Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Niedermair · 27. Apr 2013 · Gesellschaft

Tage der Utopie – Der zweite Abend / Kora Kristof: Wege zum Wandel – Wie wir gesellschaftliche Veränderungen erfolgreicher gestalten

Über diesen Tagen der Utopie liegt so etwas wie ein magischer Zauber. Ich denke, dieser Zauber hat mit Reduktion zu tun, auch mit Konzentration auf das Wesentliche. Alles Übergepäck im Programm ist weggelassen. Man nimmt es erst gar nicht mit. Und das Wenige, das Schlanke dieser Tage macht leichtfüßig und öffnet die Sinne.

So wie Pascal Contets Musik am Beginn des Abends und nach dem Vortrag. Er schrenzt diese ungetümen Töne und Klänge aus seinem Instrument heraus, streift mit seiner Hand, wie bei einer Geliebten, zärtlich über den Bauch, drückt es und atmet mit ihm auf und ein und aus bis zum Crescendo. Den Veranstaltern gelingt es mit ein paar ganz wenigen, reduziert einfachen, symbolisch gesetzten Zeichen, sprachlich und gestisch klar, scheinbar leicht wie die Fallschirme des Löwenzahns in diesem Frühling, in einer Co-Kreation mit den BesucherInnen jeden Tag und jeden Abend zu einem besonderen Ereignis zu machen. Der Nachmittag ist immer frei. Das wusste schon Platon. Die Muße bereitet die Lust auf die Utopie vor.

Eurovisionen


Oskar Negt betonte in seinem Eröffnungsvortrag der diesjährigen Tage der Utopie die herausragende Rolle der gesellschaftspolitisch-humanistischen Tradition der Kant’schen Philosophie der Aufklärung. Sie gilt Negt, der bei Adorno und Horkheimer in die Schule ging und später mit Habermas arbeitete, als Handlungsmaxime für gesellschaftliche Veränderungen und markiert heute, wo es in diesem Europa politisch immer heißer wird, das Comeback der Utopie. Die aufklärerischen „Eurovisionen“ sowie die ständige Weiterentwicklung von Demokratie als freie Beteiligung an der Verbesserung des Gemeinwesens, soziale Solidarität und Beschütztheit bilden den Kern seines Plädoyers für eine politisch diskursive und pragmatische Auseinandersetzung mit der Europäischen Union. Banken- und Länderratings, Sparprogramme sowie dieses pauschale nationale Verächtlichmachen von StaatsbürgerInnen, deren Länder durch die Spekulationen in der Krise sind, und Rettungsschirme für die Banken sind ein Armutszeugnis für die politisch-parlamentarischen Lösungskompetenzen. Rettungsschirme brauchen wir laut Oskar Negt dringend, und zwar in einem ganz elementaren Sinne, für Bildung, Soziales, für Kultur.

Ressourcenleicht, immissionsneutral und (ökologisch) gerecht...


...sind die Ziele der großen, anstehenden Veränderungen. Negts Plädoyer für eine umfassende politische Ökologie wurde am Mittwoch, dem zweiten Vortragsabend, von einer Praktikerin des Wandels in einen Theorie-Praxis-Zusammenhang gestellt. Kora Kristof aus Berlin sprach darüber, wie Veränderungsideen und -sehnsüchte auf der Folie eines wissenschaftstheoretischen Fundaments in die konkrete Umsetzung gebracht werden können und welche Voraussetzungen es braucht, diesen Vogel Veränderung in die Lüfte zu bringen. Der Quintessenz aus den Forschungsergebnissen der involvierten wissenschaftlichen Disziplinen sowie von den Veränderungsstrategen aus Politik, Wirtschaft und den gesellschaftlichen Bewegungen hörte ein bis auf den letzten Platz gefülltes Auditorium aufmerksam zu.

Kristofs Vortrag war eine vitale Demonstration, wie die wesentlichen Faktoren für Veränderungen systematisch analysiert werden können, welche Spielregeln organisierter Wandel benötigt und wie nachhaltig wirksame Prozesse auf den Weg gebracht werden. Ihr rhetorisches Engagement ist ein Kunstwerk an sich, ein aus der Fülle von Erfahrungen gehobener, faszinierend und überzeugend vorgestellter Ansatz für vital praktizierte Veränderung. Im Kern geht es darum, wie man Veränderung vernünftig auf die Reihe kriegt. Natürlich stehen dahinter kooperative Beziehungen. Die gelernte Volkswirtschafterin hat sich über „Models of Change“ habilitiert, war als Leiterin der Energieabteilung sowie Programmleiterin der Forschungsgruppe „Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren“ im Wupptertaler Institut in den Herzkammern des Wandels. Seit 2011 leitet sie die Grundsatzabteilung des deutschen Umweltbundesamtes in Dessau, wo sie sich mit Ressourcenpolitik, nachhaltigen Lebensstilen und gesellschaftlichem Wandel auseinandersetzt.

Die Potentiale des Widerständischen


Die Zutaten und Ansatzpunkte für Kristofs erfolgreiche Gestaltung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse kann man im Tagungsband nachlesen, eigentlich ein Bändchen, das in jede Herrenjacke und jede Frauenhandtasche passt – rechtzeitig vor den Tagen der Utopie 2013 bei Bucher in Hohenems erschienen – oder auf www.tagederutopie.org nachhören. Hier nur so viel aus der Grammatik und Syntax der Veränderung: Es gilt, tragfähige Veränderungsideen und Lösungsvorschläge zu entwickeln, die Akteure, Change Agents, die Zielgruppe und weitere Akteure erfolgreich einzubinden, Veränderungsprozesse professionell gestalten und Zeitaspekte adäquat zu berücksichtigen. Das sind die wesentlichen Herausforderungen im Rahmen des komplexen, dynamischen, systemischen und interaktiven Zusammenspiels. Niemand soll mehr sagen, und besonders aus systemtheoretischer Perspektive, only a wet baby cries for a change, um hinzuweisen, wie schwierig Veränderungen sind.

Die wirkliche Herausforderung, und das ist an diesem Abend sehr deutlich geworden, ist der Widerstand. Viele kluge Ideen, sagt die Referentin in der Diskussion, habe sie von denen, die sagten, das gehe nicht und das nicht, doch gerade von denen habe sie am meisten gelernt. Nicht nur den langen Atem, auch wenn man manchmal sozusagen in den Tisch beißen möchte, weil nicht viel weiter geht. Kompetenzen für Nachhaltigkeitsprozesse sind keine behavioristischen Skills, sondern Kommunikation und Reflexion, Überschneidungen nachzuspüren und genau herauszuarbeiten, wo die Differenzen liegen. Und wichtig bei allem sei es, das Gesamtkonzept zu sehen und im parallelen Kulturwandel Widerstände nicht als Ärgernis zu betrachten, sondern diese fruchtbar zu machen. Widerstände sind wichtig, sie zu würdigen eine weitere unverzichtbare Dimension. Information allein führe nicht zu Veränderung und auch nicht automatisch zu einem Wandel im eigenen Verhalten.

Partizipation, Freude am Tun ….


Traditionell habe man gerade in der Umweltbewegung stark informationslastig agiert und gemeint, wenn man nur die Informationen in die Köpfe der Leute bringe, dann sei schon die halbe Fahrt gemacht. Doch vom Verstand und von der Moral her zu argumentieren sei viel zu wenig und würde letztlich auch nicht ausreichen. Es brauche – und das haben zahlreiche wissenschaftliche Analysen deutlich hervorgebracht – die soziale Ebene, dort wo man Gemeinschaft erzeugen muss, Beteiligung und Freude am Tun und Handeln. Verantwortung für eine nachhaltig zu nutzende Welt kann man nur übernehmen, wenn man Menschen in demokratische Prozesse einbindet, diese mit ihnen weiter entwickelt und sie daran beteiligt.

… und Demokratie


Daraus ergebe sich auch die Sensibilität, beim Blick auf das Zielsystem darauf zu achten, dass es gerecht zugeht und im Veränderungsprozess auf Leute zu schauen, die durch eine Entwicklung verloren haben, und überlegen, was man mit denen macht. In Summe hieße das, im Ökonomischen, Ökologischen und im Sozialen zu sehen, was Veränderung bewirkt. Damit, finde ich, nähert sich Kora Kristof in einer ähnlichen, über andere Wege jedoch vielleicht sogar parallel entwickelten Denkfigur jener Position an, die der Soziologe Harald Welzer in seinem neuen Buch „Selbst denken. Widerstand leisten – nur wie?“ vertritt, nämlich den Aspekt der Veränderung von hinten her zu denken. Wer möchte ich einmal gewesen sein? Was würde ich gerne von mir sagen und über mich und meinen Fußabdruck auf diesem Planeten hören wollen – Das Futur zwei, denn die Zukunft sei, so Welzer, keine Verlängerung der Vergangenheit und ihrer Glücksvorstellungen. Grüne Etiketten beseitigen bekanntlich nicht die ozeanischen Müllstrudelinseln im Pazifik. Und noch etwas. Veränderungsprozesse brauchen eine Kultur des Feierns. Wie man das macht, kann man in Arbogast jeweils nach den Vorträgen am Buffet erleben. Die können das. Die Tage der Utopie an sich sind schon Veränderung. Frau Kristof – das hat geschmeckt, kommen Sie wieder!