Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Gunnar Landsgesell · 20. Sep 2018 · Film

Wackersdorf

WAA...Wahnsinn Wackersdorf. Jahrelang hatten zahlreiche Bürgerinitiativen gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf mobilisiert - und diese schließlich zu Fall gebracht. In einem klugen Schritt macht Regisseur Oliver Haffner einen oberpfälzischen Landrat zur Erzählachse seiner Polit-Posse und spiegelt an ihm die dramatischen Verwerfungen dieser Zeit, als die Gesundheit plötzlich wichtiger wurde als Arbeitsplätze.

„Ich will“, setzt der oberpfälzische Landrat während seiner Rede vor der Dorfgemeinschaft an, und korrigiert sich, „I wüll unsere Heimat wieder in voller Blüte sehen.“ Hans Schuierer ist zu diesem Zeitpunkt so volksnahe, wie es Politiker eben sind. Da wird die Sprache angepasst und versprochen, was die Leute hören wollen. Im Lauf dieses Films wird sich das jedoch dramatisch ändern. „Wackersdorf“ rollt auf, was sich in den Jahren vor der Besetzung und schließlich des Scheiterns der Nuklearen Wiederaufbereitungsanlage im bayrischen Wackersdorf in den 1980er Jahren abgespielt hat – oder haben könnte. „Wackersdorf“ handelt auch vom sich formierenden Widerstand, ist vor allem aber eine Polit-Parabal über einen Regionalpolitiker, der gegen die Mächtigen auftritt, weil er sich nicht korrumpieren lassen will. Schuierers Gegenspieler heißt Franz-Josef Strauß, bayrischer Ministerpräsident, damals für seinen groben Zugriff berüchtigt. Und im Film nie zu sehen. Wenn es um Strauß geht, heißt es nur, „ganz oben“, oder „München“ wolle dies und das, er selbst bleibt – bis auf eine groteske Archivaufnahme – unsichtbar.

Polit-Posse mit ernstem Anspruch 

Man hätte über Wackersdorf auch ganz anders erzählen können. Etwa aus der Perspektive der Bürgerinitiativen, die damals erfolgreich mobilisierten und zu den wenigen Öko-Bewegungen zählen, die in Deutschland erfolgreich waren. Ein Thema, das beständig Neuauflagen erfährt, man denke etwa an die Besetzung des Hambacher Forsts, dessen Restbestand für den Braunkohleabbau gerodet werden soll. Regisseur Oliver Haffner setzt jedoch bei der Politik an und wählt in einem klugen Zug den Landrat als Erzählachse. Nicht nur scheiden sich an ihm die Geister, wenden sich alte sozialistische Gefährten ab, weil ihm die Gesundheit wichtiger ist als Arbeitsplätze. Auch Schuierer selbst wird mit seinen inneren Kämpfen zu einem Spiegel für den Bewusstseinswandel, der damals auch viele besorgte Bürger ergriff. Johannes Zeiler erweist sich als interessanter Interpret dieses Landrates. Sein tief zerfurchtes Gesicht bleibt äußerlich oft stoisch, während im Inneren die Fliehkräfte zerren. Wem ein Politiker alles verpflichtet ist, ist quasi die erste Runde in Haffners Inszenierung, dem Rechtsstaat und dem eigenen Gewissen –  dann die der Moral der Erzählung geschuldete zweite. Rund um Zeiler gruppiert „Wackersdorf“ eine ganze Riege an Akteuren: der Vertreter der Projektgesellschaft für die atomare Wiederaufbereitungsanlage (WAA), der den Sozi Schuierer gerne mal auf eine Terrine aus Hummer und Lauch einlädt und ihn um den Finger wickelt, ohne dass dieser es merkt. Neben den Karrieristen, die in München aufsteigen wollen, gibt es die verzweifelten Lokalpolitiker, die engagierten Bürger, und natürlich die Familie als ersten Kreis in der Vertrauensbildung. Inszeniert hat Haffner seinen Film aber nicht als Politikrimi, sondern eher als eine Art Posse, die von lakonischer Musik begleitet wird und die bayrische Grundierung gerne für eine sanfte Ironisierung nutzt. Irgendwann hat auch der Vertreter der Atom-Lobby einen bayrischen Janker an. Immer wieder findet „Wackersdorf“ treffende Bilder für sein innerstes Anliegen: die aus dem Ruder gelaufenen Machtverhältnisse. Sei es die kulinarische Schiefebene zwischen München und der Oberpfalz, die sich bei einem Treffen zwischen dem großkopferten Staatsminister aus München und Schuierer bemerkbar macht, wenn es um die Überlegenheit der Münchner Weißwurst geht. Sei es ein Holzturm, den besorgte Anrainer des zukünftigen Atomgeländes aufbauen, während dieser von der Polizei rechtswidrig abgerissen wird. Und sei es das Archivmaterial, das Haffner einige Male gezielt einflicht, um seine "Hintergrunderzählung" quasi mit den offiziellen Bildern kurzzuschließen.  „Wackersdorf“ spielt dabei geschickt mit der Aussichtslosigkeit der Provinzler gegen ein Milliardenprojekt, um es am Ende platzen zu lassen. Sie haben die Geschichte heute auf ihrer Seite.