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Walter Gasperi · 11. Jän 2018 · Film

Wonder Wheel

Woody Allen legt sein Liebesdreieck, das in den 1950er Jahren vor dem Hintergrund des New Yorker Vergnügungsparks Coney Island spielt, als Hommage an die großen Melodramen eines Douglas Sirk an, doch in der Überzeichnung und der betonten Künstlichkeit gewinnt der 47. Film des New Yorkers keine emotionale Kraft. Zu artifiziell bleibt „Wonder Wheel“ und konterkariert die großen Emotionen zudem immer wieder durch die Musik, die einen zu leichten Ton anschlägt.

Auch Woody Allen dreht nun für Amazon, aber der Vorspann wird immer noch von weißen Titeln auf schwarzem Grund gebildet. Auch davon abgesehen ist „Wonder Wheel“ ein typischer Film des 82-Jährigen, auch wenn es darin im Grunde nichts zu lachen gibt und es sich um ein waschechtes Melodram handelt.

Brillante Ausstattung und Kameraarbeit

Mit einer großen Kamerafahrt entlang des New Yorker Vergnügungsparks Coney Island setzt "Wonder Wheel" ein und aus dem Off stellt sich der Theaterwissenschaften-Student Mickey (Justin Timberlake) vor, der im Sommer hier als Rettungsschwimmer arbeitet. Distanz erzeugt dieser Erzähler, ermöglicht gleichzeitig bald die Handlung zu raffen, bald locker Rückblenden einzuführen.
Großartig evozieren einerseits die Kamera von Vittorio Storaro, der einst mit seinen Arbeiten für Bernardo Bertoluccis „Il conformista“ und Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ zum Star aufstieg, mit Farben und Licht, andererseits aber auch die perfekte Ausstattung von Sandro Loquasto und die Kostüme von Suzy Benzinger die Stimmung der großen Melodramen der 1950er Jahre.

Enttäuschte Träume

Das titelgebende Riesenrad steht dabei ebenso wie ein Karussell, in dem der übergewichtige Humpty (Jim Belushi) arbeitet, wie das Schicksalsrad für das Auf und Ab des Lebens. Mehr als dieser Humpty stehen aber seine Frau Ginny (Kate Winslet) und Carolina (Juno Temple), Humptys Tochter aus erster Ehe, im Mittelpunkt der Handlung.
Die Träume beider Frauen sind längst geplatzt. Denn statt eine Karriere als Schauspielerin zu machen, jobbt Ginny nun nach einer gescheiterten ersten Ehe als Kellnerin in einem Restaurant im Vergnügungspark. Carolina dagegen hatte jahrelang keinen Kontakt zu ihrem Vater, sucht nun aber bei ihm Zuflucht, nachdem sie ihren Mafia-Mann verlassen hat und sie nach einer Aussage bei der Polizei von anderen Mafiosi gejagt wird.
Hoffnung auf einen Neubeginn schöpft die in ihrer Ehe unglückliche Ginny, als sich eine Beziehung mit Mickey entwickelt, doch diese Hoffnung wird von Eifersucht abgelöst, als sie entdeckt, dass Mickey sich auch mit Carolina trifft.

Ebenso kunstvoll wie künstlich

Temporeich beginnt „Wonder Wheel“, der ausschließlich in diesem Vergnügungspark spielt, stellt pointiert auch der Glitzer-Märchenwelt die tristen Lebensbedingungen in der Wohnung von Humptys Familie gegenüber. Auf der visuellen Ebene gespiegelt wird so die Kluft zwischen den Träumen der Protagonisten und ihrer bitteren Realität. Allzu aufgesetzt wird das aber durch die Lichtregie betont, wenn manchmal innerhalb einer Szene die Gesichter zunächst in goldenes warmes Licht, das die blonden Haare der Frauen zum Leuchten bringt, und dann in kaltes weißes Blau getaucht werden. – Technisch ist das zwar großartig gemacht, verleiht dem Film aber eine Künstlichkeit, die ihm das Leben förmlich austreibt.

Routine ohne Leidenschaft und Engagement

Klassische Allen-Motive wie die Frage nach der Möglichkeit der eigenen Entscheidung und der Rolle des Schicksals oder nach dem Verhältnis von Gefühl und Verstand fehlen auch hier nicht. Doch echte emotionale Kraft kann dieses Melodram, das im Kern von der Sehnsucht nach einem Ausbruch aus einem frustrierenden Leben erzählt, nicht entwickeln. Trotz starker Schauspielerinnen, unter denen Kate Winslets Leistung herausragt, sind die Figuren zu wenig sympathisch. Zu sehr überzeichnet sie Allen, reduziert sie auf Klischees, sodass sie keine Charaktere werden, deren Schicksal bewegt.
Auch wird man das Gefühl nicht los, dass sich der Altmeister für seine Figuren und ihr Schicksal im Grunde nicht interessiert, sondern sie nur benutzt, um aus Versatzstücken den klassischen Melodramen eines Douglas Sirk seine Reverenz zu erweisen. Weil aber Esprit und Leidenschaft der Inszenierung völlig fehlen, kommt „Wonder Wheel“ über eine hinsichtlich der Ausstattung und Kameraarbeit zweifellos brillante, aber eben auch hohle Hommage nicht hinaus.