Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Gunnar Landsgesell · 27. Aug 2015 · Film

Straight Outta Compton

Wer kann sich an N.W.A. erinnern? Wenige wahrscheinlich. Aber die Selbstvermarktungsgenies Dr. Dre und Ice Cube, zwei der Protagonisten dieser frühen Gangsta-Rap-Posse, haben beschlossen, sich ein filmisches Denkmal zu setzen und ihre eigene Geschichte zu erzählen. Ein insofern spaßiges Projekt, das - logisch - gänzlich unkritisch und zudem revisionistisch ausgefallen ist.

Als Eazy-E, Mitglied der 80er-Jahre „Gangsta“ Rapper N.W.A., erstmals im Studio vors Mikrofon tritt, will das mit dem Rap nicht so richtig klappen. Der schmächtige Typ mit dem großen Mundwerk stottert vor sich hin, während seine Stimme ein wenig peinlich klingt. Nach einigen Anläufen werden die restlichen Mitglieder der Posse des Studios verwiesen, während Dr. Dre, der hier bereits als Producers Mastermind inszeniert wird, die Lyrics mit Eazy-E schließlich alleine abwickelt. Momente wie diese, in denen das Geschehen nicht heroisch, sondern ein bisschen albern und auch menschlich angreifbar wirkt, sind rar gesät in einer fast zweieinhalbstündigen Anthologie bedeutsam in Szene gesetzter Selbstvermarktungsgenies. Gerade das hätte „Straight Outta Compton“ aber sein können: Die Entmystifizierung einer Gruppe, die vor allem aus der Provokation und ihrer schlechten Beleumundung ihren Profit schlug. Das Geschäft mit dem Großsprechertum funktioniert heute wie damals, der Film führt in den USA das Box Office an. Dazumal hatte der von Radiosendern geächtete Track „F*ck the Police“ den millionenfachen Verkauf des ersten N.W.A.-Albums erst so richtig angekurbelt. Mit „Straight Outta Compton“ wird nun noch einmal die Geldmaschine angeworfen. Dr. Dre (Schaltstelle des Westcoast-Raps) sowie der Schauspieler Ice Cube („Barbershop“) haben sich ein filmisches Denkmal gesetzt. Die beiden ko-finanzierten sich praktischerweise als Produzenten selbst. Der vorlaute Eazy-E ist noch in den 1990ern an AIDS gestorben, die restlichen drei Mitglieder von N.W.A. werden im Film nur schemenhaft berücksichtigt. Dass mit dem afroamerikanischen Action-Routinier F. Gary Gray („The Italian Job“, „Gesetz der Straße“) der geradezu logische Kandidat die Regie übernahm, müssen alle, die auf eine kritische Würdigung der Gruppe hofften, zähneknirschend zur Kenntnis nehmen. Gray ist ein alter Begleiter der Posse. Als Videoregisseur hatte er schon vor 20 Jahren Ice Cube und später Dre ein paar zornige Auftritte in Musicclips besorgt.

Hausbackene Dramaturgie


Die Dramaturgie dieses Spielfilms ist geradezu hausbacken. Die drei Charaktere aus South Central, LA, werden nacheinander prototypisch eingeführt und an deren Positionierung auch nicht mehr gerüttelt. Der gewitzte Eazy-E, von Jason Mitchell mit viel Eigenleben ausgefüllt, fällt vor allem durch sein unersättliches Interesse an Frauen auf. Ice Cube, von seinem eigenen Sohn O'Shea Jackson Jr. mit starrem Blick und viel Ghetto-Frust interpretiert, will vor allem der Welt ins Gesicht brüllen. Und Dr. Dre, relativ behüteter Sohn einer brav arbeitenden Mama, lebt schon von Kindesbeinen an für seine Schallplattensammlung und das Produzieren selbst. Die Beschreibung der Lebensumstände in LA unter der Regie von F. Gary Gray übernimmt dann ganz die Rhetorik der Rapper selbst: vorwiegend weiße, rassistische Polizisten demütigen die jungen Männer immer wieder, während diese ohnehin schon durch das drogenverseuchte Umfeld sozial schwer gefährdet sind. An dieser Stelle fällt einem Public Enemy ein, die zur gleichen Zeit ihr erstes Album produziert hatten und Hip Hop als black CNN, als kritische Berichterstattung an die Welt da draußen begriffen – währenddessen sich Dre und Co in „Straight Outta Compton“ erlebte Gewalt und Sexismus zu eigen machen und ihre eigenen Biographien damit anreichern. Obwohl sich inhaltlich wenig Bedeutsames tut, treibt Gray das Geschehen ständig voran. Geplänkel im Gangster-Sprech füllen durchaus kurzweilig die Zeit und ohnehin ist hier alles erlaubt, was den Ruf der drei Männer nicht beschädigt. Gray schafft hier ein Paradoxon: Ein Film über viel Gewalt, ohne dass sich die Protagonisten selbst irgendetwas zuschulden kommen lassen. Ein Kunststück, das sich von der Realität deutlich unterscheidet. Für schlechte Manieren sind andere zuständig, etwa der mehrfach inhaftierte Suge Knight (R. Marcos Taylor), der nach dem Ende von N.W.A. gemeinsam mit Dr. Dre Death Row Records gründete. Während im ersten Drittel des Films noch klare Linien vorherrschen, wenn die N.W.A.-Mitglieder vorgestellt werden, verfällt der Erzählton später zunehmend einer seltsamen Esoterik. Immer weniger der Mißtöne, der Lebensumstände, der Biographien scheint hier noch greifbar, alle Konturen lösen sich in einem immer nebuloserem Licht auf. Selbst in der Frage, warum diese gloriose Hip-Hop-Formation auseinandergebrochen ist, scheint niemand der drei Rapper schuld zu sein. Vielmehr gibt es einen jüdischen Manager, der die Leute von einem Club weg engagiert und groß gemacht hat, der durch seine intransparente finanzielle Gebarung einen Keil in die Band getrieben hat. Auch wenn die Filmbilder dieser Interpretation nicht unbedingt recht geben. Paul Giametti, lange die schützende Hand vor der Polizei, bekommt diese Vorwürfe in einer nicht gerade glamourösen Wohnung zu hören. Doch die Produzenten Dre und Cube haben hier offensichtlich ihre eigene Geschichtsschreibung betrieben. Und auf den – ohnehin immer aktuellen – Anlass der Polizeigewalt gegen die schwarze amerikanische Bevölkerung verweist dieser Film allemal, womit Aktualität auch ohne besonderen Anlass garantiert ist.