Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Gunnar Landsgesell · 17. Mär 2016 · Film

Raum

Ein Psychothriller, ein Familiendrama und eine erschütternde Reise in die Realität. So präsentiert sich "Raum", der nach der Romanvorlage der irischen Schriftstellerin Emma Donoghue die Geschichte des fünfjährigen Jack erzählt, der das Verließ, in dem er mit seiner Mutter lebt, für die richtige Welt hält.

Sie möchte, dass ihr Kind am großartigsten Ort der Welt aufwächst. Eine geradezu unmögliche Aufgabe für eine Mutter (Brie Larson), die entführt wurde und seit Jahren mit ihrem kleinen Sohn Jack (Jacob Tremblay) in einem Raum mit neun Quadratmetern lebt. Das besondere an dieser Geschichte ist, dass Jack kein Außen kennt. Er wurde fünf Jahre zuvor in „Raum“, wie er und seine Ma das Verließ nennen, geboren. Raum, das ist das Universum, wie Jacks Mutter es für ihn geschaffen hat. Das Bett, die Waschmaschine, die Kochplatte, der Wandschrank, eine kleine Maus, das alles ist echt. Mehr hat die Welt an sinnlichen Eindrücken nicht zu bieten. Alles, was in dem Fernseher zu sehen ist, egal ob Bäume oder andere Menschen, erklärt seine Mutter quasi zu Platon’schen Schatten ihrer eigenen Höhle: Erfindungen, die so flach wie der Bildschirm selbst sind. Regisseur Lenny Abrahamson fügt Mutter und Sohn zu einer Einheit, die auf der Illusion der Geborgenheit und der totalen Bedrohung beruht. Selbst der nahezu anonym bleibende Entführer (Sean Bridgers) wirkt in den raren Szenen seines Erscheinens paradoxerweise wie eine ferne Bedrohung, so mächtig erscheint der Schutzring, den die Mutter hier aufgebaut hat. Diese Einheit zerbricht erst später, in Freiheit, in der richtigen Welt. Die tiefen Zerwürfnisse und die Kälte, die sich nun in die Bilder dieses Films einschleicht, just dann, als es wieder ein familiäres Umfeld und eine Rückkehr in die Gesellschaft gibt, schaffen beim Zuseher eine nicht minder spürbare Verstörung. Der Überlebensdruck setzt sich nun als psychologische Last fort. Er wolle wieder zurück nach Raum, wird Jack später einmal flüstern.

Fall Fritz als Vorlage


„Raum“ basiert auf einem Roman der irischen Schriftstellerin Emma Donoghue. Sie hat ihre Geschichte lose an dem realen Fall Fritzl orientiert, der seine Tochter 24 Jahre in einem Kellerverließ seines Hauses gefangen gehalten hatte und mit ihr die Kinder, die aus den zahlreichen Vergewaltigungen hervorgegangen sind. Dass Donoghue auch das Drehbuch für „Raum“ geschrieben hat, verschafft der filmischen Erzählung eine merkbare Präzision. Donoghue schafft es mit wenigen, simplen Sätzen, die Perspektive des Zusehers in das Empfinden, die Kuriosität und das Unverständnis des kleinen Buben zu wechseln. Während sich für Jack die Welt plötzlich als endlose Folge von Räumen präsentiert, die nach jeder Tür wieder von einem Innen in ein neuerliches Außen wechseln, steigt der Druck auf Ma. Sie gerät (das erinnert einen an Natascha Kampusch) anstatt des Täters nun selbst in das Kreuzfeuer der Verantwortung.
Donoghues Dialoge sind umso wichtiger, als Abrahamson auf ein forciertes Erzähltempo setzt, um alle Stationen dieses Entführungsfalls unterzubringen. Die Szenen von „Raum“ wirken immer wieder rudimentär und auf äußerste dramaturgische Effizienz bedacht, was zugleich aber jedes melodramatische Pathos, in das Ma und Jack getaucht werden könnten, verhindert. Momente wie jener, als Jack auf dem Rücken liegend erstmals den Himmel in realitas sieht, zeugen von den universellen Bedürfnissen, die alle Menschen einen. Ein Film bzw. ein Roman, der das Eintauchen in die Konventionen unserer Gesellschaft wie einen Schock erlebbar macht.