Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Thorsten Bayer · 26. Okt 2014 · Kleinkunst, Kabarett

Er möchte lieber nicht – Jess Jochimsen überzeugt in der Kammgarn Hard

„Für die Jahreszeit zu laut“ ist das 17. Programm des Freiburger Kabarettisten überschrieben. Darin widmet er sich mit Texten, Liedern und Dias der allgemeinen Lage und seinen Mitmenschen, vorzugsweise den „Bescheidwissern und Tonangebern“. Obwohl er häufig einen melancholischen Ton anschlägt, gelingt es ihm, eine warmherzige, gelassene und heitere Stimmung zu verbreiten. Am heutigen Sonntag zeigt er um 20 Uhr dieses sehenswerte Programm im Zeughaus Lindau.

Das geht ja gut los. Kaum hat Jochimsen – ganz in Schwarz gekleidet – die Kammgarn-Bühne betreten, erklärt er gleich, was sein Lebensziel sei: Griesgram werden. Und das nicht nur, weil das Wort so schön lautmalerisch ist. Systematisch möchte er die Jahreszeiten durchgehen und startet mit der hoffnungsvollsten, dem Frühling. Die Übergänge markiert er durch jeweils einen Song, vorgetragen auf dem Glockenspiel, dem Harmonium oder der Akustikgitarre. Schon der Frühlings-Song jedoch klingt jedoch sehr traurig – was soll da im Laufe des Abends noch kommen? Nichts Fröhlicheres, soviel scheint klar. Doch das ist nur die eine Seite, der erste Eindruck. Denn auf der anderen Seite zeigt er sich doch immer als Menschenfreund denn als Misanthrop, gibt die Hoffnung auf Besserung nicht auf. Und seien seine Mitmenschen auch zeitweise noch so unerträglich.

Das Leben eines leisen Menschen

Beispiele hat er genug dabei; Beispiele für die „Karl-Heinz-Haftigkeit“ seiner Nachbarn, die einen „anhausmeistern“: „Das sind so Leute, die einen noch nach dem Atomschlag darauf hinweisen, nicht gegen die Einbahnstraße zu fahren.“ Diese Biedermänner können krankmachen, weiß er: „Man wird nicht an den Irren, sondern an den Normalen verrückt.“ Insgesamt ist ihm die Umwelt häufig zu laut. Er hingegen setzt auf Stille. „Ich will versuchen, das Leben eines leisen Menschen zu führen“ – an diesem Zitat seiner Autorenkollegin Sybille Berg orientiert er sich gerne. Bewusste Verweigerung an den richtigen Stellen. „I would prefer not to“ – ich möchte lieber nicht – , diese zentrale Aussage aus Herman Melvilles Novelle „Bartleby“ ist gut sichtbar auf seinem Glockenspiel zu lesen.

Lieber nach- statt weiterdenken

„Jochimsen war noch nie ein Lautsprecher mit großer Klappe, kommt subtil daher, will erst mal nachdenken und nicht gleich weiterdenken, wie es die Konvention nun mal verlangt“, hat der Kritiker der Süddeutschen Zeitung über das neue Programm geschrieben. Es ist das mittlerweile 17., was bei einem 44-Jährigen auf ein sehr umfangreiches Werk verweist. Jochimsen ist in München geboren und 1991 zum Studium (Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie) nach Freiburg gezogen, wo er heute noch mit seiner Familie lebt. Neben dem Kabarett arbeitet er auch als Fotograf, veröffentlich Beiträge unter anderem für Frankfurter Rundschau, SZ-Magazin, taz und Musikexpress. Hinzu kommen Bücher: „Seine Bücher haben mittlerweile eine Gesamtauflage von über 180.000 Stück erreicht, und zwei seiner Geschichten fanden Eingang in deutsche Schulbücher. Kaufen kann er sich dafür nichts, deswegen schreibt und tingelt er weiter. Und das gerne“, steht auf der Homepage des Künstlers.

Ohne erhobenen Zeigefinger

In Hard überzeugt sein feingeistiger und dabei herrlich entspannter Auftritt durch die sehr gelungene Mischung von Text, Musik und Bild. So wird den durchaus ernsten Themen, die er anspricht (z. B. die gesellschaftliche Fixierung auf das Wirtschaftswachstum), die Schwere und die Zeigefinger-Attitüde genommen. Übrigens hat er auch das Getränk, zu dem er immer wieder im Laufe des Abends greift, passend gewählt. Er trinkt Tee. „Man trinkt den Tee, um den Lärm der Welt zu vergessen“, formulierte einmal der chinesische Gelehrte T´ien Yiheng.

www.kammgarn.at
Der Start ins aktuelle Programm auf Youtube
https://www.youtube.com/watch?v=3fqmEgXtwBE
www.jessjochimsen.de