Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Markus Barnay · 09. Jun 2015 · Literatur

3312 – Ein Mythos unter der Lupe - Zwei Bücher und mehrere Ausstellungen feiern das 150-Jahr-Jubiläum der Erstbesteigung des Piz Buin

Es war der 14. Juli 1865, als einige Alpinisten gemeinsam mit einheimischen Führern zum ersten Mal den Gipfel eines Berges erklommen, der bis heute als weitum sichtbares Symbol für die Schönheit, aber auch die Gefahren der Alpen gilt: das Matterhorn. Am gleichen Tag erreichte eine andere Seilschaft einen um einiges niedrigeren, weit weniger spektakulären und vor allem relativ leicht zu besteigenden Gipfel: den des Piz Buin. Damals sorgte der dramatische Wettlauf um die Erstbesteigung des Matterhorns für weltweite Aufmerksamkeit, während die Bezwingung des Piz Buin beinahe unbemerkt blieb. Dass 150 Jahre danach nicht nur in Zermatt, sondern auch in Galtür, Schruns, Scuol, Bregenz und auf der Bielerhöhe dieses Tages gedacht wird, hat eine ganze Reihe von Gründen, auf die in zwei soeben fertiggestellten Publikationen ausführlich eingegangen wird: „Mythos Piz Buin“ heißt die eine, “[3312] PIZ BUIN” die andere, und beide ergänzen sich bestens.

Wer würde schon Hotels und Sonnencreme nach einer „Ochsenspitze“ benennen?
„Mythos Piz Buin“ ist nicht nur der Titel eines von Michael Kasper, dem Direktor der Montafoner Museen, herausgegebenen Sammelbandes über den höchsten Berg Vorarlbergs, sondern auch einer Wanderausstellung, die zunächst im Alpinarium in Galtür und ab 25. Juni im Gasthof Piz Buin auf der Bielerhöhe (und später auch noch in Scuol und Bregenz) zu sehen sein wird. Thema ist die „Kulturgeschichte eines Berges“, der, obwohl nicht einmal der höchste Berg des Silvretta-Gebirges, trotzdem der meistbestiegene und vor allem meistbeschriebene ist: „Das liegt an der Aufmerksamkeit, die ihm früh schon als höchster Erhebung Vorarlbergs entgegengebracht wurde, an seiner prominenten Grenzlage zwischen Österreich und der Schweiz und wohl auch am Wohlklang seines romanischen Namens – denn wer würde schon Hotels oder Sonnencreme nach einer ‚Ochsenspitze’ benennen?“, schreibt Bernhard Tschofen im Editorial zum zweiten Buch, das im Untertitel als „Literarische Erkundungen 1865-2015“ bezeichnet wird. Während „Mythos Piz Buin“ also aktuelle Beiträge über verschiedenste Aspekte des Berges, seiner Besteigung und seiner Wahrnehmung versammelt, präsentiert Bernhard Tschofen in „[3312] PIZ BUIN“ eine Auswahl unterschiedlichster Texte, die sich in den letzten 150 Jahren mit dem Piz Buin beschäftigt haben – von der Tourenbeschreibung der Erstbesteiger über die deutschnationale Heimattümelei einer Natalie Beer bis zur zeitgenössischen Lyrik der in Sent im Unterengadin lebenden deutschen Autorin Angelika Overath. Unter den hier versammelten Texten finden sich neben bekannteren auch Trouvaillen wie der Bericht des Schweizer Publizisten Friedrich Zollinger über seine Begegnung mit dem berühmten englischen Alpinisten Francis Fox Tuckett, die Schilderung einer Schlittenfahrt über den Silvrettagletscher durch die englische Schriftstellerin Margaret Symmonds oder die Erzählung über die Flucht eines Wehrmachtsdeserteurs über die Schweizer Grenze während des Zweiten Weltkriegs (von Wilhelm Meissel). Viele der Texte werden auch im Sammelband von Kasper zitiert, sodass sich hier die seltene Gelegenheit ergibt, dass man auf die Quellen vieler Zitate nicht nur per Fußnote verwiesen wird, sondern sie – im anderen Buch - im Original und in voller Länge nachlesen kann.

Erstbesteigung „im Vorbeigehen“

Was macht aber nun die Faszination des Piz Buin aus, weshalb wurde er zu so einem vielbeschriebenen und -bestiegenen Berg? Die Antwort gibt wieder der als Professor für Populäre Kulturen tätige, in Bregenz aufgewachsene und väterlicherseits aus dem Montafon stammende Bernhard Tschofen – sowohl im von ihm herausgegebenen Lesebuch als auch im Sammelband von Michael Kasper: Tschofen verweist zunächst darauf, dass der – als „Ochsenspitze“, „Buinspitze“ oder „Albuinkopf“ bezeichnete - Berg lange Zeit unbeachtet blieb, weil er kaum eine Eigenschaft besitzt, die geeignet wäre, aus ihm ein (nationales, alpines oder sonstiges) Symbol zu machen. Die Erstbesteiger, der St. Galler Kaufmann Johann Jakob Weilenmann, sein aus dem Allgäu stammender Wiener Kollege Joseph Anton Specht und die beiden Bergführer Franz Pöll und Jakob Pfitscher, eroberten den Piz Buin gewissermaßen „im Vorbeigehen“. Sie hatten eigentlich geplant, den Piz Roseg in der Berninagruppe zu besteigen, als sie erfuhren, dass „noch keine Siegeszeichen auf den Höhen der Silvretta-Gruppe flatterten“. Und weil die Silvretta 1865 ohnehin vom Schweizer Alpenclub zum „Exkursionsgebiet“ des Jahres erklärt worden war, erklommen sie eben kurzerhand den Berg, von dem sie später berichteten, den von ihnen (über den Ochsentaler Gletscher) gewählten Weg könnte – mit Ausnahme einer heiklen Passage - „jede Dame gehen“. Ganz so harmlos dürfte die Tour übrigens doch nicht gewesen sein, stürzte Weilenmann doch auf dem Abstieg in das schweizerische Val Tuoi in eine Gletscherspalte und musste von seinen Kollegen, mit denen er am Seil ging, geborgen werden.

„Nationales“ Symbol für Vorarlberg

Doch die publizistische Karriere des Piz Buin ging nicht von den Erstbesteigern aus, sondern von Nachfolgern aus Vor­arlberg, die den Berg zum Symbol eines um Anerkennung und Selbständigkeit ringenden Landes erhoben: Seit 1861 besaß es einen eigenen Landtag und eine Art Landesregierung (den „Landesausschuss“), war aber immer noch der Statthalterei in Innsbruck unterstellt. Und wie schon bei der Gründung des Landesmuseumsvereins 1857 waren es vor allem liberale Unternehmer, Lehrer und Politiker, die sich um die symbolische Vereinnahmung des Piz Buin bemühten. Die liberale „Feldkircher Zeitung“ berichtete Ende August 1866:
„Wir machen hier darauf aufmerksam, daß unser Blatt demnächst in einer Reihe von Nummern die Beschreibung der am
23. August d. J. das  e r s t e m a l von Vo r a r l b e r g e r n  unternommenen und glücklich zu Stande gebrachten Besteigung des
P i z  B u i n (Albuinkopfes), bekanntlich des h ö c h s t e n Berges unseres Landes, aus bewährter Feder bringen wird.“ Die bewährte Feder gehörte Hermann Sander, dem Feldkircher Gymnasiallehrer, der sich später auch als Historiker und als Herausgeber der ersten Werkausgabe von Franz Michael Felders Nachlass einen Namen machen sollte. Er hatte den Berg gemeinsam mit dem Feldkircher Fabrikanten Josef Andreas Tschavoll und seinem Lehrerkollegen Karl Nachbaur bestiegen. Im Schlepptau hatten sie noch einen weiteren Herrn, der Jahre später bekannt werden sollte: Der aus dem Paznauntal stammende Maler Mathias Schmid beobachtete den Aufstieg der Vorarlberger mit dem Fernrohr und fertigte einige Skizzen an, die später in ein Gemälde von seltenem kulturhistorischen Rang mündeten – Andreas Rudigier beschäftigt sich damit in einem eigenen Beitrag.
Damit begann die Karriere des Piz Buin, der ja an der Grenze von drei Ländern – Vorarlberg, Tirol und Graubünden – steht, als „nationales“ Symbol Vorarlbergs, das jenseits unserer Grenzen aber weit öfter mit einem Produkt assoziiert wird, das ein gewisser Franz Greiter kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erfand: Er benannte eine spezielle Gletschercreme nach dem von ihm schon Jahre zuvor bestiegenen Berg. Als sich die „Piz Buin“-Creme nicht nur gut verkaufte, sondern auch als Marke bewährte, ließ er den Namen patentieren. Die Geschichte der „Piz Buin“-Sonnencreme rekonstruiert Wirtschaftsarchiv-Leiter Christian Feurstein in einem aufschlussreichen Beitrag im Sammelband „Mythos Piz Buin“.

Ein Gipfelkreuz als politische Demonstration

Apropos Mythos: Wie sehr der Berg, der vor 150 Jahren nicht einmal einen eindeutigen Namen hatte, inzwischen zum symbolischen Inventar des Landes Vorarlberg wurde, zeigt eine Episode aus dem Jahr 2012: Am 26. Juli dieses Jahres verewigte sich der neue Landeshauptmann Markus Wallner im Gipfelbuch des Piz Buin. Anlass war die Errichtung eines neuen Gipfelkreuzes, nachdem das alte schon etwas morsch geworden war. Was die Herrschaften offenbar nicht wussten: Das alte Kreuz war nicht, wie damals spekuliert wurde, „am Beginn der 1950er Jahre“ errichtet worden, sondern im September 1936 – im Rahmen einer politischen Demonstration. Der „Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs“ wollte mit der selbst als „Kreuzzug“ bezeichneten Aktion ein Zeichen dafür setzen, „dass dieses Land christlich ist und bleibt, allen Anstürmen der ‘Ueberwinder des Christentums’ zum Trotz“. Gemeint waren – zwei Jahre nach der Etablierung eines klerikal-faschistischen Regimes in Österreich - vor allem die Nationalsozialisten, aber wohl auch die noch vorhandenen liberalen Reste des Alpenvereins und die längst in die Illegalität gedrängten Sozialdemokraten, deren „Naturfreunde“-Sektion sich in den Jahrzehnten davor mit den Liberalen einen Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft in den Bergen geliefert hatten.

Zwei Bücher, vier Ausstellungen und eine Installation

Dieses erste Gipfelkreuz, das auf einem Berg in Vorarlberg errichtet wurde, befindet sich inzwischen in der Sammlung des vorarlberg museum und wird im Juli – im Rahmen einer Installation von Stoph Sauter – auf dem Kornmarktplatz in Bregenz ausgestellt. Parallel dazu wird in weiteren Ausstellungen an die Erstbesteigung des Piz Buin erinnert: Das Montafoner Heimatmuseum wird historische Ansichten der Montafoner Berge zeigen, während in der MAP Kellergalerie Vorarlberger Gegenwartskunst zum Thema präsentiert wird. Und im Vitalzentrum Felbermayer in Gaschurn zeigt Roland Haas die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen künstlerischen Auseinandersetzung mit der Bergwelt der Silvretta.
Die beiden erwähnten Bücher – der im Haymon-Verlag erschienene Sammelband „Mythos Piz Buin“ und die von Rita Bertolini in gewohnt aufwändiger Manier gestaltete und mit vielen wunderbaren Fotos illustrierte Anthologie „[3312] PIZ BUIN“ – werden gemeinsam am 24. Juni im Gasthof Piz Buin auf der Bielerhöhe präsentiert. Fast möchte man fragen: Wo sonst?

Bücher:
Michael Kasper (Hg.): Mythos Piz Buin. Kulturgeschichte eines Berges. Haymon Verlag Innsbruck, 328 S., ISBN 978-3-7099-7183-3 (erscheint
Ende Mai)
Bernhard Tschofen (Hg.): [3312] PIZ BUIN. Literarische Erkundungen 1865-2015. Bertolini Verlag Bregenz, ca. 320 S., ISBN 978-3-903023-06-2 (erscheint Mitte Juni)

Ausstellungen:
Mythos Piz Buin. Wanderausstellung, kuratiert von Michael Kasper. Bis
20. Juni im Alpinarium Galtür, vom 25. Juni bis 14. Juli im Gasthof Piz Buin Bielerhöhe (Eröffnung Mittwoch, 24. Juni 19.00 Uhr)
Berg.Werke – Piz Buin & Co. Ausstellung mit historischen Ansichten und Werken der Vorarlberger Gegenwartskunst. Vom 28. Juni bis 13. September im Heimatmuseum Schruns (Di-Fr und So 14.00 - 18.00 Uhr) und in der MAP Kellergalerie Schruns (Mi, Sa und So 18.00 - 20.00), Eröffnung 27. Juni 19.30h im Garten der MAP Kellergalerie
Roland Haas: Atelier:Silvretta. Vital-Zentrum Felbermayer in Gaschurn. 13. Juni - 13. September (10 - 12 & 15 - 19 Uhr)
Stoph Sauter: ABER_GLAUBE. Piz Buin. 1865 - 1936 - 2015
Vernissage: Samstag, 11. Juli, 20.00 Uhr, Kornmarkplatz Bregenz
Ausstellungsdauer: 12. Juli bis 4. Oktober

Doku:
„Piz Buin. 150 Jahre Erstbesteigung“. TV-Dokumentation im Rahmen der Sendereihe „Erlebnis Österreich“ am 6. September um 16.30h in ORF 2