Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Gunnar Landsgesell · 29. Okt 2015 · Film

Voll verzuckert - That Sugar Film

Zucker in Brot, in Ketchup und im Smoothie. 40 Teelöffel Zucker nimmt ein Australier täglich in Lebensmittel zu sich, ohne auch nur ein Stück Schokolade konsumiert zu haben. Der Schauspieler Damon Gameau hat am eigenen Körper getestet, was uns die Lebensmittelindustrie als gesund verkauft. Das Ergebnis ist ein unterhaltsamer Mix aus Edutainment und persönlicher Nabelschau.

Ein Experiment mit dem eigenen Körper: Der australische Schauspieler Damon Gameau, der bis zu „That Sugar Film“ bewusst lebte – moderater Sport und wenig Fertiggerichte – isst für den Selbsttest, was die Nahrungsmittelindustrie als gesund verkauft. Das Ergebnis erinnert an Morgan Spurlocks „Supersize Me“ (2004): Gameau legt merkbar Körperfett zu, am Ende des zweimonatigen Test attestieren ihm die Ärzte, er sei am Weg zum gesundheitlichen Risikofall. So weit erinnert das an „Supersize Me“, einen feinen Unterschied gibt es aber: Stopfte Spurlock Junk Food in sich hinein, geht es Gameau um die durchschnittlichen Essgewohnheiten eines Australiers. Der Filmemacher reduziert seinen Konsum gesunder Fette (Avocado, Eier, Nüsse) und nimmt statt seiner Low-Carb-Diet nun mehr Kohlenhydrate (Brot, Pasta) zu sich. Er orientiert sich daran, was gesund sein soll: am Morgen Cereals (Frühstücksflocken) mit Joghurt, zu Mittag Nudeln oder Burger, später Energieriegel, alles begleitet von Orangen- und Apfelsaft, von den stark promoteten Smoothies und Powerdrinks. In sämtlichen dieser Lebensmittel sind diverse Zucker zugesetzt, 40 Teelöffel Zucker konsumiert der Australier pro Tag mit seiner Nahrung, ohne es zu wissen. Und ohne ein Stück Schokolade oder ein Gummibärchen verspeist zu haben. Während Gameau seinen Zuckertrip vorantreibt, lässt er verschiedene Ärzte die Stadien seines körperlichen Niedergangs kommentieren.

Ein Ritt auf dem Glukosebrocken


„That Sugar Film“ greift ein Thema auf, das mittlerweile auch in Konzernzentralen wie Coca Cola problematisiert wird. Die Gesundheitsrisiken, die von Zucker ausgehen, werden von Ärzten als alarmierend eingeschätzt. Die Zeiten, wo die Industrie begann, Fett aus der Nahrung zu streichen, nur um den Geschmack mit Unmengen an Zucker wieder aufzupeppen, scheinen sich langsam zu wenden. Gameau bewegt sich mit seinem Film am Wendepunkt dieser Diskussionen und für viele Zuseher werden einige der Infos darin neu sein. Zucker wie etwa das billige High-Fructose Corn Syrup lassen die Organe verfetten und das Gewebe rund um sie (viszerales Fett), führen zu Diabetes und werden mit Alzheimer und psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht. „That Sugar Film“ ist aber kein Film, der sein Publikum demoralisieren will. Dafür sorgt Gameau, der zwischen Spaßvogel und Versuchskaninchen das Zentrum des Geschehens ausmacht. Er orientiert sich dabei an Filmemachern wie Michael Moore und Nick Broomfield, die vorexerziert haben, wie Dokumentarfilme den widerstreitenden Anspruch von Didaktik und Entertainment vereinen können: unterhaltsam oder auch dramatisch schonungslos zugespitzt, assoziativ montiert, ohne Scheu den Zuseher agitatorisch auf seine Seite zu ziehen und vor allem proklamatorisch in eigener Sache. Spröde Sachverhalte sind jedenfalls nicht zu befürchten. Dass Zucker gefährlich ist, gestaltet sich durchwegs als Abenteuer. Wenn in animierten Szenen Glukose und Fruktose gefährlich wie Felsbrocken durch die Adern rumpeln, reitet Gameau wild auf einem dieser Brocken dahin. Dass 80 Prozent aller Lebensmitteln Zucker zugesetzt ist, darf nicht ohne Stop Motion rüberkommen. Die Regale eines Supermarktes entleeren sich, kaum ausgesprochen, auf geisterhafte Weise. Die Lebensmittelindustrie selbst kommt bei dem ganzen Körperspektakel allerdings glimpflich weg, einen Michael Moore, der trantütig vor den Toren der Konzernchefs lauert, gibt es hier nicht.