Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Mirjam Steinbock · 01. Nov 2016 · Gesellschaft

Alles wirkliche Leben ist Begegnung – Das Festival Vlow! 2016 rollte seinen Teilnehmenden im Festpielhaus Bregenz den Gestaltungsteppich aus

Der Urheber der Vlow! Gerhard Stübe und der Kurator Hans-Joachim Gögl strahlten bereits weit vor Veranstaltungsstart um die Wette. Sie ließen keinen Zweifel daran, dass sie selbst begeisterte Anhänger dieses Festivals im Zwischenraum von Kommunikation, Design und Architektur sind. Solche Begeisterungsfunken wirken oft ungemein anziehend. Hier bestätigte sich die Anziehungskraft, denn um die 450 Menschen fanden bei dem Kongress zusammen. Solche, die schon lange Teil des biennal stattfindenden Festivals sind und sich „Vlowianer“ nennen dürfen und solche, die gerade erst damit anfangen. Wie passend, dass das diesjährige Thema „Besser Anfangen!“ lautete.

Zwei Tage lang durfte man sich umfassend dem „erfolgreichen Beginnen in Gestaltungsprojekten“ widmen, wie es der Untertitel der Veranstaltung verhieß. Wer sich bei üblichen Konferenzen genüsslich in den Clubsessel zurücklehnt und mit Best Practice-Modellen bespielen lässt, erlebte hier den Umkehrschwung. Das Konzept der Vlow! erklärte Hans-Joachim Gögl so: „Das Ziel ist, die fantastische Intelligenz der Teilnehmenden zu nutzen.“ Moderator Clemens Theobert Schedler legte in seiner Begrüßung noch eins drauf: „Die eigentliche Spitze des Speers seid ihr und eure Resonanz, nicht die Menschen vorne auf der Bühne. Fangt Impulse auf und redet miteinander wie euch der Schnabel gewachsen ist.“, ermutigte er die Teilnehmenden.

Die erste Sprecherin des Kongresses, Zirkusdirektorin Kajsa Balkfors, fing diesen Ball gekonnt auf. Sie sprach über Mut und das gegenseitige Vertrauen, das es bei Luft-Akrobatik brauche. Was für Chancen darin liegen, ein Risiko einzugehen demonstrierte sie ganz konkret: sie fordert die Teilnehmenden auf, sofort den jeweiligen Sitznachbarn anzusprechen. Dies gelang. Nach einer Schreckminute breitete sich plötzlich für rund fünf Minuten ein Klangteppich aus munteren Gesprächen aus. Sehr klug war es, eine Kennerin der darstellenden Künste das Feld eröffnen zu lassen.
Die Atmosphäre des Raums veränderte sich sofort in eine sehr offene und hielt sich auf diesem Level auch während des folgenden Vortrags von Cecilia Martin, Mitgründerin und Kuratorin des Lava Labs in Amsterdam. Sie gab einen erfrischenden Einblick in die Welt der Millennials, also all jener Menschen, die zwischen 1980 und 1999 geboren wurden und mit den digitalen Medien aufwuchsen. Inwiefern Kulturvermittlung für junge Menschen im Zusammenspiel von digitaler Sprache mit bildnerischer Kunst funktionieren kann, erläuterte sie anhand eines gelungen Beispiels einer Ausstellung des Amsterdamer Kunstmuseums Hermitage. 

Wie man Prozesse beginnt und sinn- wie lustvoll weiter führt, darüber gab auch der groß angekündigte Architekt Bjarke Ingels Auskunft. Der von der Neuen Zürcher Zeitung als Superstar der Architektur betitelte Däne ist zweifelsohne eine Ausnahmeerscheinung. Mit dem Privatjet eingeflogen, betrat Ingels souverän die Bühne, griff zum Handmikrofon und präsentierte unmittelbar unzählige Bilder der Projekte von „BIG“. Bjarke Ingels Group ist die Bedeutung des Kürzels und bei BIG geht es darum, Gestaltung den größtmöglichen Raum zu geben. Dabei wurde auch Ingels´ Liebe zum Detail und seine Spielfreude während des Vortrags deutlich spürbar. Sichtbar wurde das bei der Amager Slope, einer Müllverbrennungsanlage auf der Insel Amager bei Kopenhagen, die ab 2017 Haushalte mit Fernwärme und Energie versorgen und darüber hinaus als einzige Skipiste Dänemarks und Kletterwand fungieren soll. Das besondere Detail des Projekts besteht darin, dass das über einen Kamin ausgestoßene Kohlendioxid in Form eines Rauchrings austritt. Die Welt ein bisschen so gestalten wie wir von ihr träumen, fasste der Architekt als seine Motivation zusammen. Nachhaltigkeit sowie die bestmögliche Nutzung des noch so kleinsten Raumes und das Denken in Möglichkeiten scheinen das zu sein, was Ingels so erfolgreich wie schillernd macht.
Allein, das Publikum so einzubinden wie es seine Vorrednerinnen taten, gelang ihm nicht. Stattdessen trat das ein, was die Veranstalter vermeiden wollten: es wird bewundert, was auf der Bühne geschieht.

Wie wichtig Pausen bei derart fachlichen Inputs sind, ist erfahrenen Veranstaltern wie Stübe und Gögl bekannt und wird ganz bewusst als Programmpunkt eingesetzt. Was die kulinarische Versorgung anbelangt, fühlte man sich mit einem derart zuvorkommenden Service wohl, der Blick auf den Bodensee aus den Panoramafenstern tat sein übriges und diese Basis führte in gute Gespräche, die sich irgendwo zwischen Kaffeemaschine und Salatbuffet ergaben und nur ungern abgebrochen wurden, bevor es zum nächsten Programmpunkt ging. Aber eben, es gab noch viel zu tun auf dem Weg in ein besseres Anfangen und wie man zu einem guten Ergebnis bei Storytelling in Räumen gelangt, zeigten Katy Müller und Guido Rottkämper anhand vieler Beispiele ihres co-kreativen Schaffens.

Was dem folgte, sind die Workshops, in denen erfahrene SprecherInnen ihr Fachwissen teilten und zum Teil spielerisch zugänglich machten. Neun sind es an der Zahl, lediglich drei konnte man besuchen. Das Prinzip des Mangels sollte hier dazu genutzt werden, dem eigenen Instinkt für die richtige Wahl zu folgen. Vorab stellten die ReferentInnen ihre Workshops mittels eines Elevator Pitches vor, d.h. sie hatten zwei Minuten Zeit, um in Kürze von sich zu überzeugen.

Nicht jedem der Referenten mag in Folge der Spagat zwischen Information, guter Vermittlung der Inhalte und elegantem Start in das konstruktive Schaffen gelungen sein. Es gab auch Kritik, wie z.B. bei einem Workshop, der die Auftragsdefinition beleuchtete. Es fehle an Klarheit, so die Meinung einiger Teilnehmenden. Die Erwartungshaltung war hoch, das Niveau der Teilnehmenden ebenso. Ein Fakt, dem sich die Speaker dieser Veranstaltung vorab bewusst sein sollten. Humorvolle Methoden wie die des japanischen Formats Chindōgu, bei dem das Finden einer absurden Idee im Speed-Dating-Modus im Vordergrund steht, haben es da offensichtlich leichter.

Der erste Konferenz-Tag mündete schließlich auf der inzwischen ummodellierten Werkstattbühne, die dem Anspruch eines Gala-Events vollends entspricht und zeigt, was das Haus und seine Mitarbeiter können. Zwischen den Gängen erfolgte die Verleihung des Vlow! Junior- und Senior-Awards sowie von zwei Casino Capix-Awards für die Studierenden der teilnehmenden sechs Hochschulen, die bereits am Vortag ihre Arbeiten vor einer Live-Jury präsentierten.

Der nächste Kongress-Tag wurde von einem Vortrag von Thomas Hundt, Mitbegründer der Kreativagentur jangled nerves aus Stuttgart eröffnet. Diesem folgte dann die Vlow! Werkstatt, bei der die Teilnehmenden zu Teilgebenden wurden. Hier nun wurden konkrete Projekte und Fragen eingebracht, die dann von denjenigen, die sich dem Thema für eine Stunde widmeten, mit Impulsen und Ideen weiterentwickelt wurden. Neunzehn Projekte wurden ausgerufen, der Andrang war also groß. Wann auch lässt sich so unkompliziert auf eine so hohe Dichte an Kreativschaffenden zugreifen.
Thematisch reichten die Projekte von der Aktivierung einer Kulturlokation über interaktive Lichtinstallationen bis zum Bewusstsein einer achtsamen Geburtskultur. Befruchtend waren die Inputs nicht nur für die Projekteinreichenden sondern letztlich für Alle - an diesem Punkt lernte man die Arbeitsweisen der TeilnehmerkollegInnen direkt kennen. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse oder ein Einfahren der sicher reichen Ernte aus diesem Block gab es leider nicht. Spannend wäre dies durchaus gewesen, in welcher Form die Projekte sich entwickeln oder inwiefern der Input wirklich brauchbar war oder werden könnte.

Nach der Mittagspause folget der finale Vortragsblock, dem ein besonderes Schmankerl vorausging. Das Improvisationstheater Gorillas aus Berlin sorgte für interaktives Amüsement. Billa Christe und Christoph Jungmann ließen sich Worte aus dem Publikum zuspielen und gingen darstellerisch gelungen und hoch unterhaltsam auf das Thema Anfangen ein. Mehr davon, möchte man ausrufen.

Das Grafikbüro Studio Feixen, verantwortlich für den visuellen Auftritt der Vlow! 2016, knüpfte hinsichtlich der Qualität eines wirklich guten Vortrags nahtlos an die Gorillas an. Die drei noch jungen Designer des Schweizer Büros präsentierten gekonnt ihre große Projekt-Palette für Kunden wie Google, Reebok oder das Luzerner Theater. Gründer Felix Pfäffi gab am Ende des Vortrags noch seine persönliche Empfehlung ab: „Vielleicht klingt der Auftrag im ersten Moment etwas langweilig, aber es ist unsere Aufgabe, ihn spannend zu gestalten.“

Poetisch wurde es in der Präsentation von Tilla Goldberg, die Hermann Hesses „Stufen“ zitierte und darauf einging, welcher Zauber dem Anfang inne wohnt. Die einzige Vortragende übrigens, der die Zeit davon lief und die selbige überschritt, um noch ein paar Herzensprojekte vorzustellen. Es brauchte eine Weile, sich auf die Vortragsweise dieser Designerin einzulassen, deren Spektrum reich ist, bis ins kleinste Detail durchdacht und auch handwerklich präzise umgesetzt. Eigentlich mag man mehr erfahren, doch das Berliner Unternehmen Dark Horse wartete schon auf die nicht minder interessante Vorstellung ihrer Organisationsform, die auf den Pfeilern mittelalterlicher Mönchsorden beruht und Gemeinschaft und Autonomie völlig neu definiert.

Zum Schluss war man schlichtweg geplättet. Viele Informationen, unzählige Impulse, interessante Menschen und Projekte, mit denen Zusammenarbeiten nicht nur vorstellbar sondern wünschenswert wäre. Das Wechselspiel von Zuhören, Aufnehmen und Weitergeben ließ einen dennoch irgendwann in den Sessel zurück sinken. Im Wissen, dass die Reflexionsphase noch eine Weile dauern wird.

Nach einer emotionalen Verabschiedung der Veranstalter und dem Ausblick auf die Vlow! 2018 schlenderte man schließlich am Büchertisch der Buchhandlung Walther König vorbei. Die eigens für die Vlow! vom Werkraumhaus Bregenzerwald mit Holzelementen gestaltete Mini-Buchhandlung des renommierten Experten für Kunstbücher lud während der ganzen Veranstaltung leise, aber sehr präsent mit wunderschönen Büchern und Bildbänden zum Stöbern ein. Dank der sensiblen Führung der Bibliothekarin Mayumi Pfundtner bot sie zugleich eine kleine Oase. Sanft konnte man hier über den Buchrücken eines besonders ausgefallenen Exemplars streichen, etwas für die Freundin aussuchen oder sich schlicht an einem Gespräch über Bücher und Kunst erfreuen. Und um das Zitat von Martin Buber aufzufangen, das am Anfang der Veranstaltung fiel: Alles wirkliche Leben ist Begegnung.

 

Die nächste Vlow! im Festspielhaus Bregenz findet vom 18. – 20. Oktober 2018 statt.