Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Gunnar Landsgesell · 26. Nov 2015 · Film

Youth / Ewige Jugend

Michael Caine und Harvey Keitel als lebensweise Künstler, die in einer Schweizer Kuranstalt ihre eigene Blase geschaffen haben. Ob Gegenwart oder Vergangenheit, wen kümmert das schon. "Youth" ist ein Werk von verträumter Kühnheit mit Hang zur ornamentalen Verzettelung.

Wo sonst sollte von vergangener Größe stimmungsvoller erzählt werden als in einer schweizerischen Kuranstalt, zwischen satten Wiesen und schneebedeckten Berggipfeln. Fred Ballinger ist ein gealterter Dirigent und Komponist, der trotz ergebenster Nachfrage eines Abgesandten der Queen, der extra aus London angereist ist, kein Konzert zu deren Ehren dirigieren möchte. Seine Zeit sei vorbei, gibt er zu verstehen, und wie Caine das ausdrückt, zwischen ostentativem Desinteresse und einer Wehmut über seine eigene Haltung, ist sehenswert. Mit einem Zuckerlpapier raschelt er dazu einen Rhythmus, der den Gesandten vom Tisch komplementieren soll. Details wie diese sind der Stoff, aus dem Regisseur Paolo Sorrentino seine Filme baut. Mit Michael Caine hat er einen Akteur, der die sparsamen Dialoge des Films durch die Nuancen seines Gesichts vervollständigt. Immer wieder blickt man in dieses, um die Geheimnisse dieser Figur zu erforschen: Was lässt sich darin an Stolz, früheren Freuden und alten Lebenslügen ablesen? Michael Caine ist nicht allein, an seiner Seite ist, wenngleich weniger erratisch – Harvey Keitel in der Rolle des Filmregisseurs Mick Boyle zu sehen. Anders als sein Freund Fred glaubt Mick ungebrochen an seine künstlerische Kraft und arbeitet an einem aktuellen Film. Doch das ist unwichtig. „Youth“ handelt von zwei alten Tagträumern, die sich in einer alpinen Kuranstalt ihre eigene Blase geschaffen haben. Paolo Sorrentino hüllt die beiden in schwelgerische Bilder, voll mit rätselhaften Details, die oft nicht inhaltlich, immer aber atmosphärisch bedeutsam sind. Wer hier schon bald an Thomas Manns Zauberberg denkt, liegt keinesfalls falsch. „I wonder what happens to your memory over time“, brummelt einer der beiden einmal. Antworten auf solche Fragen haben andere: Etwa Freds Tochter (Rachel Weisz), die ihren Vater unsanft aus seinem Selbstbild des hehren Familienmannes holt: „You had a stream of women“. Oder von Jane Fonda, die in einem kurzen intensiven Auftritt als knallige Diva ihrem alten Freund Mick unverblümt sagt, was sie von seinem Alterswerk hält. In „Youth“ auf eine richtige Erzählung zu warten, wäre verfehlt. Sorrentino hat sich, mehr noch als in „Il Divo“ und „Cheyenne“ und wie zuletzt in „La grande bellezza“ in seinem impressionistischen Bilderkanon eingerichtet und setzt die Welt aus den wunderlichsten Perspektiven und Details zusammen. Wie die Zeit sich hier auflöst und die Erinnerung tendenziell Unterschiede zwischen Gegenwart und Vergangenheit verwischt, lässt viel Raum zur Beobachtung. „Youth“ ist quasi eine Einladung zum Genuss, zum Rausch (der Bilder), auch wenn sich manchmal das Gefühl einstellt, dass Sorrentino zuweilen vom Gestalter zum Verwalter seiner elegischen Bildeinfälle wird.