Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Gunnar Landsgesell · 17. Mär 2017 · Film

Neruda

Ein Anti-Biopic will Regisseur Pablo Lerrain mit seinem Film gedreht haben. Tatsächlich orientiert sich "Neruda" nicht an den historischen Fakten über den chilenischen Dichter und Politiker, sondern imaginiert eine wilde, opulente Gestalt, die jede Grenze mühelos überschreitet.

Dieser Film wird Pablo Neruda nicht gerecht, und das war auch Programm so.

Selbst während der Dreharbeiten war Regisseur Pablo Lerrain („Jackie“) noch nicht klar, wie er sich der epochalen Figur annähern sollte: Neruda war Schriftsteller, Nobelpreisträger, chilenischer Senator und eine der großen intellektuellen Stimmen Südamerikas. Aber auch ein Bonvivant und Kommunist. Als solcher versuchte er sich Ende der Vierziger Jahre vor der Verhaftung durch den autoritären Präsidenten Chiles, Gabriel González Videla, zu retten, der die Kommunistische Partei verbot und ihre Mitglieder internieren ließ. „Neruda“ erzählt von dieser Flucht, die sich wie ein Western in die Hochebenen der südamerikanischen Anden ausdehnt, während sie ein anderes Mal im Stil des Noir als nachtblaue Autofahrten in Szene gesetzt wird. Neruda, sowohl die Person wie auch der Film, begegnen einem hier als ephemere, flüchtige Phänomene, deren Interesse sich aus allem möglichen speist: aus fleischlichen Genüssen, opulenten Partys, Auftritten vor Proletariern, intellektuellen Zirkeln, aber einem eben nicht: der Wirklichkeit. Das mit der historisch verbrieften Wahrheit ist immer so ein Ding, insbesondere, wenn es um Biografien geht. „Neruda“, sagt Regisseur Lerrain, ist ein Anti-Biopic. Um aus der Falle schnöder Hommagen an große Persönlichkeiten zu finden, lässt Lerrain Neruda nicht aus sich selbst heraus entstehen, sondern aus der schummrigen Wahrnehmung des Polizeichefs (Gael García Bernal), dem Neruda zu Beginn gar kein Begriff ist, der sich aber zunehmend ein Bild von ihm macht. Während er dem Dichter auf der Spur ist, sehen wir, wie Neruda Gestalt annimmt. Dieser dramaturgische Kniff erlaubt dem Film viele Freiheiten und Lerrain nutzt sie, um eine vitale, wild wuchernde Gemengelage an Situationen und Stimmungen zu produzieren. Der chilenische Schauspieler Luis Gnecco spielt Neruda mit verschmitztem Pathos, wirft Liebesgedichte und auch politische Verse mit einer zwiespältigen Note ins Gefecht. Dass Neruda ein Linker ist, zudem ein Freund von Präsident Allende, würde man im ostentativen Paternalismus dieser Figur nicht unbedingt vermuten. Eine gewisse Ähnlichkeit mit der Physiognomie Hitchcocks passt hingegen schon eher zum Schalk Gneccos. Begleitet wird er von der argentischen Malerin Delia del Carril (Mercedes Morán), seiner damaligen Frau. Komik geht vor allem auch von Bernal aus, der sich durch den Versuch der Identifikation mit dem Geflüchteten in eine eigene Welt vorarbeitet. Lerrain begleitet sie ohne Sorge, dass diese Welt aus den Fugen gerät. In „Neruda“ liegen Nobelpreis und Räuberpistole ganz nahe aneinander.