Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Raffaela Rudigier · 04. Sep 2018 · Literatur

„Alles außer Lyrik“ von Christian Futscher - Doppelte Böden und seltsame Abbiegungen

Dieser Dichter ist ein Schelm – und es ist eine helle Freude, seine Gedichte zu lesen. „Alles außer Lyrik“ heißt der neue Lyrikband von Christian Futscher und er enthält natürlich: Gedichte. Die Bedeutung des Titels verändert sich gleich zu Beginn ein weiteres Mal, mit dem Zitat von Andreas Okopenko auf Seite eins: „Alles außer Lyrik ist Irrsinn“. Spätestens jetzt wird klar, dass es hier doppelte Böden gibt und nicht immer alles so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint.

Morgenstund´

Warm leuchtete die Morgensonne, 
eine Ahnung von Frühling lag
in der frischen Luft,
bald würde ein blaues Band flattern,
da sah ich auf dem Gehsteig
eine Kotzlache,
in der Folge noch weitere –
eine von ihnen sah aus wie die
von einem Kind gemalte Sonne.

Vermeintliche Naturgedichte nehmen bei Christian Futscher oft seltsame Abbiegungen. Poetische Beschreibungen werden durch unpassende Inhalte konterkariert und ergeben schillernde Satire. Schwarzer Humor und genaue Beobachtungen werden in kurze Formen gegossen. Dabei bedient er sich freier Verse, kaum etwas reimt sich, die Zeilenbrüche scheinen völlig willkürlich gesetzt. Ob Futscher nun Kurzprosa oder doch eher Gedichte schreibt, ist eigentlich belanglos. Sparsame literarische Formen sind das seine. 
Futscher vereint in seinen Texten Witziges und Trauriges, Absurdes und Alltägliches, Nonsens und Konkretes. Gegensätzliche Welten verschmelzen ineinander und ergeben etwas Neues.

Keine Alternative

Am Himmel fliegt ein Vogel,
ich nenne ihn Dirk
Die Milch meiner Kindheit
strömte durch Erhitzen
über den Rand des Topfes.
Es gab eine Zeit, da wurde Wein
aus meinem Bauchnabel getrunken.
Dirk setzt sich auf meinen Fuß,
er hat ein Brieflein im Schnabel.
„Weniger Wein, mehr Schlaf“,
steht darin, sonst nichts.
Hauptsache, es sind immer Kapern
und Sardinen im Kühlschrank.
Kuscheln ist eine Möglichkeit,
die Zeit zu dehnen.
Käsepappeltee ist keine Alternative.

Laboratorium für das Gewohnte

Seine Gedichte sind ein Laboratorium für das Gewohnte, das sich durch eine neue Form und andere Perspektive plötzlich verändert. Alltagsbeobachtungen werden zu Alltagslyrik. Nicht jedes Gedicht ist der ganz große Wurf. Aber es gibt nichts, was hier nicht zum Gedicht werden kann, wie etwa das Gedicht mit dem Titel „Cola, Semmeln und Bananen“ zeigt. 
Auch die Umkehrung dieses Prinzips funktioniert, indem Banales, wie eine verdrehte Redewendung, plötzlich zur kleinen Lebensweisheit wird:

Sei Wurst

Lebe so, dass man sich
von dir eine Scheibe
abschneiden kann.

Höherer Blödsinn, der es in sich hat

Ein heiteres Augenzwinkern begleitet beinahe jedes Gedicht von Christian Futscher und lässt den Spaß an der Freude als wichtigstes Kriterium für Dichter und Leser erkennen. Figurengedichte, Wortspielereien und Nonsenspoesie erheitern das Gemüt. Um es mit H. M. Enzensberger zu sagen: Das ist „höherer Blödsinn, der es aber in sich hat“. Mich persönlich freuen besonders solche Gedichte:

Infantiler mangelnder Respekt
gegenüber einem steifen
hochrangigen Würdenträger

Grüß Gott,
Kompott!

„Alles außer Lyrik“ beinhaltet Gedichte über das Leben, den Alltag, Natur, Sehnsucht, Lyrik, Sprache sowie über Alter, Tod und Vergänglichkeit.

Hüben wie drüben

Lebenskunst, Todeskunst:
So wie ich gern lebe,
werde ich gern tot sein.

Dabei schafft es der Autor, zum Nachdenken anzuregen und auch gegenwärtige Probleme in kürzester Form auf den Punkt zu bringen:

Schiff 2018
       In memoriam Joachim Ringelnatz

Wohin geht
die Reise?
Voll in
die Scheiße.

Warnung an die Regierung

Wenn das so weitergeht,
werde ich mich politisch engagieren.

Engagiertes Gedicht 

Lesen Sie nicht
meine Gedichte,
tun Sie was
für Flüchtlinge.

Der Vorarlberger Autor Christian Futscher lebt seit 1986 in Wien und veröffentlicht seit 1995 beinahe im Jahrestakt seine Bücher. Er schreibt Prosa und auch Lyrik, hat mehrere Auszeichnungen und Stipendien erhalten. 2008 erhielt er als erster Österreicher den Dresdner Lyrikpreis, seine Texte würden an die Tradition von Ernst Jandl und Robert Gernhardt anknüpfen, hieß es damals, und das stimmt auch heute noch.

Christian Futscher, Alles außer Lyrik. Gedichte, Czernin Verlag, Wien 2018, 192 Seiten, ISBN: 978-3-7076-0647-8, € 20
Buchpräsentation: 11.11., 10.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch