Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Gunnar Landsgesell · 02. Jun 2016 · Film

Vor der Morgenröte

Der Kabarettist Josef Hader verkörpert Stefan Zweig - er schafft eine beeindruckende Präsenz zwischen Melancholie und intellektueller Schärfe. Der Regie von Maria Schrader gelingt das Kunststück, in wenigen Schlaglichtern eine intensive Vorstellung von dem österreichischen Schriftsteller zu bekommen.

Schon mit der ersten Einstellung einer reich geschmückten Tafel in einem ornamentverzierten Raum wird deutlich, dass man es in dieser Verfilmung über Stefan Zweig nicht mit einer Biographie, sondern einer Annäherung zu tun bekommt, die sich auf die größtmögliche Unmittelbarkeit des Erlebens zu konzentrieren versucht: auf einen bestimmten Augenblick, eine Empfindung, eine Figur, die nicht über die Eckdaten eines Lebens erfasst werden soll, sondern deren intellektuelle und künstlerische Leistung sich durch ein besonderes Sensorium erklärt – und dessen grundlegende Verstörung. Die Schauspielerin Maria Schrader, die „Vor der Morgenröte“ inszeniert, beschränkt sich auf wenige, dafür umso intensiver ausgeleuchtete Momente aus dem Leben des österreichischen Schriftstellers, irgendwann zwischen 1936 und 1942. Zweig im brasilianischen Exil: Dieses hat ihm in wenigen Jahren mehr freundschaftliche Begegnungen beschert hat, als sein Leben zuvor, wie er in der eingangs erwähnten Szene im Speisesaal einer bunten Gästeschar mitteilt. Sie hat sich hier zu seinen Ehren versammelt. Während Zweig spricht und in den festlichen Saal blickt, tun wir das mit ihm über seine Schulter hinweg. Schrader verzichtet auf Schuss/Gegenschuss, um die Akteure einzuführen, sondern beharrt auf der Blickachse in den exotisch anmutenden Raum hinein und greift damit vielleicht auch den Blick Zweigs auf, der von einer gewissen Fremdheit bestimmt ist, und der uns den gesamten Film begleiten wird: Zweig, der Emigrant, der Heimatlose, glücklich und beschämt zugleich, hier im Exil in Südamerika, zumindest jene Sicherheit gefunden zu haben, die vielen seiner Kollegen im Deutschen Reich verwehrt blieb.

Gegenwärtigkeit und Reduktion


Gerade im Verzicht darauf, Zweig (Die Welt von Gestern, Die Schachnovelle) durch die üblichen literarischen Zitate und Verweise als große kulturelle Figur zu würdigen, schaffen Regisseurin Schrader und Josef Hader (als verblüffende Besetzung für Stefan Zweig) etwas Unwahrscheinliches: Ein Gefühl für einen Akteur zu bekommen, von dem es ja nur die schriftstellerischen Werke als mögliche Rückschlüsse über die eigentliche Person dahinter gibt. Josef Hader, als Krimifigur Brenner und als Kabarettist seit vielen Jahren im kollektiven Gedächtnis auf eine sehr konkrete Art verankert, nimmt in „Vor der Morgenröte“ tatsächlich neue Gestalt an. Er ist jemand anderer. Und auch wenn sich dieser Eindruck etwas relativiert, sobald Hader spricht, so wird durch die Erscheinung Haders – seine schwermütig wirkenden Augen, die etwas unbeholfenen Körperhaltungen, eine gewisse Verschrobenheit im Ausdruck – zugleich aber auch durch die von intellektueller Klarheit geprägten Dialoge dieser Figur eine außergewöhnliche filmische Begegnung wahr. Denkt man noch während der wenigen, nach Kapiteln geordneten Szenen dieses Films, wie sich hier eigentlich eine Geschichte formieren soll, so stellt sich geradezu unmerklich eine Empathie für diesen Protagonisten ein und für sein Empfinden, in dieser unwirklichen, tropischen Geborgenheit Südamerikas aus der Zeit gefallen zu sein. Dieses große Gefühl der Melancholie ist zweifellos Ergebnis der darstellerischen und filmischen Strategien dieses Films. Nicht zufällig wird am Ende, als Zweig und seine zweite Frau Lotte (Aenne Schwarz) sich das Leben nehmen, als Reaktion auf die Barbarei des Deutschen Reichs und die Zerstörung ihrer geistigen Heimat Europa, der Bildraum über eine verspiegelte Schranktüre, die offen steht, Richtung Publikum reflektiert. „Vor der Morgenröte“ ist keine schnöde historische Verfilmung einer Zeit, in der Menschen in seltsamen Kostümen stecken, sondern schafft eine Gegenwärtigkeit, die viele dieser Filme sonst immer behaupten.