Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Gunnar Landsgesell · 19. Nov 2015 · Film

Pasolini

Abel Ferrara, Spezialist für kaputte Typen wie in "Bad Lieutenant" (1992) lässt 40 Jahre nach dessen Ermordung Pier Paolo Pasolini auf die Leinwand zurückkehren. Eine Inszenierung, die etwas unentschlossen, aber auch überraschend wirkt: Der harte Kerl Abel Ferrara und Willem Dafoe (als Pasolini) versuchen auf geradezu rührende Weise Italiens widersprüchlichem Paradeintellektuellen gerecht zu werden.

„Pasolini“ beginnt so, wie man ihn von einem Filmemacher erwarten würde, der seine Helden durch Exploitation-Filme wie „The Driller Killer“ (1979) und später durch beinharte Polizeithriller wie „Bad Lieutenant“ (1992) jagt: Im halbdunklen Kinoraum sitzt Willem Dafoe in der Rolle von Pier Paolo Pasolini und begutachtet sein letztes quälendes Werk: „Salò“ / „Die 120 Tage von Sodom“. Abel Ferrara wirft einem gleich zu Beginn Ausschnitte der berüchtigtsten Szenen des Films entgegen: Sexualität, Gewalt, Faschismus, Tod. „Salò“ hatte damals, 1975, Pasolini einschlägig auch bei jenen bekannt gemacht, denen der bedeutende italienische Intellektuelle, Autor und Filmemacher bis dahin nicht geläufig war. Ferraras wüster filmischer Einstieg ist aber so etwas wie eine Blendgranate. Denn was dann folgt, ist keine Ausschlachtung des „Mythos“ Pasolini, sondern der geradezu rührende Versuch, diesem Mann in einer fiktiven Rekonstruktion des letzten Tages vor seiner Ermordung gerecht zu werden. Da wirkt einiges unstimmig und geradezu unbeholfen, was Ferrara hier auf wüste Weise – man könnte auch sagen in Brecht’scher Verfremdungsmanier – ineinander schachtelt. Das irritiert zuweilen, doch am Ende hat man ein reichhaltiges Kaleidoskop gesehen, das einem fiktive und reale Figuren, nicht realisierte Projekte, Zitate und Visionen, ein nachgestelltes Interview Pasolinis und einiges andere an Referenzen bietet. Willem Dafoe, der Spezialist für randständige Figuren, verschwindet in diesen Bilderbögen fast schon ein wenig und mit ihm die Widersprüchlichkeiten, die Pasolini als Kommunist und Katholik, als Homosexuellen und Kolumnisten der konservativen Tageszeitung "Corriere della Sera" ausgemacht haben. Einiges davon ist im Film angerissen, zumindest ebenso sehr interessiert sich Ferrara aber für die äußeren Ähnlichkeiten Dafoes mit Pasolini. Dass Dafoe Englisch parliert, während sein Umfeld, seine Mutter Susanna (70er-Jahre-Ikone: Adriana Asti), die damalige Mitstreiterin Laura Betti (Maria de Medeiros) oder der reale Lebensgefährte Pasolinis (und einer seiner Lieblingsschauspieler) Ninetto Davoli italienisch sprechen, wirkt seltsam. Dafoes vergleichsweise verhalten intoniertes Amerikanisch kennt weder die Sprachmelodie des Italienischen noch das begleitende Gestikulieren.

Ferrara, Fellini, Pasolini


Die Rolle Dafoes wirkt etwas thesenhaft und tatsächlich scheint es mehr darum zu gehen, was Pasolini hier seinem Publikum 40 Jahre nach seinem Tod mitzuteilen hat. Die Kritik an der Auflösung der Gesellschaft, bedingt durch die Anarchie des Kapitals sowie andere düstere Prognosen sind es auch, die Ferrara bzw. Drehbuchautor Maurizio Braucci („Gomorra“) in einen Kontrast zum restlichen Film setzen. Pasolini im zärtlichen Kontakt mit seiner Mutter, bei der er wohnte; im Anzug beim Fußballspielen mit lokalen Jugendlichen auf einer Halde in Rom (eine Szene, die einem bekannten Foto entnommen ist); oder auf seinen sexuellen nächtlichen Streifzügen bei den „ragazzi di vita“ an den Peripherien der Stadt. Auch wenn Ferrara dabei keine Rückblenden einsetzt, sondern sämtliche Handlungen an einem Tag konzentriert, bringt er doch noch sich selbst als Vermächtnisverwalter ein, wenn er aus Pasolinis nicht vollendetem bzw. zurückgestelltem Projekt „Porno-Teo-Kolossal“ einige Bilder selbst inszeniert. Eine Reise zweier Neapolitaner, die durch drei symbolische Städte – Sodom (Rom), Gomorrha (Mailand), Numantia (Paris) reisen. Ferrara lässt den Zuseher an einer queeren römischen Orgie teilnehmen, die in ihrer traumhaften freundlichen Inszenierung aber eher an Fellini erinnert als an Pasolini. Auch wenn eine frappante Unentschlossenheit über Ferraras „Pasolini“ liegt, ist daraus dennoch eine schöne – und vor allem unerwartete – filmische Begegnung geworden.