Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
g, u, n, a, r, l, d, s, e · 25. Okt 2016 · Film

The Girl on the Train

Rachel Watson (Emily Blunt) ist ein Wrack. Das Leben hat ihr übel mitgespielt und der Wodka in ihrer Trinkflasche tröstet auch nicht darüber hinweg. Als eine Frau verschwindet, gerät sie selbst unter Mordverdacht. In einer von Brüchen und Erinnerungslücken versehrten Chronologie spürt "The Girl on the Train" einem Fall nach, der vor allem Blunts eigener ist. Als postheroische Frauenfigur verleiht sie diesem Krimi die Essenz.

Eine Krimiverfilmung, die auffällig am Wort hängt. „The Girl on the Train“ dampft die erzählerischen Perspektiven dreier Frauen aus der Buchvorlage zu einer ein und verstrickt sich fast in seiner eigenen verschachtelten Dramaturgie, die mittendrin einen großen Zeitsprung zurückmacht. Rachel Watson (Emily Blunt, kaum wiederzuerkennen) muss dazu ziemlich viel erzählen: über sich, ihr früheres Leben, und das, was sich da so verhängnisvoll anbahnt. Wie durch eine verregnete Glasscheibe blickt man auf diese Frau und genauso verwaschen wirken auch die Bilder dieses Films. Erst nach und nach lösen sich daraus die Konturen dreier Frauen, deren Rollen aus dem Dunst der Erinnerungen schließlich doch etwas anders herauswachsen als gedacht.
Die Geschehnisse von „The Girl on the Train“ präsentieren sich nicht durch einen auktorialen Erzähler, sondern durch die wässrigen Augen einer Alkoholikerin. Erinnerungslücken, Sehstörungen, logische Sackgassen und vor allem der Zweifel an der eigenen Wahrnehmung sind essenzieller Teil der Geschichte. An Stringenz und Effizienz fehlt es diesem Erzählmodus entschieden – genau darin liegt der ambivalente Reiz und die dreamyness dieses Films. Am Ende ist freilich auch dieser Krimi nicht davor gefeit, dass sich die Dinge ordnungsgemäß zusammenfügen.

Wie durch Glasscherben betrachtet

Sie ist nicht mehr die Frau, die sie einmal war, sagt Rachel Watson (Blunt) über sich. Verlassen von ihrem manipulativen Mann (Justin Theroux), weil sie ihm kein Kind geboren hat, die Arbeit verloren, die Trinkflasche dezent mit Wodka gefüllt. Wie jeden Tag hockt sie im Zug, mit dem sie täglich weiterhin nach Manhattan pendelt, dorthin, wo sie früher gearbeitet hatte. Was sie den ganzen Tag dort macht ist weniger wichtig als ein kurzer Moment, der sich zweimal pro Tag wiederholt.
Wie der Zufall so will, fährt der Zug just an ihrem eigenen Haus vorbei, wo ihr Mann nun mit seiner neuen Frau (Rebecca Ferguson) lebt. Während Rachel aus dem Fenster blickt, scheint sich jedesmal die Zeit zu dehnen, dieser Zug fährt nirgendwo sonst hin als in ihre eigene Erinnerung. Unweit des Hauses wohnt ein Paar, in das Rachel die eigenen Verluste als Wunschprojektionen legt. Eine erfüllte Beziehung, ein intaktes Leben – bis sie eines Tages die blonde Frau (Haley Bennett) mit einem anderen, fremden Mann sieht. Beide stehen auf der Terrasse und umarmen sich. Als diese Frau plötzlich verschwindet und Rachel selbst in das Visier der Polizei gerät, findet auch „The Girl on the Train“ wieder zu seiner schon etwas vernachlässigten kriminalistischen Pflicht und führt Rachel als wankende Schnüfflerin in das Leben zurück, natürlich in das von anderen Leuten.
Lange lässt sich der Film auf die buchstäblich trostlosen Redundanzen seiner Hauptfigur ein, immer bemüht, der verblasenen Existenz in einem neuen Anlauf zu folgen, der doch wieder nur in einem mit Lippenstift vollgeschmierten Spiegel(bild), einer wackeligen Bekanntschaft, einem letzten besinnungslosen Drink endet. Das ist zwar nicht so sentimental, wie Regisseur Tate Taylor sein Südstaatenepos „The Help“ inszeniert hat, aber auch nicht so schäbig und abgefuckt, wie es in Paula Hawkins Buchvorlage zugeht. Emily Blunt hingegen erfindet sich fast neu, mit langem Gesicht und fahlem Teint kramt sie aus dieser postmodernen Frauenfigur, die man im film noir wohl als fallengelassen oder fatal bezeichnet hätte, den spezifischen Spirit der Verliererin hervor, der sie irgendwie doch noch zur Heldin macht.