Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Gunnar Landsgesell · 25. Mai 2017 · Film

Victoria

Victoria ist eine Anwältin, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegt. Eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Daraus generiert der Film eine Serie chaotischer Situationen, bis der junge, unterwürfige Samuel seine Hilfe anbietet. "Victoria" ist teils komisch und teils bemüht, fügt dem Kino aber eine interessante Frauenfigur hinzu.

Victoria (Virginie Efira) ist so ziemlich das Gegenteil jener slicken Anwaltstypen aus Hollywoodfilmen, die ihren Gegnern immer einen Schritt voraus sind. Victoria ist chaotisch und unerwachsen, greift wegen ihrer Panikattacken abwechselnd zu Alkohol oder Tabletten und kommt bei ihren Liebschaften nie über ein verkorkstes Sex-Date hinaus. Besonders irritierend ist, dass die Alleinerzieherin keinerlei Aufmerksamkeit für ihre Kinder zu haben scheint. Ganz beiläufig streift die Kamera die zwei Kleinen, die in einem vollgeräumten Wohnzimmer sitzen, während Victoria einmal mehr ein Kindermädchen im Streit davonläuft. Der Film spielt offensichtlich mit dem Junktim von Mutterschaft und Verantwortung, das man in Filmen in Verbindung mit Väterfiguren eher selten sieht. Dazu passt auch, dass Regisseurin Justine Triet ihrer Hauptdarstellerin Virginie Efira den 15 Jahre jüngeren Vincent Lacoste an die Seite stellt, der in der Figur des Samuel die Anwältin auf recht unbeholfene Weise unterstützen möchte. Im Gegensatz zu Victoria, die ihre Weiblichkeit nicht versteckt, zeichnet Triet Sam als unmännlichen und geradezu unterwürfigen Burschen, der bereits einmal wegen Drogenkonsums vor Gericht stand und sich nun an der Seite von Victoria in das Sofa drückt, mit dem Angebot, alles für sie zu erledigen: er könne jederzeit auf die Kinder aufpassen, ihr bei den Akten helfen und auch ihre am Boden verstreute Unterwäsche einsammeln. Den Wert dieses offenherzigen Angebots erkennt die in Chaos verstrickte Victoria freilich (noch) nicht.

Queen of drama-queens


Man sollte sich nicht durch den trivialen deutschen Zusatztitel „Männer und andere Missgeschicke“ in die Irre führen lassen. „Victoria“ mag als Komödie mit zu vielen Nebenschauplätzen zur Zerstreuung neigen: das Gerichtsverfahren, in dem Victoria einen Bekannten vertritt, der auf seine Frau eingestochen haben soll; ihr Ex-Ehemann, der für seine literarischen Versuche Intimes an die Öffentlichkeit bringt; die Wahrsagerin, die Victoria in ihrer Not aufsucht; und die grotesk überzeichneten sexuellen Begegnungen mit anonym bleibenden Männern in ihrem Schlafzimmer. Das alles wirkt teils komisch, teils bemüht, vermag aber nicht immer dem eigentlichen Zentrum dieses Films etwas Bedeutsames hinzuzufügen: mit der Anwältin Victoria trifft man auf eine Frauenfigur, wie sie im Kino selten zu sehen ist. Aufgerieben zwischen Anarchie und Zielstrebigkeit, einmal kraftvoll wie der zwischen Neurose und offensiver Körperlichkeit angesiedelte Humor der US-Comedien Amy Schumer, dann wieder von einer plötzlichen Verletzlichkeit wie die Rollen, die etwa Valeria Bruni-Tedeschi gerne für sich aussucht. „Victoria“ ist nicht „Trainwrecked auf französisch“, wie die US-Filmzeitschrift Variety schrieb, weil Regisseurin Justine Triet hier nicht primär das Genre der romantic comedy aufs Korn nimmt. Ihr Film zielt mehr darauf ab, Chaos und Humor als eher männliche Domänen um eine Facette zu erweitern. „You are the queen of drama-queens“ sagt Sam zu Victoria. Sie sagt: „Hinter meinen Fehlern stecken unglaubliche Fähigkeiten.“