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Peter Niedermair · 02. Mär 2015 · Literatur

„Mord unterm Hirschgeweih. Inspektor Ibeles wildester Fall“ - Peter Natters neuer Kriminalroman

„Inspektor Ibele hat manches schon erlebt“, spannt Peter Natter den Bogen von der Cello Toten in Schwarzenberg, seinem letzten Roman, ins Silbertal. Diesmal führt er den Leser mit Chefinspektor Isidor Ibele in den Süden Vorarlbergs, wo man es nicht mit blühenden Zitronen zu tun hat, sondern mit den höchsten Bergen des Landes. Der Autor zieht unsere Blicke hinein in eine Gebirgswelt mit bizarren Felsriffen, Steingärten und hoch gelegenen Graslandschaften, in jenes Tal, das sich heute längst dem Tourismus überantwortet hat, „ansichtskartenschön“ (S. 33). Und es sei „eine schöne Nacht, wie gemacht für romantische Waldgänge“, erfährt der Leser gleich zu Beginn. Doch wer Ibele, „ein Meister der Zwischentöne“, auch nur ein bisschen kennt, weiß, dass man sich in einer realen und nicht einer romantisierten Natur wiederfindet. Natter entfaltet vor uns auf 182 Seiten, die nur so hineinflutschen, eine Silbertaler Enzyklopädie, in der wir uns im Rhythmus des kriminalistischen Gehens, des Aus- und Einatmens, in der Gesellschaftsgrammatik des Tals umschauen. In diesem dicht gewobenen Rohmaterial wirft Natter eine heimatkundliche (Alb)Traummaschine an. Es geht um knallharten Mord, Blattschuss, und um dessen Aufklärung. „Mord unterm Hirschgeweih“ ist kein Bergkrimi, ein Stück weit Heimat- und Antiheimat-Krimi, der vom Chef-Landeskriminalbeamten und bescheidenen Edelkommissar, Isidor Ibele, handelt, der sich auf die Spur dieses Mordes nach Silbertal begibt.

Angelus Novus

Interessant ist das erzählperspektivische Moment, jene Achse, auf der Peter Natter den Plot in die nahe Zukunft legt. Der Kriminalroman wird erstmals am 12. März 2015 präsentiert. Dieser Art von Projektion liegt ein erweiterter Zeitbegriff zugrunde, wie ihn Walter Benjamin (1940) über Angelus Novus von Paul Klee (1920) philosophierend zu einer Reihe von vielschichtigen Reflexionen aufnimmt. Dieser Angelus blickt unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. In diesem Blick zurück sieht man sich praktisch selbst und hat eine Ahnung, wie die Ereignisse kommen. Natters fünfter, bei Haymon erschienener, Kriminalroman spielt zwischen Dienstag, 14. und Sonntag, 19. April 2015.

Die außersprachlichen Referenzorte um den Plot herum sind die TBC Seuche und der Denkmalstreit in Silbertal (vgl. Bruno Winkler in Kultur 9/2010). Beide Ereignisse sind frei variiert, mit einer Seitenblicke Perspektive auf den Schanzenbau in Schruns-Tschagguns, die Landesjagdgesellschaft, die Landespolitik mit landesrätlichen Auftritten, historische Schnitte mit Blick auf populäre Stoffe wie die „Sennentuntschi“, die vor ein paar Jahren als Theaterinszenierung in Vorarlberg erfolgreich war, die Zuwanderer nach Vorarlberg, Italiener und Eisenbahner, den Silberabbau im Tal, die Prämien aus EU-Subventionen abkassierenden Bauern, eine kleine Pilzkunde „amanita phalloides“, der Grüne Knollenblätterpilz. Es geht um die Jagd, die nach Subventionen und Macht, um Gier, und Natter spielt mit den Diskrepanzen zwischen Oberflächen und Abgründen, um die Geschichte hinter den Dingen und wie sie wirkt, wie dieses Weberschiffchen weiter webt und man es nicht anhalten kann, was unter der Oberfläche brodelt, vorarlbergspezifisch, „du subers Ländle“. Da lüftet Natter uns den Vorhang. Der Plot steht zwar auf Frühling, der aber nicht als laues Lüfterl kommt, sondern als kriminalistischer Orkan, wie ein Netz, das sich über die Dinge zieht. Mit jeder Seite mehr nimmt der Roman rasant Tempo auf, die Dorfgeschichte als Silbertaler Dorfchronik beginnt sich auf historische Verbrechen zu beziehen, Natter nimmt die Leser in eine historische Punktuation mit und zeigt auf, was sich dahinter an Groß- und Kleingeistigkeit, wie überall auf der Welt, verbirgt. „So fremd einander die Themen auch sind, gemeinsam ist ihnen der Zwiespalt in der Bevölkerung, der zwischen den Zeilen durchscheint, und der Hinweis auf die dünne Schicht des Einverständnisses, unter der es brodelt, unter der ebenso tiefe wie alte Gegensätze zum Vorschein kommen. Jäger gegen Tierschützer, Pazifisten gegen Ewiggestrige, so oder ähnlich stehen die Fronten, die quer durch Gemeinden, soziale Gruppierungen und auch Familien verlaufen“ (S. 62).

Die Frauenfiguren

Noch kurz etwas zu den Frauenfiguren im neuen Ibele: Ich finde, in dem Punkt hat Peter Natter literarisch spektral zugelegt. Antoinette Hagen „wirkt, weil sie ist, was sie ist“, Sekretärin im Bregenzer Polizeikommando, Lustenauerin, „frühlingshaft“, eine verdammt gut aussehende Frau … „Nur natürlichster Unbefangenheit, die in diesem Moment zur Wirkung kommt, kann es gelingen, er- und ausgewachsene Männer derart zu bannen.“ Eine andere, die Mizzi, Kellnerin im Gasthof Bergblick in St. Bartholomäi, ist eine aufgestellte, junge, klug-schlaue Frau, die das Lachen von ihrem Vorbild hat ... Weiters die Pfarrersköchin in Silberberg, Frau Brenner, die weit und breit den besten schwarzen Holunder einkocht, Ibeles geschmacklicher Favorit unter den Marmeladen, in der Familie seiner Frau als Leckmerich bekannt. Sie, die so ziemlich alles weiß, ist Ibeles Gastgeberin und informiert ihn bei drei Holundermarmeladebroten und drei (Goldrand-)Tassen Kaffee, die sie ihm serviert, über die Hintergründe. Schließlich das Rösle, „sein archimedischer Punkt“. Mit Rösle, zu Hause draußen im fernen Bregenz, nur fünfzehn Minuten beim Frühstück sitzen, kommt mir im fünften Ibele fast ein bisschen zu wenig vor. Sie kann weit mehr als diese betörend gute südfranzösische Fischsuppe, Bouillabaisse, kochen.

Der Autor geizt nicht mit ironischen Anspielungen auf den Alltag „Vorarlberg ist weiterhin wutfrei“ (aus der offiziellen Vorarlberger Landeskorrespondenz) und lässt Ibele in gewohnter Manier „Himmelhargazaken“. Die Zitate, philosophisch brilliant, „Der Mensch zählt immer“ (Hans Blumenberg), für meinen Geschmack sind es ein paar zu viel. Dennoch: Jeder neue Ibele hat ein eigenes genuines Strickmuster. Dieses „Hirschgeweih“ ist kriminalistisches Lesevergnügen pur. „Ibeles wildester Fall“, Natter in Topform.

 

Buchpräsentationen:
Do, 12.3., 19 Uhr, Buchhandlung Brunner, Bregenz
So, 22.3., 17.30 Uhr, Gasthof Krone, Hittisau (Ibele-Dinner, mit Voranmeldung)
Di, 24.3., 20 Uhr, Bücherei Haselstauden, Dornbirn

Peter Natter, Mord unterm Hirschgeweih. Inspektor Ibeles wildester Fall, Paperback, 184 Seiten, EUR 12,95, ISBN 978-3-7099-7806-1, Haymon Verlag