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Annette Raschner · 29. Apr 2016 · Literatur

„So reda, wia d’Vögl singond“ - 22 Veranstaltungen im 5. mundartMai – Interview mit Ulrich Gabriel

Vom 1. bis 29. Mai heißt es 22 x Mundart & Musik in Vorarlberg und im Schweizer Rheintal. Ausgewählte Gemeinden widmen sich in 22 Veranstaltungen der Vielfalt der Dialekte. Weshalb Initiator Ulrich Gabriel im Zusammenhang mit Mundarten von „Gold im Mund“ spricht, wie es um den Nachwuchs und die seiner Meinung nach so notwendige Forschungsarbeit bestellt ist, darüber spricht er im Gespräch mit Annette Raschner.

Annette Raschner: Über 180 AutorInnen, Musik- und Kabarettensembles wirken am 5. mundartMai mit. Das Programm reicht von einer nicht alltäglichen Maiandacht über einen Mundartspaziergang, Poetry Slam in Mundart, sowie Mundartklassikern bis zum Kinderprogramm HüsleHäsleMüsleGräsle. War es eine bewusste Intention von Ihnen, der Vielfalt an Dialekten eine Vielfalt an Formaten entgegenzusetzen?
Ulrich Gabriel : Der Mundartmai ist ein inhaltliches Gemeinschaftswerk der VeranstalterInnen und AutorInnen. Jeder Veranstalter wählt aus, erfindet, formt und organisiert seine Veranstaltung. Ein Prinzip gilt: Jede Lesung muss auch Musik miteinbeziehen.
Raschner: Stichwort Poetry Slam, Stichwort Talente Abend: Auch der Mundartnachwuchs steht im Fokus. Muss man sich um ihn Sorgen machen?
Gabriel: Die Mundart ist im Wandel genauso wie die „Heimat“ im Wandel ist, im rasenden sogar. Die Dialekte sind dabei eher eine Konstante. Die Jugend, der Nachwuchs, ist sprachschöpferisch und wandlungsfähig. Es geht um Beobachtung, Wahrnehmung und Anerkennung des Sprachwandels. Es ist uns aber ebenso wichtig, immer wieder die alten Dichter aufzuführen, da bekommen auch MundartsprecherInnen eine Chance, nicht nur AutorInnen. Die Leute wollen auch ihre alte Mundart hören. Ähnlich dem Landesmuseum stellen wir also auch im Mundartmai „alte Hääfo us“, mit dem Unterschied, dass unsere „Hääfo“ leben, bzw. kurz wieder zum Leben auferweckt werden. Groß ist der Unterschied aber in der Förderung. Für den landesweit dezentral atmenden mundartMai gibt das Land gerade mal 12.000 Euro aus, seit Jahren stagnierend. Es ist schon seltsam, dass die Kulturpolitik für das Tote viel Geld hat und vermehrt, das Lebendige aber kurz hält und kürzt. Noch dazu, wo die Mundart in Zeiten der Zuwanderung ein immer wertvolleres kulturelles Identitätsmerkmal Vorarlbergs ist. Zudem ist der mundartMai ein niederschwelliges Volkskulturprojekt, das nahezu mittellos im ganzen Land stattfindet, entgegen einer Geld- und Veranstaltungswesen nach Bregenz absaugenden Kulturhäuserpolitik und einer vermessenen Kulturhauptstadtdebatte einiger „Gschidele“.

Aufgeblasene „Kulturstrategie“ – in Mundart maximal drei Seiten


Raschner:
Inwieweit soll beim mundartMai auch der eigentlichen Bedeutung des Dialekts - Sprache der Unterhaltung - Rechnung getragen werden?
Gabriel:
Die Zuordnung „Dialekt ist Sprache der Unterhaltung“ trifft nur auf eine bestimmte Gattung der Mundartliteratur zu. Die Mundart findet ihren Einsatz ständig in nahezu allen lebenswichtigen Bereichen als Sprechsprache. Martin Walser hat übrigens darauf hingewiesen, dass die Mundart in vielen Belangen genauer, im Sinne von „wahrer“, ist. In der Mundart kann man seine wahre Haltung kaum verstecken, wie es die „Hohen“ im „Hochdeutsch“ gerne tun, sei es in der Politik oder in eigenlobdominierten Wörterhaufen wie z.B. in den „unsäglichen“ Kulturleitbildern oder jüngst in der auf 78-Seiten aufgeblasenen „Kulturstrategie“ des Landes Vorarlberg. Würde man dieses vermessene Werk in Mundart übersetzen, blieben bei gutem Willen maximal drei Seiten über.
Raschner: Wie beurteilen Sie das Verhältnis Mundart und zugewanderte Sprachen und Dialekte?
Gabriel: Sicher 80 % der Bevölkerung, „Berufshochdeutsche“ ausgenommen, verwenden als Sprechsprache in ihrer Kommunikation den Dialekt oder Teile davon. In der Unterhaltung, im Geschäft, in der Familie, „bim Schaffa“ tönt einem Mundart entgegen. Umgangssprachen, Migrantensprachen, Gruppensprachen, die SMS-Sprache, eigentlich eine Schriftsprache, enthalten in Vorarlberg Mundartelemente und zwar nicht wenige. Die eingewanderten Sprachen bis hin zum Migrantendeutsch gruppieren sich meist um einen mundartlichen Kern. So mancher Türk kann Mundart besser als ein Kunstkommissar.
Raschner: Vier Mundartveranstaltungen sind heuer ja im benachbarten Rheintal über dem Rhein.
Gabriel: Ja, „hionig und dionig, deanna und heanna“. Alemannisch, in unserem Fall hochalemannisch, geht über die Grenzen, nach Norden bis Straßburg, nach Westen in die Schweiz und im Süden nach Liechtenstein. Die sprachhistorische Weite, die alten noch immer lebenden Sprachräume bewusst zu machen, ist Anliegen des mundartMai.

Das „kulturelle Erbe“


Raschner: In der Buchpublikation „red dütsch“ wird der Sprachwandel anhand lokaler Bestandsaufnahmen getätigt. „Toarrabiiararisch“ wiederum ist eine Grammatik der Dornbirner Mundart in Hörbuchform vom Mundartexperten Dr. Eugen Gabriel. Ganz neu erscheint bei unartproduktion „ummakummaummi“ – die Mundart und Mundartliteratur von Altach, Götzis, Koblach und Mäder. Was ist Ihr persönlicher Antrieb, sich seit Jahrzehnten so intensiv mit den Mundarten Vorarlbergs auseinanderzusetzen?

Gabriel: Weil ich mich um das „kulturelle Erbe“ kümmere und darin etwas identitätsstiftend Unverwechselbares sehe. Weil ich Musiker bin und fasziniert bin von den verschiedenen Vokalismen, Mundartklänge und –rhythmen höre. Ich nenne es „Gold im Mund“. Weil es die weit ehrlichere Sprache ist als Standarddeutsch, nicht zuletzt, da der Wörtervorrat viel geringer ist. Mundart ist zudem eine spannende sehr alte Sprechsprache, oder Lautsprache gegenüber der viel jüngeren, aus rationalen Nivellierungsbestrebungen entstandenen Schriftsprache Standarddeutsch. Die Mundart birgt 1500 Jahre Kulturgeschichte. Mir ist unverständlich, dass das Land diese Chance nicht nützt und mehr Forschungs- und Fördergeld für ein von Gemeinden getragenes, zeitgemäßes Bildungs- und Bewusstseinsprojekt „Sprachen“ bereitstellt, das zudem der Integration hilft. Alle unsere Nachbarn wie Schweiz, Bayern, Baden-Würthemberg haben diese Bedeutung längst erkannt. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt, sie ist jedenfalls noch nicht im Museum.
Raschner: Am 19. Mai findet ein Richmemorial, ein Erinnerungsabend an den Vorarlberger Dichter und Maler Richard Gasser statt, der im vergangenen Jahr verstorben ist. Im Zentrum des Abends steht sein einziges Buch „ina wello und nid usse künno“. Welche Bedeutung messen Sie der Mundartdichtung Richard Gassers bei?
Gabriel: Richard Gasser war unser Kumpane, hat uns durch den Spielboden begleitet und mit seinem Buch, das Reinhold Luger gestaltete, die Mundart zeitgenössisch belebt, Humor, Ironie und Gesellschaftskritik in seinen Gedichten hinterlassen. Besonders ergreifend finde ich seine offenen emotionalen Texte, in denen der wortkarge Mann sein ganzes romantisches Herz aufmacht.
Raschner: Literatur Vorarlberg hat schon vor langer Zeit ein Literaturradio initiiert, das von Wolfgang Mörth betreut wird. Jetzt gibt es auch ein Mundartradio. Initiator: Ulrich Gabriel. Was hat es damit auf sich?
Gabriel: Das Mundartradio ist noch kein Radio, es soll aber eines werden. Es soll die verschiedenen Mundarten des Landes mit kleinen Beiträgen hörbar machen, dabei geht es mehr um Sprache als um Literatur. www.mundartradio.at ist erst im Aufbau, aber online.
Raschner: Eine der neueren Buchpublikationen von unartproduktion ist „Tod Ernst, der Krebs und ich“ von Andreas Gabriel. Bei Ihrem Bruder ist vor einiger Zeit Lungenkrebs diagnostiziert worden. Wie sehen Sie seine literarische Auseinandersetzung mit der Krankheit?
Gabriel: Das ist ein mutiger Akt, in dem er sich und seine Ängste beschreibt. Durch die von ihm gewählte Personifizierung des Todes findet er zu einer für alle gut annehmbaren Ironie, die das Buch auch humorvoll erlebbar macht. Mein Bruder hat die Operation vor 16 Monaten sehr gut überstanden, der Krebs ist bis heute verschwunden und soll es auch bleiben.
Raschner: Ebenfalls bei unartproduktion ist vor etwas längerer Zeit ein Buch zu Leben und Werk des Dornbirner Künstlers Edmund Kalb erschienen, dessen Bedeutung erst nach seinem Tod 1952 erkannt wurde. Seit langem kämpfen federführend Rudolf Sagmeister und Sie um die Errichtung eines Museums im Kalbhaus. Rudolf Sagmeister hat sich vor einiger Zeit aus dem Vorstand des Vereins verabschiedet. Seitdem ist es etwas still geworden. Wie ist der Stand der Dinge?
Gabriel: Es tut sich was im Stillen. Um ein Museum ist es uns aber nie gegangen, sondern um die aktive zeitgenössische künstlerische Belebung des Hauses und des Gartens im Geiste Edmund Kalbs. Marina Hämmerle hat im Auftrag der Stadt und des Landes ein solches Konzept für die künftige Verwendung der Wohnräume erstellt, das wir im Dezember präsentiert und an Stadt und Land zur Umsetzung übergeben haben. Das wurde dort, man höre und staune, inzwischen positiv beraten. Ende April kommen wir alle zusammen und reden über die Umsetzung. Im Juni wird der Verein in einer Performance 100 Kalb-Bücher verteilen. Die Leute sollen über Kalb Bescheid wissen, damit sie Klügeres über ihn sagen können, als nur „däs ischt an Spionnar gsi“.
Raschner: Ein Jubiläum feiert „Gauls Kinderlieder“. Kaum zu glauben, aber wahr. Vor 30 Jahren haben Sie und Rolf Aberer mit den Kinderliedern begonnen, die mittlerweile Generationen von Heranwachsenden geprägt haben. Elf CDs sind erschienen, darunter der Allzeitklassiker „Der klingende Adventskalender“. Was ist im Jubiläumsjahr geplant? Wird es wieder eine CD geben?
Gabriel: Es gibt auf alle Fälle ein großes Fest am 29. Oktober am Spielboden. Wir planen auch eine weitere CD, darüber kann ich aber noch nichts Näheres verraten.

 

Detaillierte Infos unter www.unartproduktion.at