Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Tamara Ofner · 16. Mär 2017 · Gesellschaft

Das gelungene Leben: Kollektive Erinnerungen im Vorarlberger Architektur Insitut

Das vai (Vorarlberger Architektur Institut) wurde 1997 gegründet und lud seine ca. 400 Vereinsmitglieder ein, die Ausstellung für das Jubiläumsjahr 2017 mitzugestalten.

Die Ausstellung, die am 14.3. feierlich eröffnet wurde, ist Schnittstelle zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem in der Architektur, ein „Sammelsurium“, wie es Direktorin Mag. Dr. Verena Konrad nennt – ohne ein vorgegebenes Thema oder eine gewollte Struktur dahinter. Ausgestellt wurde, was die Mitglieder freiwillig brachten und es wurde alles ausgestellt, was gebracht wurde – ohne Hinzufügung oder Weglassung. Daher freut sich Verena Konrad besonders darüber, dass trotz dieser Freiheit und Freiwilligkeit die gesamte Bandbreite der die Vorarlberger Architekturlandschaft berührenden Arbeits- und Diskussionsfelder eingebracht wurden und vorhanden sind. Kein wesentliches Thema fehlt.

Es sind erstaunlich viele Bücher und Schriftdokumente, Fotos natürlich und auch eine CD, die für das vai anlässlich der Architekturtage vom Architekturbüro Gohm & Hissberger in Auftrag gegeben wurde. Hörenswert: die „DIAL-OGUE“. Die Objekte sind zum Teil geheimnisvoll in Schachteln verpackt, die die Besucher wie ein Geschenkpäckchen öffnen dürfen, die Objekte und Schachteln aufgestellt auf aneinandergereihten Tischen, die sich meterlang durch den Raum schlängeln. Es sind mitunter sehr persönliche Objekte dabei, wie der Schlüssel des 250 Jahre alten Gebäudes des Hotel Hirschen in Schwarzenberg, den Franz Fetz vor 40 Jahren von seinem Vater erhalten hat und den er heuer an seinen Sohn weitergeben wird. Aber auch die anderen Gegenstände erzählen Geschichten von Menschen und ihren Werken. Insgesamt erzählt die Ausstellung wesentlich mehr, als „nur“ über Architektur: Sie erzählt in erster Linie von der Gestaltungskraft und der Persönlichkeit von Menschen.

Kurze Geschichte und Verortung des vai


Das vai wurde Ende der 1990er-Jahre im Zuge einer bundesweiten Initiative zur Förderung von regionaler Baukultur gegründet. Vorarlberg war das letzte Bundesland, das diese Gründung 1997 vollzogen hat und es war laut Otto Kapfinger, ehemaliger Vorstand der Österreichischen Gesellschaft für Architektur, eine prozesshafte Findung und Gestaltung der auf Vereinsbasis agierenden Vereinigung, die nicht ohne Diskussionen und Grenzziehungen abgelaufen ist. Das vai versteht sich als Schnittstelle im Feld der Baukultur, vernetzt ArchitektInnen, PlanerInnen und BauherrInnen mit den AkteurInnen aus Handwerk, Wissenschaft, Kunst, Kultur und Politik und all deren Interessensvertretungen. In erster Linie jedoch möchte es Menschen miteinander verbinden. So sieht sich das vai als Ort der Begegnung, Information, Vermittlung und Gestaltung. Die Mitgliedschaft fordert auch die aktive Mitarbeit und Mitgestaltung – auch ehrenamtlich – der Mitglieder ein. Das vai steht jedoch allen Menschen, die sich für Baukultur und Architektur interessieren, offen. Der Eintritt ist frei. Ein Service und eine Funktion, die in Anbetracht der demographischen Entwicklungen und der daraus erfolgenden Veränderungen der Eigentumskultur und auch weiter zunehmenden Urbanisierung von wesentlichen Landesteilen einen besonderen Stellenwert erhält. Architektur geht somit jeden etwas an und steht auch jedem offen, nicht nur EigentümerInnen und BauherrInnen.

Architektur als Haltung zum Menschen und zur Umwelt


Was ist Architektur? Es ist die Haltung, die den Architekten, die Architektin ausmacht, die Gedanken, mit denen er/sie sich den Menschen und der Umwelt nähert und daraus dann den Raum gestaltet und formt, der genutzt werden sollte. Verena Konrad weist wieder einmal auf Otto Kapfinger hin, dieser beschreibt Architektur unter anderem auch so: „Architektur ist greifbar, materiell, körperlich, zeithaltig. In der Transformation des Geländes mit all seinen Umweltfaktoren zu einem konkret nutzbaren räumlichen Ereignis liegt jene Qualität, die Architektur von anderen Medien oder Künsten unterscheidet.“

Für Verena Konrad ist Architektur auch immer in einen sozialen Kontext eingebunden.  Die größte Herausforderung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten liegt für ein Land wie Vorarlberg auf jeden Fall in der Entwicklung von lebenswerten Gemeindezentren, in der fortschreitenden Urbanisierung, die nicht lediglich vier Wände als Wohnraum aufstellt, sondern auch den Raum dazwischen gestaltet und zwar so gestaltet, dass er nutzbarer und qualitativ hochwertiger Lebensraum ist, nicht lediglich Brachland oder seelenloser Zwischenraum. Verena Konrad macht im persönlichen Gespräch das Stichwort „Sozialer Wohnbau“ zum Thema. Ihr wurde in Vorarlberg gesagt, dieses Wort könne man hier so nicht zur Sprache bringen, es wird gleichgesetzt mit „Gesindel“ und dieses wolle man nicht. Damit befinden wir uns in jenem Spannungsfeld, das unsere gesamte Gesellschaft derzeit umfängt und bewegt. Einerseits Zuwachsraten durch Migration, die verkraftet werden müssen, andererseits die Zersplitterung und Veräußerung von individuellem, persönlichen Landbesitz, Ansprüche von Wirtschaft und Industrie darauf, aber auch all jenen, die dazukommen und Wohnraum brauchen oder auch nur möchten. Darf ein Einzelner noch eine von großzügigen Freiflächen umgebene Villa besitzen, oder auch nur das Häuschen im Grünen oder sieht er sich dazu gezwungen, sich in verdichtete Bauformen einzugliedern? Kann dieses verdichtete Wohnen auch Freude machen und unter welchen Bedingungen? Was ist mit jenen, die ganz am Rande der Gesellschaft stehen, Mindestsicherungsempfänger sind? Für Verena Konrad ist Wohnen ein Grundbedürfnis und keine Ware. Ein Grundbedürfnis, das auf unterschiedlichste Arten befriedigt werden kann. Niemand, auch kein Architekt, hat hier die einzig richtige Wahrheit zur Verfügung. Vielmehr geht es um einen verantwortlichen Dialog, der auch Spannungsfelder thematisiert, der aus der bisherigen Erfahrung und sozialen Praxis schöpft, sich abhebt von Einheitsbrei und neue, der Zukunftsrealität angemessene, aber auch die lokale Geschichte und Gegenwart berücksichtigende gestalterische Arbeit leistet. Menschliche Bedürfnisse zu berücksichtigen, gehört hier ebenso dazu wie Ressourceneffizienz. Architektur ist für Verena Konrad in diesem Sinne auch immer „Sozialer Wohnbau“ – weil sich jedes Gebäude und Bauwerk einfügt in ein gesamtgesellschaftliches Ganzes der lokalen Umgebung.

Das gelungene Leben – in die Zukunft gedacht:


Dass Vorarlberg ein Architektur-Vorzeigeland ist und der Architekturtourismus boomt, ist hinlänglich bekannt, wurde bisher jedoch eher in den Bereich des gelungenen Eigenheimes gestellt und nicht auf städtebauliche Fragen bezogen. Dass es einiges G´riss um diverse größere Bauprojekte wie zum Beispiel die Seestadt in Bregenz gibt, ist ebenfalls bekannt. Viel weniger bekannt sind jedoch oft die guten Beispiele, wie die Brücken, die ins Ebnit gebaut wurden und ein klares Statement der Stadt Dornbirn waren, diesen Ortsteil erreichbar und damit lebendig erhalten zu wollen. Ein weiteres gelungenes Beispiel, erzählt Konrad, ist der Ausbau des öffentlichen Verkehrsnetzes in Vorarlberg, das ein weltweites architektonisches Aushängeschild ist, während diese Tatsache im Land selbst kaum bekannt ist. Gelungene Entwicklungen auf der Ebene von kleinen Gemeinden fanden zum Beispiel in Ludesch mit dem Gemeindezentrum statt oder auch in Krumbach. Das Land Vorarlberg hat einen prognostizierten Bevölkerungszuwachs von ca. 15 bis 20 % in den nächsten 50 Jahren zu bewältigen. Wie dieser Bevölkerungszuwachs in der Raumgestaltung berücksichtigt wird, liegt auch in unser aller Mitverantwortung. Wir können unseren Wohnraum gestalten, wie wir ihn gestalten, ist oft mitentscheidend für ein gelungenes Leben. Denn: mit Otto Kapfinger gesprochen: „Architektur schafft die Bühnen des Lebens, von 0 bis 24 Uhr ganzjährig durch jedes Wetter und jede Benutzung moduliert.“