und einer mehr als leichten Anspielung auf das Kamasutra. Die Galerie bietet neuerdings regionalen KünstlerInnen eine Bühne für kurzfristige zustande kommende Veranstaltungen und setzt dabei auf diskursive Formate, Präsentationen, Diskussionen, bei freiem Eintritt.

Kurze biographische Notizen

In einem Interview zu ihrem Leben und ihrer Arbeitsweise, das in „Glück? Glück!“ hrsg. von Daniela Fetz erschien, erzählt die 1985 in Bregenz geborene Künstlerin: Sie „entdeckte ihre Liebe zu Farben, Papier und den unzähligen Möglichkeiten, diese zwei Einheiten zu einem Ganzen zu verschmelzen schon als Kind" (Zitat von Sarah Alexandroff aus "Glück? Glück!"). Sie studierte an der FH Vorarlberg im Studiengang Intermedia, war für ein Auslandssemester in Chile, als Bachelor-Arbeit produzierte sie ein illustriertes Kochbuch „La Cocina de América Latina“, erschienen im Bucher Verlag. Nach dem Studium war sie einige Zeit in Tanger/Marokko, wo sie ihre Eindrücke und Erlebnisse in einem Projekt "Postcards from Morocco" verarbeitete. Danach studierte sie Druckgrafik in Florenz und Spanien, machte einen MA in Illustration an der "Accademia di belle Arti" in Macerata/Italien.  

Start eines Lebens als "digitale Nomadin" 

Die Künstlerin und Illustratorin zieht einen Großteil ihrer Inspirationen aus Reisen und Aufenthalten als Residenzkünstlerin, bei denen der kulturelle Austausch mit den jeweiligen örtlichen Institutionen und KünstlerInnen eine bedeutende Rolle spielt. Mit dem „Verstand einer Forschenden und der Wahrnehmung einer Künstlerin“ bereist sie die Welt und „gibt sie in Form von klugen Bildern wider“ (Zitat von Sarah Alexandroff aus "Glück? Glück!". Ihre Arbeiten von unterwegs sind für Verlage, darunter namhafte Kunden, wie z.B. Süddeutsche Zeitung, Hamburger Abendblatt, Falter, Wienerin, Toronto Life Magazine, Ryanair, Fiat, SBB, Radio Ö1, Vorarlberg Museum, Spielboden, um nur einige wenige zu nennen. Sie lebte für längere Zeit in Chile, Marokko, Italien, Portugal, den USA, Indien und Iran. Derzeit ist sie in Bregenz. Sie spricht mehrere Sprachen und sagt über sich selber: "Ich bin sehr an den Sprachen und den Namen der Orte, die mir auf meinen Reisen begegnen, interessiert. Meine Aufmerksamkeit gilt hierbei auch der Poetik, dem Klang, aber auch dem Vermischen von Sprache und Bildern." Unter den zahlreichen Büchern, die Bianca Tschaikner illustriert hat, gibt es z.B. „Savari. Eine illustrierte Reise durch Iran und Indien“. Die Illustrationen waren im Stadtmuseum Dornbirn ausgestellt und wurden im Februar 2016 in der Zeitschrift KULTUR besprochen.

Minisutra

ist, wie die meisten ihrer Projekte, im Dezember vor zwei Jahren intuitiv entstanden. Es gab bereits zuvor eine vage Idee, mit kleinen Aquarellen bunte Kamasutra-Figürchen zu machen. Da ging es zunächst um die Form, um die Technik des Aquarells, und um den Körper. Sie war in jenem Dezember 2016 in Edinburgh/Schottland, ein schrecklicher Winter, wie sie sagt, ziemlich dunkel, vielleicht fünf Stunden Licht am Tag. Der Plan war, zu Weihnachten nach Indien zu fliegen, als die Idee entstand, einen Kamasutra-Kalender auf Facebook zu machen. Der Kalender erschien 2016 und 2017 entstand ein weiterer. Indirekt gibt es Motivspuren, und zwar hin zu zahlreichen Miniaturen, die sie zuvor auf den beiden Indienreisen gesehen und die eine inspirierende Wirkung hatten. Nach dem Kalender, der großen Anklang fand, hat sie das Minisutra Buch jedoch gänzlich überarbeitet und ein Crowdfunding organisiert. In einem nächsten Schritt sind die bereits entstandenen Aquarelle für „Minisutra“ übernommen, aber neu gemalt worden. Diese schrittweise, vielgestaltige Entwicklung spiegelt nicht nur die explorierende, Laboratoriums-mäßige Herangehensweise der Künstlerin, sondern reflektiert auch die Suche nach einer Kontextualisierung, die auf nahezu allen Aquarellen sichtbar wird. In diesen heiteren erotischen Darstellungen finden sich wiederholt Anspielungen, mitunter versteckt ironisch, offen witzig und skurril, immer jedoch mit einer gewissen humorvollen Heiterkeit.

Die indischen „Verse des Verlangens“ – „Kamasutra“  wurden bereits im 3. Jh. verfasst „und sind auch heute noch ein Standardwerk der Liebeskunst. Zur Anregung und Bereicherung der erotischen Beziehung zwischen Mann und Frau enthält das Kamasutra detaillierte Beschreibungen verschiedener Stellungen, aber auch gesellschaftliche Verhaltensregeln“, so im Vorwort zu „Kamasutra. Das Lehrbuch der alten indischen Liebeskunst“, Neuer Kaiser Verlag, Fränkisch-Crumbach, 2017. Bianca Tschaikner hat zu Kamasutra ausgiebig recherchiert, in Büchern, Kartenspielen und im Internet. Man höre ja auch einiges darüber, sagt sie, das seien diese Verrenkungen, diese Positionen, die man gar nicht machen könne … eigentlich. Ihre Überlegung war, das alles noch ein Stück weit ad absurdum zu führen, es weiter zu treiben, und "bis Weihnachten könne sich dann niemand mehr bewegen", wie eine Facebookuserin die undurchführbaren Stellungen des Kamasutra-Adventskalenders kommentierte. Die Rezeption des Kamasutra blieb lange Zeit auf Indien beschränkt und kam eigentlich erst sehr spät, am Ende des 19. Jahrhunderts in den Westen; und fiel zusammen mit dem Aufkommen der Psychoanalyse und der Psychologisierung der Gesellschaft, die auch die Bedeutung der Sexualität für das Individuum betonte, weit hinaus über das, was Sabina Spielrein und später Sigmund Freud als Eros bezeichneten. Für die Gesellschaft in Indien mit ihrer in sich stark differenzierten Gliederung waren damit immer auch gesellschaftliche Ordnungsprinzipien definiert. Darüber hinaus sind es Handlungsanweisungen für Liebesbeziehungen, die stark kulturell gefärbt sind und im Kontext einer ganz anderen Kultur ihren Ursprung haben. Wenn jemand also Kamasutra sagt, ist damit wesentlich mehr  bezeichnet als Sexstellungen, und es gibt auch mehrere solcher Sutren. Kama heißt Liebe, Sutra heißt Faden, somit bedeutet Kamasutra der Leitfaden der Liebe.

Reaktionen auf das heitere Spiel

Die Reaktionen auf die Kalender waren sehr unterschiedlich und bewegten sich zwischen Zustimmung und heftiger Ablehnung. In den (sogenannten) sozialen Medien jedenfalls sind der Kalender und das Büchlein „Minisutra“ bis unmittelbar jetzt heftig diskutiert worden. Es war schwierig, Förderungen für das Buch aufzustellen. Die Künstlerin vermutet, dies habe vielleicht mit Berührungsängsten zu tun. Man kann das Rezeptionsgeschehen über Mutmaßungen und Spekulationen hinaus nicht wirklich verifizieren. Deshalb lassen wir das auch. Die Buchproduktion wurde über ein Crowdfunding-Projekt finanziert und findet bis jetzt ein interessiertes Publikum. 

In den Minisutra-Aquarellen Bianca Tschaikners tritt eine besondere Form der Ironie zutage, die nicht etwa veräppelnd daherkommt. Vielmehr sind die aquarellierten Stellungen der Liebespraxis subtile Anspielungen und Kontextualisierungen, zum Teil mit Verweisen auf tagespolitische oder gesellschaftliche Ereignisse, die gerade durch die Bildbeschriftungen das aquarellistische Geschehen konterkarieren und den erotischen Abbildungen einen federleichten, swingenden Touch geben. Allfällig pornographische Lesarten sind Projektionen und wären allenfalls für Oliver Sacks interessehalber von Bedeutung gewesen, zumal es künstlerisch beim Aquarellieren keine Intentionen einer Transformation der Inhalte des Kamasutra in die hiesige Welt gegeben hat. Für die Künstlerin Bianca Tschaikner war das eigentliche Kamasutra nicht mehr und nicht weniger als eine Inspiration. 

Die Stellungen und Verrenkungen in der Kunstwelt der Künstlerin sind zum Teil gefunden, zum Teil erfunden. Es ist ein heiterer Umgang mit Sexualität, was – wie Bianca Tschaikner meint – durchaus abschreckend wirken könnte. Die Bildersprachen der Sexualität sind individuell und gesellschaftlich-kulturell divergent. Sinnlichkeit, Intimität und Sinnenfreude, Erotik und Fröhlichkeit verbinden und verschmelzen Körperlichkeit und den analogen Spirit. Die reduzierte Textebene ergänzt die Bildsprache. Der Text funktioniert als Kommentar. Ein schönes Buch. Heiter und fröhlich, wie das kühle Lüftchen am Abend nach der sommerlichen Hitze. 

Bianca Tschaikner: Minisutra. Selbstverlag, Hohenems 2018, ISBN 979-3-200-05719-7, Euro 12,50 

Am Montag, 13. August 2018, 19.00 Uhr gibt es nochmals die Gelegenheit, die Illustrationen in der Galerie Hollenstein, Pontenstraße, Lustenau, mit einer Führung durch die Künstlerin zu sehen.

www.biancatschaikner.com