Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Gunnar Landsgesell · 20. Feb 2014 · Film

Nymphomaniac 1

Dekonstruktion von Liebe und Gender-Rollen in Form einer schelmisch ausgedachten Lebensbeichte. Mit Hilfe von Lars von Trier lässt Charlotte Gainsbourgh als "Nymphe" Männer in ihre Falle tappen. Aufpassen, auch das Publikum wird zum Köder!

Die Frau am Pflaster eines schmuddeligen Hinterhofs, verletzt - Charlotte Gainsbourgh wird gleich zu Beginn provokativ als Sinnbild für schmutziges Verlangen positioniert. Der Titel des Films - Nymphomaniac -  hallt hier wider, als Reflexion falscher Moralbegriffe und vorgefasster Meinungen, letztlich als Spiel mit Klischees. Es ist natürlich ein rechtschaffener Bürger – Stellan Skarsgard – der Gainsbourgh aus dem Hof in sein Heim holt. In den folgenden zwei Stunden, die der komisch-anachronistischen Idee der Lebensbeichte folgen, schmiegen sich zwei Lebensentwürfe aneinander. Das wirkt sehr konstruiert und soll es auch sein. Metaphern werden schon bald zum schlüpfrigen Boden dieser Erzählung, in der die Bilder gerne trügen. Der brave Bürger Skarsgard lauscht den Erzählungen Gainsbourghs, nicht, ohne sie durch seine eigenen Erfahrungen zu ergänzen. Skarsgard ist "The complete angler", so heißt zwar ein Fischereiführer, den er einmal herzeigt, darin drückt sich aber auch eine Biederheit aus, die nur an der Oberfläche besteht. Während Gainsbourgh von unbefriedigendem Sex und ihrer Gleichgültigkeit gegenüber jenen, die ihr ins Netz gegangen sind, erzählt, bringt Fischer Skarsgards den Begriff der Nymphe, ein, so wird der Köder beim Fliegenfischen genannt. Geschickt blättert Trier eine Seite nach der nächsten in diesem Kodex moralischer Vorstellungen um. Gainsbourgh bleibt währenddessen die ganze Zeit im Bett, mit ihrem zerschundenen Gesicht und liefert dem Mann neben ihr, an dessen Stelle sich der Zuseher getrost denken darf, ihre Chronologie einer Trauer, die sie durch kleine Abenteuer linderte. Sünde wird selbstverständlich ironisiert, Gainsbourgh sagt: Ich verlangte mehr als andere, das war meine einzige Sünde.

Meisterliches Spiel

Die Frau, auf den ersten Blick das Opfer, stellt sich im Verlauf der Erzählung immer mehr als die eigentliche Jägerin heraus, während die Fische, die anbeißen, ihrem eigenen männlichen Begehren erliegen. Trier reiht eine Episode nach der anderen, um diese Konstellation zu verfestigen und setzt damit zu weiteren insgeheim fröhlichen, aber vordergründig morbiden Gender-Spielen an. Das Spiel, das Trier mit dem Zuseher treibt, erweist sich offenbar raffiniert genug, um seinerseits etliche Rezipienten in die von ihm gelegte Falle tappen zu lassen. Jene paar Szenen, in denen Sex explizit gemacht wird, haben für den Korpus der Erzählung keinerlei Relevanz. Die Szenen nehmen vielmehr selbst die Rolle der Nymphe, des Köders, ein. (Dieses Prinzip gilt auch für die „ungeschnittene“ Version, ein schöner PR-Gag, wiewohl PR für Provokation steht.)

Was den body of work Triers betrifft, kreist Nymphomaniac einmal mehr um die (selbst)quälerischen Themen von Triebabfuhr und Liebe. Gainsbourgh als Femme fatale 2014 erweist sich dabei als ideale Ideenträgerin für Trier. Die Rebellin gegen das Konzept Liebe verkörpert sie durch ihre kühlen Lockrufe an ihre Beute ebenso wie in ihren Akten der Verweigerung. Liebe, sagt sie einmal, sei nur Sex plus Eifersucht. Vor gelegentlichen Ausflügen in die Profanität zeigt Trier keinerlei Scheu. Wenn es heißt, stopf mir alle Löcher, geraten die Orgelpfeifen einer Kirche in höchste Tonlagen. Und auch Ironie darf in der morbiden Welt Triers nie fehlen. Eine Art Gastauftritt von Uma Thurman, deren Ehemann gerade in die Liebesfalle Gainsbourghs getappt ist und Thurman verlassen hat, ist ganz auf äußere Komik ausgestaltet. Thurman hat ihre zwei kleinen Söhne mitgenommen, die nun auf der Couch sitzen und zusehen, wie ihre Mutter ihren Vater und dessen Nymphe nach allen Regeln der Kunst bloßstellt. Auch so kann es einem gehen, wenn man einen Trier-Film sieht. Teil 2 des Nympho-Epos folgt demnächst in den Kinos.