Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Fischer · 08. Apr 2015 · Literatur

„Vorarlberg“ kontra „Karl Renner“ – Die Fußach-Affäre

Mit dem gleichnamigen Titel greift der Historiker Gerhard Wanner in seiner neuesten Publikation (Gerhard Wanner. „Vorarlberg“ kontra „Karl Renner“. Die Fußach-Affäre um ein Bodenseeschiff 1964/1965. Schriftenreihe der Rheticus-Gesellschaft 64, Feldkirch 2015) anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Fußach-Affäre das Thema wieder auf. Er knüpft damit an seinen 1980 erschienen und mittlerweile vergriffenen Band „Schiffstaufe Fußach 1964“ an. Jetzt fließen neue Sichtweisen und Erklärungen ein, die vor allem auf neues Quellenmaterial zurückzuführen sind. Dieses Material beruht auf Berichten der Erhebungsabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Vorarlberg, der Vorarlberger Exekutivbehörden und dem Aktenmaterial der Justiz in Feldkirch, Innsbruck und Wien. Wanner beleuchtet das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln von Beteiligten und Betroffenen, von „Opfern und Tätern“. In fünf Hauptkapiteln werden die Fußach-Ereignisse und deren Folgen sehr genau geschildert und mit vielen Zitaten und Bildern belegt. Die folgende Rezension gibt nur einige aus meiner Sicht wesentliche Aspekte aus dem lesenswerten Werk Wanners wieder.

Geringfügiger Anlass mit großer Wirkung


Bis zum heutigen Tage ist diese Affäre vor allem bei der älteren Bevölkerung über die Grenzen Vorarlbergs hinweg präsent. Zum ersten Mal in der noch jungen 2. Republik widersetzen sich aufgebrachte BürgerInnen in einem Bundesland den Wiener Zentralisten. Je nach politischer Couleur wurde dieses einzigartige Ereignis als „Aufruhr“, „Revolution“, „Großdemonstration“, „Bürgerinitiative“ bezeichnet, das „Rowdies“ und „Krakeler“ (sic!) initiierten. Auch wenn der Anlass nichtig erscheint, so war er doch in allen österreichischen und in vielen internationalen Medien Anlass für Schlagzeilen und ausführliche Berichte. Stellvertretend sei hier die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 27. November 1964 zitiert: „Aus einem geringfügigen Anlaß eines umstrittenen Schiffsnamens droht jetzt eine grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen Föderalismus der Bundesländer und dem Zentralismus einzelner Wiener Regierungsbehörden zu werden.“

Chronologie der Ereignisse

1955 plant das Bundesministerium für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft den Bau eines Bodenseeschiffes.
1. März 1955 schlägt die Vorarlberger Landesregierung den Namen „Vorarlberg“ vor.
1963/64 Beginn der Arbeiten in der Schiffswerft Korneuburg. Landeshauptmann Ilg interveniert wegen der Namensgebung bei Verkehrsminister Otto Probst.
Juli 1964 wird das zerlegte Schiff nach Fußach transportiert, Landtagspräsident Tizian erfährt von den Überlegungen der SPÖ und des Verkehrsministeriums, das Schiff auf den Namen „Karl Renner“ zu taufen.
September 1964 intervenieren die Vorarlberger SPÖ und deren Nationalratsabgeordnete dreimal bei Probst für „Vorarlberg“.
Oktober 1964 Pressekampagne des Vorarlberger Volksblattes und der Vorarlberger Nachrichten (VN) gegen Probst und für den Namen „Vorarlberg“.
18. Oktober Landtagswahlen, Sitzverteilung: 20 ÖVP, 10 SPÖ, 6 FPÖ,
26. Oktober wird Herbert Kessler zum neuen Landeshauptmann gewählt.
17. November 1964
Vorbereitungen der ÖBB zur Schiffstaufe, Beschluss der Landesregierung, keinen Vertreter zur Schiffstaufe zu entsenden. Erste Lage- und Sicherheitsbesprechung der Gendarmerieführung und der BH Bregenz.
21. November 1964 offizieller Termin der Schiffstaufe und Aufruf der VN zur friedlichen, gewaltlosen Demonstration, um die Schiffstaufe zu verhindern und eine „Nottaufe“ auf den Namen „Vorarlberg“ vorzunehmen.
Über die Anzahl der DemonstrantInnen herrsche laut Wanner bis heute Unklarheit. Die VN schätzte an die 30.000, die Exekutive 12.000, die Sicherheitsdirektion rund 20.000 und Minister Probst sprach von gar nur 3000 „Lausbuben“.

„Was die urwüchsige Kraft alemannischer Fäuste zu leisten vermag.“

Wer waren die DemonstrantInnen? Probst-freundliche Genossen bezeichneten sie als „Mob“, „Ruhestörer und Schreier“, andere wiederum, stellvertretend ein Augenzeuge: „Die ganze Volksmenge zeichnete sich zum Großteil als unorganisierter Haufen ab, der in erster Linie auf Grund der Zeitungsaufrufe nach Fußach eilte. Die Volksmenge hat sich nach kurzer Zeit entweder durch gegenseitige oder bestellte Aufreizung in eine solche Erregung hineingesteigert.“ SPÖ-Nationalratsabgeordneter Haselwanter, der sich mitten in der Menge aufhielt, sich vehement für den Schiffsnamen „Vorarlberg“ einsetzte und auch körperlich attackiert wurde, sprach in der heftigen Parlamentsdebatte vom 25. 11. 1964 im Nationalrat von einer „Massenpsychose“. Größe bewies Haselwanter, als er, im Konflikt der Vorarlberger SPÖ mit den Wiener Genossen, am 19. 2. 1965 sein Nationalratsmandat freiwillig niederlegte.
Jedenfalls verhinderte die aufgebrachte Menge, dass die in einem Sonderzug angereisten ca. 100 Wiener Ehrengäste ins Werftgelände gelangen konnten. Die 65 für den Werfthafen zuständigen Gendarmeriebeamten waren heillos überfordert und machtlos. In der Zeitung „Neues Österreich“ vom 24. 11. 1964 schrieb die Journalistin und Autorin Elfriede Hammerl folgendes über diesen „Empfang“: „Als wir aus dem Bus kletterten, ging ein Hagel von Paradeisern, Kotbrocken, Kohlestücken, Steinen und faulen Eiern auf uns nieder. (…) Und das, wo eine russische Delegation dabei ist! Für die ist das doch nur ein typischer Beweis von westlicher Verschwendungssucht. Schade um das schöne Gemüse! Das Fußvolk der vereinigten Vorarlberger Streitkräfte brach in unsere konsternierten Reihen ein und bewies handgreiflich, was die urwüchsige Kraft alemannischer Fäuste zu leisten vermag.“

„Obst für Probst“

Verkehrsminister Probst reiste mit seiner Gattin, die Schiffspatin sein sollte, über München mit dem Auto an. Er wurde schon an der Grenze „gebührend“ von DemonstrantInnen empfangen. Aufgrund der vielen DemonstrantInnen auf dem Weg nach Fußach und in der Werft war ein Durchkommen mit dem Auto unmöglich. Deshalb versuchte er auf Anraten des Gendarmeriemajors Patsch auf dem Bodenseeschiff „Dornbirn“ nach Fußach zu gelangen. Angesichts der besetzten Werftanlage drehte er „befremdet“ und „fassungslos“ auf dem See um zurück nach Bregenz. So entkam er zwar dem auf Transparenten angekündigten Bombardement „Obst für Probst“, aber eine offizielle Taufe war damit unmöglich. Doch es gab trotzdem eine Schiffstaufe mit Taufpatin, eine Art Nottaufe.

Die Nottaufe auf den Namen „Vorarlberg“

Der bis dahin zwar politisch interessierte, aber nicht aktive Bregenzer Ernst Marxgut betrat, wie es schien, spontan die Rednerbühne im Werfthafen, wo das Mikrofon für die prominenten Redner vorbereitet war. Erst als die Demonstranten erkannten, dass es sich um einen Vorarlberger handelte, trat Ruhe ein. Unter anderem sagte er: „Diese Demonstration war für die Demokratie Österreichs. Nachdem Minister Probst an der Schiffstaufe verhindert ist und sich kein Vertreter unserer Landesregierung hier eingefunden hat, werde ich an Stelle des Ministers Probst dieses Schiff – die Menge schrie Vorarlberg – taufen. Es wäre jammerschade, wenn dieses schöne Schiff auf unserem Bodensee ohne Namen verkehren würde.“ Mangels einer Sektflasche wurde eine Flasche mit Bodenseewasser gefüllt und das ominöse Schiff von der spontan ausgewählten Taufpatin Trude Hartmann in einer durchaus feierlichen Stimmung auf den Namen „Vorarlberg“ getauft. Das Ganze wurde durch das Hissen der Fahnen und dem Singen der Landeshymne umrahmt.

„Wiener Elefanten im Porzellanladen“

Diese bis dahin in der 2. Republik einzigartigen Ereignisse hatten natürlich Folgen auf verschiedenen Ebenen. Innenminister Czettel, Justizminster Broda und Verkehrsminister Probst (alle SPÖ) erstatteten Anzeige, sodass die Gendarmerie, die Gerichte in Feldkirch und Innsbruck und sogar die Staatsanwaltschaft Wien mit dieser Causa konfrontiert wurden. Dazu ein Kommentar von Kurt Vorhofer in der Kleinen Zeitung Graz vom 19. 12. 1964 mit der Schlagzeile „Wiener Elefanten im Porzellanladen.“ „Was mit den Aufwieglern in Vorarlberg nun geschehen soll, das hat Verkehrsminister Probst bereits unmißverständlich gesagt und auch der Justizminister Dr. Broda hat sich sehr klar ausgedrückt. Einsperren lassen! Die Rädelsführer verhaften lassen! Die Zeitungen nach bewährter Manier beschlagnahmen lassen! Die Aufwiegler an den Pranger! Und was geschieht mit jenen, die die Aufwiegler aufgewiegelt haben, wenn auch ohne Absicht? Was geschieht mit Verkehrsminister Probst? Weiß der denn überhaupt, worum es in der ganzen Angelegenheit geht? Nein, er dürfte es genauso wenig wissen wie die anderen Wiener Elefanten im föderalistischen Porzellanladen Österreich, wie die anderen Ultra-Zentralisten seiner und der anderen Partei und der Ministerien und Zentralstellen der Interessenverbände. Wien und die Länder – das ist in der Tat eine Tragödie der Ahnungslosigkeit.“

Von „Tätern“ und „Aufwieglern“

Zwei Tage nach der Demonstration forschte die Gendarmerie nur acht Personen aus, die als „Täter“ bzw. „Sündenböcke“ herhalten mussten – allesamt bisher unbescholtene, rechtschaffene Bürger. Ihnen konnte letztlich keine strafbare Handlung nachgewiesen werden. Hauptbeschuldigte waren die beiden Redakteure der VN Anton Ruß und Franz Ortner, die wegen Verdachts des Vergehens der „Aufwiegelung“ nach § 300 des St. G. angezeigt wurden. Der am 23. Mai 1965 gewählte Bundespräsident Franz Jonas ordnete am 28. September 1965 an, dass die Strafverfahren eingestellt wurden. Betreiber war Justizminister Broda, der in Österreich den „inneren, politischen und sozialen Frieden“ anstrebte, dem solche Strafverfahren „in entscheidendem Maße abträglich“ seien.

Jetzt offiziell „Vorarlberg“ und Demontage eines Mythos

Am 14. Juli 1965 teilte Probst dem neuen Bundespräsidenten die Entscheidung des Verkehrsministeriums für den Namen „Vorarlberg“ mit. Damit fand ein in der Geschichte Vorarlbergs einzigartiges politisches Kapitel einen versöhnlichen Abschluss, das allerdings nicht von langer Hand vorbereitet wurde, sondern spontan entstanden ist, wie die Recherchen Wanners bestätigen. Daraus wurde ein Mythos gemacht, der sich bis heute hält und hauptsächlich auf die Kampagne der VN zurückzuführen ist, wo die Vorarlberger als „Widerstandskämpfer“ glorifiziert wurden. Wanner relativiert diesen Mythos Fußach durch seine detaillierten Darstellungen. Kurt Greussing bezeichnet in seinem lesenswerten Artikel in der KULTUR Dez. 2014/Jän. 2015 das Ganze gar als „Sturm im Wasserglas“.
Wanner geht in seinem Band, den zu lesen ich allen an der jüngeren Geschichte Vorarlbergs Interessierten sehr empfehle, noch näher auf weitere Kampagnen der VN, auf Fußach aus sozialpsychologischer Sicht und die Rolle der Geschichtsschreibung in Vorarlberg ein.

 

Gerhard Wanner. „Vorarlberg“ kontra „Karl Renner“. Die Fußach-Affäre um ein Bodenseeschiff 1964/1965, 192 Seiten, € 15, Schriftenreihe der Rheticus-Gesellschaft 64, Feldkirch 2015